Er liegt ein paar Kilometer südlich der Komfortzone: der Ort, an dem «the magic happens». Angeblich. Auch bekannt als dein neues Zuhause. Deine neue Stadt. Eines kann ich dir aber jetzt schon garantieren: Was nach dem Tapetenwechsel kommt, sieht ziemlich sicher anders aus als das, was du dir vorgestellt hast.
Zeit für ein paar Denkanstösse, um die vielfältigen Möglichkeiten der sozialen Enttäuschung vorab zu klären – und das Beste aus der Anfangszeit herauszuholen.
Also spar dir die verzweifelte Freitagabend-Nachricht an deine Mitbewohnerin («Wollen wir etwas trinken? Habe Sekt gekauft») für den Moment auf, in dem sie sich von ihrem Partner trennt. Davor zählst du in 80 Prozent aller WGs als «die nette Mieterin» auf Zeit, die sie im Internet aufgegabelt haben.
Freundschaften entstehen nicht durch Zwang. Wenn du Glück hast, ist jemand direkt vor deiner Nase als Komplizin für langweilige Nächte geeignet. Falls nicht: Es werden Menschen kommen. Irgendwann.
Ja, du wohnst jetzt schon vier Monate da und nein, das bedeutet nicht, dass du schon angekommen bist und alles gesehen hast. Wie lange hast du gebraucht, um dich zuhause zu den coolen Kids zu zählen, die automatisch auf die Gästeliste der Dorfdisco gesetzt werden, einfach qua Existenzrecht? Zwei oder sieben Jahre? Eben.
Nur weil du einsam bist, musst du nicht auf Erasmus-Feiern oder Couchsurfer-Treffen gehen – auf Teufel komm raus Anschluss finden, funktioniert selten.
Sieh es lieber so: Die erste Zeit ist für dich reserviert, für dich alleine. Finde nachts im Dunkeln den Weg ins Badezimmer. Das Mehl im Supermarkt.
Und vermeide es, dich mit zu vielen Plänen zu überfordern – du wirst es dir danken, sobald du erschöpft aber glücklich auf der Couch einschläfst.
Eingezogen ist man dann, wenn ein Bett, eine funktionierende Spüle und ein Herd in der Bude steht. Im besten Fall sind die letzten Beiden sowieso schon eingebaut. Im schlechtesten Fall bist du nach Berlin gezogen. All das Zeug zu besorgen, kostet Zeit, Geld, und 4,7 Nervenzusammenbrüche.
Achtung, Sarkasmus: Besonders hilfreich sind dabei Läden, die zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet haben. Ideal also für Menschen, die einer Vollzeitarbeit nachgehen und auch sonst noch so etwas wie einen Haushalt schmeissen müssen. Vier Wochen später merkt man dann, dass die Kontaktlinsen auf ihre Abholung warten.
Kurz gesagt: Meiner Erfahrung nach hindert Menschen beim Ankommen nichts so sehr, wie eine Vollzeitstelle. Morgens früh zur Arbeit, abends zurück, Privatleben adé. Es sei denn, man hat einen Betrieb gefunden, der einen mit ausreichend Sozialkapital versorgt.
Skypegespräche aus Vietnam zu führen, um schon am zweiten Tag die scheinbare Sicherheit einer Festanstellung zu fühlen, ist übrigens auch keine Lösung. Du wirst einen Job finden.
Ein bisschen Inspiration, wie du deinen Wohnraum einrichten kannst:
Es sind banale Dinge, die ein Zuhause ausmachen. Der kleine Kopierladen ums Eck oder der Kanal zwei Kilometer weiter, an dem du immer mit dem Fahrrad vorbeifährst und den Ausblick geniesst. Heute noch fremd, werden diese Orte irgendwann in deinem Kopf mit Zuhause-Assoziationen verknüpft sein.
Finde deine Lieblingsorte. Erzwinge die Parks, Seen oder Kanäle in deiner neuen Umgebung aus eigener Kraft – und mach Fotos von ihnen, die über der Spüle hängen.
Lerne deine Nachbarn kennen, sie erzählen dir mehr über das Haus, als es deine Hausverwaltung je tun würde. Ein Stammdönermann soll auch helfen. Vor allem nachts um drei.
Die wirst die Sache mit dem Umzug eventuell komplett unterschätzt haben und nicht wissen, wohin mit deinem Zeug. Plötzlich brauchst du eine Garderobe und Badezimmerschränke, weil so eine Altbauwohnung mit gar nichts kommt. Und mit gar nichts meine ich zum Beispiel auch ohne Küche.
Zu dem Zeitpunkt, an dem du deine Eltern und richtige Möbelstücke vermisst, kommen die im Voraus gebuchten Flüge gerade rechtzeitig.
Aber Achtung: Wer zu oft nachhause fährt, vegetiert irgendwo zwischen einer langen Reise und einem richtigen Zuhause.
Ist zumindest genauso abgedroschen wie wahr. Du kannst natürlich auch noch die ersten drei Jahre psychisch abwesend sein und geistig in deiner alten Heimat hängen. Nützen wird es dir beim Ankommen aber vermutlich genauso wenig wie das vorgegaukelte «Interesse» an random Facebook-Veranstaltungen.
Nichts für ungut, aber eines ist gewiss: Die Zahl der von dir zurückgelassenen Freunde wird sich zumindest halbieren, wenn du langfristig bleibst. Denk nicht zu viel darüber nach, auch das gehört dazu. Ausserdem bekommst du in der Regel genauso viel dazu, wie du loslässt.
Andere Perspektiven, einen erweiterten Horizont, Unabhängigkeit und die Möglichkeit, trotzdem jederzeit abzuhauen, wenn es dir zu viel wird.
Onlinedating ist nicht gleich Onlinedating – auch wenn der deutschsprachige Raum gerne an bekannten Konventionen festhält. Warum so verkrampft – kann man sich nicht auch via Apps verabreden, um einen interessanten Abend zu haben? Ein schnelles Eintauchen, ohne Umwege und Anbiederei?
Facebook-Nachbarschaftsgruppen können auch eine gute Möglichkeit fürs erste Kennenlernen sein. Genauso wie die Giesskanne, die du über eBay-Kleinanzeigen abholst.
Falls du nach Rom ziehst. Selbsterklärend steht dieser Satz für alles, was Sprache zur Integration in eine neue Stadt beiträgt.