1989 fiel die Berliner Mauer und Meg Ryan fakte einen Orgasmus. Beide kamen 1961 zur Welt, die Mauer und Meg Ryan. Der Fall der einen führte zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Der Fake der andern zu einer historischen Vertiefung des Geschlechtergrabens: Männer konnten nicht glauben, was sie auf der Leinwand sahen. In «When Harry Met Sally», wo Meg Ryan gerade Billy Crystal in einem Restaurant vorstöhnte, wie das tönt, wenn eine Frau im Bett so tut, als ob. Und Frauen standen ab sofort dazu, dass nicht jedes «Oh! Oh! Oh!» mit einem Orgasmus gleichzusetzen ist.
Wie das denn gewesen sei, als der Regisseur von ihr die berühmteste Szene der romantisch-komödiantischen Filmgeschichte verlangt habe, will eine Dame von Meg Ryan am Samstagmorgen in Locarno wissen. Nicht der Regisseur habe die Szene erfunden, sondern sie selbst, sagt Meg Ryan. Der Regisseur wollte bloss, dass darüber geredet wird, sie wollte es spielen. Weil Komik für sie immer auch mit dem Körper zu tun habe.
Meg Ryan trägt an diesem Morgen ein weisses Baumwollkleid, flache Bequemschuhe, keinen Nagellack. Ihre Augen sind genau so hell und blau, wie wir sie aus dem Kino kennen, ihre Haare genau so blond. Ein bisschen Botox mag im Spiel sein, aber hey, sie ist Amerikanerin, da beginnen die berühmten Frauen schon mit 17 mit allerlei Massnahmen, wir können auch mal aufhören, uns darüber zu entrüsten. Und Meg Ryan strahlt. Eine glückliche, schöne Frau.
Sie empfängt uns in einem ganz und gar weiss eingerichteten Hotel am Berg, Fotos sind verboten. Kann sie was Nettes über Locarno sagen? Beinahe! «Ich liebe die Idee, dass George Clooney hier in der Nähe am Lago di Como lebt ... Und Sommer in den Schweizer Alpen ist so elegant, wow, das wird allen Erwartungen gerecht.»
Am Abend zuvor wurde «In the Cut» gezeigt, der erotische Psychothriller von Jane Campion aus dem Jahr 2003, in dem Meg Ryan eine sexuelle Faszination für einen grausamen Frauenmöder entwickelt und selbst beinah zu seinem Opfer wird. America's Sweetheart ist hier eine darke Diva.
«In the Cut» ist der grosse Kontrast zu «When Harry Met Sally», «Sleepless in Seattle», «You've Got Mail» und so weiter, die sie bald zur bestbezahlten Schauspielerin Hollywoods machten. Filme, in denen sie immer den exakt richtigen Mann trifft. Mehr als einmal heisst er Tom Hanks. Der amerikanische Durchschnitts-Idealmann. Hat sie nach «In the Cut» ihre Romcoms eigentlich anders betrachtet? Hat sie tatsächlich.
«‹In the Cut› ist die feministische Dekonstruktion des romantischen Mythos», sagt sie, «als wir den Film machten, wussten wird das. Jane Campion und ich redeten oft darüber. Sie sagte zu mir – und ich muss oft daran denken –, dass diese Idee vom edlen weissen Ritter, der ins Leben einer Frau tritt, eine sehr, sehr gefährliche Idee ist. Alle können daran nur scheitern, Frauen wie Männer. Aber all das ging verloren, als der Film rauskam und alle nur darüber schrieben, dass man Meg Ryan jetzt nackt sehen würde. Die Leute hassten nicht den Film, aber sie hassten mich im Film.»
Amerika wollte seiner Hollywood-Sonne nicht erlauben, dass sie sich auch mal verfinstert. Weil sie keine Lust hatte, unentwegt zu scheinen: «Das Label ‹America’s Sweetheart› wurde in den 40er-Jahren erfunden. Danach geriet es ausser Mode – bis es wieder auf mich angewendet wurde. Was nett war. Aber wie jedes Label ist es auch eine Beschränkung. America’s Sweetheart ist ein Archetyp. Aber ich will kein wandelnder Archetyp sein, ich bin ja ein Mensch aus Fleisch und Blut.»
Apropos Fleisch: Wie hat sie eigentlich die grosse Benachteiligungsfabrik Hollywood erlebt? In sexueller und finanzieller Hinsicht? «Als ich jung war, wurden die Verträge aufgrund deines bisherigen Erfolgs geschlossen. Da ich sehr früh sehr erfolgreich war, hatte ich Glück. Finanzieller Erfolg beschützt dich vor vielem: Wenn ich zum Vorsprechen ging, wurde ich nicht belästigt, aus Angst, dass ich darüber mit meinem Agenten, meinem Manager oder der Presse reden könnte.»
Sieht sie Fortschritte? Nicht unbedingt: «Mein Sohn ist Schauspieler und bei seinen Freundinnen seh ich, dass die gleichen systemischen Mechanismen noch immer wirkungsvoll sind: Dass die gleichen Leute wie früher noch immer junge Frauen zu mächtigen Männern schicken! Ich hoffe wirklich, dass endlich die ganze Branche beginnt, die jungen Leute zu beschützen. Wenn man so jung ist, hat man noch keine Ahnung.»
Ihr eigener Ruhm, sagt sie, färbe negativ auf ihren 25-jährigen Sohn Jack ab, er sei verunsichert, habe kein Gefühl für sein eigenes Image und seine eigenen Verdienste. Sie selbst steht seit zehn Jahren nicht mehr vor der Kamera, arbeitet lieber als Regisseurin und Produzentin: «Schauspielerin zu werden, war nie mein Kindheitstraum, ich war immer lieber eine, die beobachtet als der Beobachtung ausgesetzt zu sein.»
«Du musst gewissermassen kugelsicher sein als Star», sagt sie, «du brauchst eine gewisse Rüstung, du musst dich unentwegt gegen Zudringlichkeiten schützen, man braucht einen guten Bullshit-Detektor. Ruhm ist ein dramatischer Zustand. Sehr seltsam. Man befindet sich immerzu ausserhalb normaler Unterhaltungen – Menschen reden hinter deinem Rücken, sie zeigen dir Gesichter, die sie weder ihren Freunden noch ihrer Familie zeigen. Wenn man immer im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, verliert man die Neugier, das ist ungesund.»
Schaut sie sich ihre Filme, die andauernd im Fernsehen laufen, eigentlich an? Natürlich nicht. Aber jetzt hat ihre 13-jährige Tochter Mamas Romcoms entdeckt: «Plötzlich hör ich mich mit meiner Stimme von vor 25 Jahren aus ihrem Kinderzimmer sprechen.»
Neulich war zu lesen, dass sie noch diesen Sommer, genauer im August, also wohl ganz kurz nach ihrem Besuch in Locarno ihren seit 2010 immer mal wieder aktuellen Lover, den Sänger John Mellencamp, heiraten wolle. Stimmt das? «Nein», sagt sie, macht ihre Stimme dazu ganz tief und ernst und muss laut lachen.
Was macht ihr Leben sonst noch schön? «Neulich stieg ich in New York in ein Taxi, ich musste bloss ein paar Strassen weit, und der Taxifahrer sagt: ‹Oh, Meg Ryan, Sie fahr ich auch nach Paris!» Früher hab ich immer versucht, mich von sowas fern zu halten, aber dann hab ich mir gesagt: Wenn die Leute nett zu mir sind, bin ich auch nett zu ihnen. Das hat mein Leben sehr viel leichter gemacht.» Merken wir uns das.