«Auf wen warten Sie?», fragt ein mitteljunger mitteldeutscher Mann am Rand des grünen Teppichs von Zürich. «Auf Judi Dench.» Die Sonne grinst dazu als wäre sie von Sinnen. «Sagt mir spontan nichts», sagt der Mann und legt seine Stirn in Falten. «Sie war sieben Mal die Chefin von Bond.» – «Waaaas?! Die mit den kurzen grauen Haaren? Oh wow, ich liebe sie! An Promis hab ich ja sonst in Zürich erst Roger Federer gesehen!» Immerhin.
«Halt!», sagt Judi Dench wenig später im Innern des kleinen ZFF-Pavillons, «ich hab nicht in sieben Bonds mitgespielt, sondern in acht! In ‹Spectre› hatte ich diesen Kurzauftritt in Bonds Erinnerung. Eine Morgenszene. Und hab ich schon erzählt, wie es war, als mich der MI6 nach ein paar Bondfilmen in seine Zentrale eingeladen hat? Ich sagte: ‹Gut, ich komm zu euch.› Sie sagten: ‹Ach, Sie wissen ja gar nicht, wo wir sind, wir müssen Sie schon in einem Wagen abholen.› Ich sagte: ‹Ihr seid in diesem Legohaus an der Themse! Ich kenn es doch in- und auswendig.› Der Wagen des MI6 hatte dann 45 Minuten Verspätung. Der britische Geheimdienst war nicht in der Lage, mein Haus zu finden.»
Im Dezember wird sie 84. 84!!! Sie dreht immer noch drei bis vier Filme pro Jahr. «Normalerweise lassen sich die Menschen pensionieren, um sich endlich dem widmen zu können, was sie am liebsten tun. Aber ich mach nichts lieber als zu spielen! Ich will mich nie zurückziehen müssen!»
Das einst graue Haar so weiss, die Augen so blau, die Frau blendet uns wie die Schneekönigin aus dem Märchen, nur dass sie statt eines Herzens aus Eis eines aus lautem Lachen besitzt. Und diese Stimme! «Als würde ich immerzu Whisky trinken und ein liederliches Leben führen! Früher glaubten die Leute, ich sei schwer erkältet.»
Zwanzig Jahre ist es jetzt her, seit sie Elizabeth I. in «Shakespeare in Love» spielte und damit einen Oscar gewann. «Zwanzig Jahre! Oh! Ich hab die wundervollsten Erinnerungen an den Film», sagt sie am Donnerstagmorgen im Hotel Baur au Lac, «es brauchte drei Leute, um mich anzuziehen, das Kostüm war so schwer, und auf meinem Kopf sassen zwei Perücken übereinander, zuerst der kahle Schädel der Königin, darauf ihre Perücke. Ich konnte mich unmöglich bewegen, in der Lunchpause löffelte man mir das Essen in den Mund.»
Für den Film wurde Shakespeares Globe Theatre in einer Halle nachgebaut. Aus echtem Eichenholz, und weil Judi Dench so gerne Erinnerungen an ihre Drehs sammelt, schenkte man ihr zum Abschied kurzerhand das ganze Globe Theatre. Es war ein LKW voller Eichenholzbretter, die seither irgendwo lagern und darauf warten, wieder zusammengebaut zu werden.
«Shakespeare ist meine Leidenschaft, immer schon», sagt sie, sie begann als Ophelia auf der Bühne, erntete brutale Verrisse, machte weiter, wurde zu einer der renommiertesten Schauspielerinnen Grossbritanniens und einer der fabelhaftesten alten Damen Hollywoods.
In Zürich ist sie für einen Award, aber auch mit ihrem neuen Film «Red Joan» über eine Physikerin, die in den 40er-Jahren Geheimpläne zum Bau einer Atombombe an die Russen verrät und 2000 als alte Dame wegen Hochverrats verhaftet wird. Regisseur ist Trevor Nunn. Ein süffiger Film, der lose an eine wahre Geschichte angelehnt ist. Judi Dench kennt sich mit den «true events» verblüffend nicht aus. Also überhaupt nicht. Aber das ist okay. Es geht ihr um die Rolle, nicht um den Wikipedia-Eintrag dahinter. Das ist eine ökonomische Arbeitseinstellung.
Sie betrachtet all die Aufnahmegeräte vor sich: «Mein Enkel besitzt eine Uhr, in die er sprechen kann und dann geht in seinem Haus das Licht an. Ich bin hoffnungslos mit Technik, ich kann kaum bügeln!» Vor ihr liegt etwas schmales Dunkles: «Ist das auch so eins?» Nein, das ist Schokolade, sagt ihr Produzent (okay, es sind Pfefferminzbonbons, egal).
Jetzt kommt auch er nach Zürich. Sie spielt die Verlegene und presst eine Hand auf ihre Brust: «Steh still, mein bebend Herz! Ich hab ihm gerade einen Brief geschrieben. Leider verpassen wir uns. Er kommt heut Abend, da bin ich schon weg. Richtet ihm meine Liebe aus!»
Ihr Mann nennt sie Elster, weil sie so viele Souvenirs und Awards sammelt. Aus Zürich wird sie den Golden Icon Award mitbringen: «Es gibt immer einen Platz für sowas! Ein Award ist sowas Wundervolles! Ich liebe den Namen ‹Golden Icon› – nicht zu verwechseln mit ‹GoldenEye›.» Ihrem ersten Bond also. Sie ist vernarrt in das Bond-Universum, immer schon, liebt die Gadgets, die kleinen Abenteuer, die sie während der Drehs erlebte, etwa, dass bei der Rückreise von einem Dreh in Panama am Zoll ihre Fingerabdrücke nicht gefunden wurden. «Ich sagte: ‹Ihr müsst sie haben! Vor einer Woche bei der Einreise waren sie noch da!› Sie hassten mich dafür und behielten mich noch etwas länger zurück.»
Frau Dench, macht Sie das politische Klima auf der Welt – der Brexit, Trump, der Populismus – nervös? «Sehr. Mehr als je vorher. Es hat mich noch nie so traurig gemacht, Nachrichten zu schauen. Wir sind an einem sehr kritischen Punkt. Und der Brexit ist reiner Wahnsinn.»
Was treibt Sie an? «Angst!» Auch nach sechzig Jahren Film und Bühne? «Die Angst generiert eine riesige Energie, wenn ich sie vor einem Auftritt nicht hätte, müsste ich tatsächlich um meine Arbeit fürchten.»