Er hat dunkle Fantasien. Sie plagen sein Gewissen, denn: Er ist Christ. Das führt zu riesigen Interessenskonflikten zwischen seinem Geldjob und seinem spirituellen Boss. Doch dazu etwas später. Beginnen wir beim Intro der Intros. Oder dem Vorspann, der Titelsequenz, kurz, diesem Ding, das zu benennen beinah so schwierig ist wie der Warentrennbalken auf dem Fliessband vor einer Supermarktkasse.
Herr Cooper, das Einzige, was in Ihrem
Portfolio noch fehlt, ist der Vorspann eines Bond-Films. Sonst haben Sie ja
alles von «American Horror Story» über «Avengers», «Se7en», «The Walking Dead», «Feud», «Hulk», «Godzillas» etc. schon gemacht. Hätten Sie keine Lust auf den Klassiker unter den
Titelsequenzen?
Und ob! Vor vielen Jahren wurde ich gefragt,
ich glaube, es war Lee Tamahori für «Die Another Day». Ich hab mich total
gefreut, aber dann hiess es, ich müsse zuerst britischer Staatsbürger werden,
um bei einem Bond mitzumachen.
Wenn ich Ihre Arbeiten anschaue, dann
schmilzt, brennt, zerspringt immer irgendwas. Als müssten Sie andauernd das
gute alte Celluloid zerstören. Was ist daran so faszinierend?
Ich scheine immer auf dieses eine Bild
zuzusteuern: Auf Gesichter, die zerstört werden. In «Se7en» gibt es einen
Jungen, dessen Augen übermalt werden, in «American Horror Story» brennen die
Gesichter kleiner Kinder ... Ich glaube, es gibt in meiner Arbeit dieses Thema,
dass junge Menschen dabei zuschauen
müssen, wenn entsetzliche Dinge geschehen. Ich weiss nicht, ob das
unterbewusst mit meiner Kindheit zu tun hat, ob ich da entsetzliche Dinge
gesehen habe ...
... an die Sie sich nicht erinnern?
Ich hab nie gesagt: Ich muss die Gesichter von Kindern
verbrennen, weil ich selbst als Kind Zeuge von Gewalt oder so wurde. Es ist
einfach da. Neulich habe ich mir «American Horror Story» wieder angesehen und
gedacht: Krass, wie viel ich verbrenne. Und als ich für «Fahrenheit 451»
gearbeitet habe, verbrannte ich logischerweise viele Bücher und Buchcover. Aber
mir war, als würde ich Menschen, nicht Bücher verbrennen. Ich dachte: Wenn wir
Bücher verbrennen, verbrennen wir auch die Menschlichkeit.
Ihre Titelsequenzen sind wie kleine
Zusammenfassungen oder Analysen dessen, was danach kommt. Haben Sie sich im
Fall von «Se7en» gefühlt, als wären sie Sigmund Freud und David Fincher läge
bei Ihnen auf der Couch?
Ich betrachte mich nie als Analytiker, ich
betreibe keine Forschung, ich will bloss die Geisteskrankheiten und die
Obsessionen eines Regisseurs und seiner Figuren verstehen und mich in sie
hineinfallen lassen. David hat eine sehr dunkle Seite. Ich vermute mal, er war
sich nicht bewusst, wie dunkel ich sein kann. Die Kombination unserer beiden Dunkelheiten
hat diese interessante kleine Arbeit hervorgebracht.
Was ist schwieriger: Einen Film oder eine
Serie zu eröffnen? Schliesslich ist das Intro einer Serie sowas wie das
Dach, unter dem stärkere und schwächere Folgen und verschiedene Regisseure
zuhause sein müssen.
Ja! Das ist doch das, was eine Stimmung setzt,
eine Erwartung schürt und damit alles zusammenhält. Meine Brüder und ich freuten uns früher besonders auf die Titelmelodien. Ganz ehrlich? Ich ärgere
mich über diese Funktion bei Netflix, mit der man den Vorspann überspringen
kann.
Die ist sehr unhöflich.
Absolut unhöflich! Und ja, ich ziehe Filme
vor. Besonders solche, in denen die Titelsequenz bereits Teil der Handlung und
damit nicht ignorierbar ist. Wahrscheinlich kommen wir irgendwann an den Punkt,
wo jede einzelne Folge einer Serie ihre eigene Titelsequenz erhält. Im Moment
ist das aber noch zu teuer.
Was war Ihre grösste Herausforderung?
Die Herausforderung sind immer die Menschen,
mit denen ich arbeite. Die Frage ist immer: Wie viel Druck lastet auf dem
Regisseur? Je grösser das Studio, je grösser das finanzielle Risiko, desto
grösser der Druck, der auf alle runtersickert. Manchmal versteh ich auch
einfach nicht, was jemand von mir will. Es ist so leicht, in Hollywood gefeuert
zu werden.
Sie? Wer kommt denn auf die Idee, Sie zu
feuern?
Oh, ich wurde schon gefeuert. Ich merkte davon
nichts, man liess mich weiterarbeiten, bis ich herausfand, dass ich schon durch
einen andern ersetzt worden war.
Hollywood ist ein schrecklicher Ort.
Manchmal geschehen dort wundervolle Dinge.
Aber meist herrscht sowas wie das organisierte Verbrechen.
Neben all den dunklen Stoffen arbeiten Sie ab
und zu aber auch für populäre Superhelden-Filmen wie «Spider-Man».
Und sehr gerne. Mit den Jahren merkte ich, es
muss in meiner Arbeit nicht immer nur um Wut und Angst gehen. Als ich jung war,
konnte ich nicht anders, da musste was raus. Aber um auf das Verbrennen zurück
zu kommen: Ich liebe es, Dinge zu zerstören, die mir lieb und heilig sind. Wenn
ich Horror mache, will ich mich selbst erschrecken, etwa mit dem Verbrennen der
amerikanischen Flagge.
Ehrlich? Die Flagge zu verbrennen, erschreckt
sie?
Ja! Ich bin Christ! Etwas zu entweihen,
schockt mich!
Okay?
Bei «American Horror Story: Asylum», lasse ich
die Jungfrau Maria am Ende fies lächeln. Furchtbar! Ich überlegte mir auch, sie
auf den Kopf zu stellen und mit Blut zu übergiessen. Gefilmt wäre sie aufrecht
gestanden und es hätte ausgesehen, als würden blutige Finger ihr Gewand
hochkriechen. Eine entsetzliche Idee.
Sie mögen die Jungfrau Maria?
Ich mag Gott! Und wenn ich Angst habe, wende
ich mich an Gott.
Versteh ich das richtig: Zuerst erschrecken
Sie sich selbst ...
... und dann bitte ich Gott um Verzeihung.
Genau.
Damit er Ihnen gegen Ihre eigene Fantasie
hilft. Das ist ziemlich dunkel und verrückt.
Finden Sie? Die neue Staffel von «American
Horror Story», für die ich gerade arbeite, heisst «Apocalypse». Ich muss mir
also all die alten Bilder von Teufeln und anderen Dämonen anschauen. Ich will
das alles sehen und verbrennen und so, habe aber auch Angst, ein ungesundes
Interesse für Satanismus zu entwickeln.
Keine Angst, es ist nur ein professionelles
Interesse.
Ein Freund von mir ist ebenfalls Christ. Und
Anwalt. Er sagt immer: «Sei froh, dass du keine Mörder verteidigen musst wie
ich!»
Sie arbeiten bloss mit Fiktionen.
Ja. Das ist auch immer mein Argument. Es ist
Unterhaltung.
Wollten Sie nie selbst Regie führen?
Soll ich mich grämen, weil ich nicht Ridley
Scott bin? Nein, ich bin dankbar für alles, was ich erreicht habe. Aber ja, ich
hab’s mal versucht, ich kam nicht weit, das Material schaffte es nicht einmal
bis in den Schnitt und ich war sehr beleidigt und deprimiert. Zudem ist Filmemachen teuer und ich musste
ganz einfach meine Familie ernähren, ich habe vier Kinder. Aber inzwischen hat
meine Frau eine Firma für Virtual Reality gegründet, die von Walmart gekauft
wurde, und ich kann es mir leisten, etwas weniger für Geld zu arbeiten.
Das klingt sehr nach einem künftigen
Filmprojekt ...
Na ja, ich habe jetzt so viele junge Leute in
der Kunst der Titelsequenz ausgebildet, es braucht mich nicht mehr so dringend.
Und ich habe in den letzten Jahren auch enorm viel gelernt, ich sass zu Füssen
von Regisseuren wie Fincher, Aronofsky, Malick, eine bessere Masterclass gibt’s
wahrscheinlich nicht.
Okay, was also wird Ihr Meisterwerk?
Es muss eine Geschichte sein, die mir am
Herzen liegt. Gestern erzählte mir ein Regisseur, wie er einen Film über seine
Kindheit gemacht hat. Ich dachte an meine eigene Kindheit und ich glaube,
daraus könnte es einen Stoff geben ...
Mögen Sie über Ihre Kindheit reden?
Natürlich! Aber das dauert zu lang.
Zwei, drei Sätze?
Ich wuchs am nördlichen Ende von Boston auf,
wir gehörten zur Arbeiterklasse. Meine Eltern liessen sich scheiden, als ich
klein war. Als ich dreizehn war, wurde meine Mutter von einem Motorrad
angefahren und lag fünf Jahre lang im Koma. Dann starb sie. Meine beiden Brüder
und ich lebten ohne Eltern in unserem Haus. Es waren kalte, trostlose Winter.
Oft konnten wir das Haus nicht heizen. Von dieser Trostlosigkeit möchte ich
erzählen. Verzeihen Sie, ich bin sehr müde. Hab ich Ihnen irgendwas Spannendes
erzählen können?
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