Da wurde mir bewusst: Meine Airbnb-Mieter haben Sex in meinem Bett
bild: unsplash
Was die Vermietung meiner Wohnung auf Airbnb mit diesem Zuhause-Gefühl macht.
09.10.2017, 09:2110.10.2017, 04:48
wanda lehner*
Jedes Mal, bevor ich meine Wohnung
auf Airbnb vermiete, räume ich erst mal alle Wertgegenstände in eine Kiste und
bringe sie hinunter in den Keller. Kameras, Dokumente, meine Anlage, Ladekabel,
das neue Paar Schuhe (man weiss ja nie), Parfüms, Schmuck, Kosmetik und meinen
Lieblingsrucksack. Den Rest, sage ich mir, wird schon keiner mitnehmen, da es
sich grossteils um Möbel und alte Klamotten handelt und die Schubladen zu
verkleben, das wäre schon ein wenig paranoid. Oder? Ich hänge beschriftete
Post-Its zur ersten Orientierung in die Küche und hole den «Herzlich
Willkommen»-Zettel aus der Schublade wie eine fleissige Hotelbetreiberin.
Fertig.
Versteht mich nicht falsch: Airbnb ist gerade in Städten mit horrenden Mietpreisen eine perfekte Möglichkeit, um
sich die Samstagsschicht im Supermarkt zu ersparen. Wer wegfährt, kann Teile
seiner Wohnung relativ unkompliziert an fremde Touristen vermieten, und es mag sogar
Menschen geben, die eine Woche pro Monat bei Freunden übernachten, um sich die
fehlenden Moneten für die Miete sozusagen im Schlaf dazuzuverdienen.
Airbnb ist
in über 190 Ländern und rund 65'000 Städten vertreten und hat nach eigenen
Angaben im Jahr 2016 rund 60 Millionen Gäste vermittelt und über zwei Millionen
Inserate geschaltet. Aber ganz ehrlich, wenn ihr mich fragt: Wer nicht muss,
wird seine Wohnung – das Privateste, das er besitzt – wohl kaum im Internet zum
Sparpreis anbieten.
Airbnb ist für viele eine bittere Notlösung geworden.
Anfang des Monats wurde mein Flug
nach München abgesagt, als ich bereits im Flugzeug sass. Also, alle wieder raus
und ab nach Hause. Theoretisch. Da ich meine Wohnung bei Airbnb vermietet
hatte, war das für mich nicht möglich. So stand ich also, mit grosser Vorfreude
auf einen Besuch bei meinen alten Studienfreunden, am Flughafen, und konnte
gottverdammt noch nicht einmal in meine eigene Wohnung zurück.
Ich rief einen
Freund an, der mich zum Glück für ein paar Tage beherbergen konnte, da er
selbst nicht zuhause war. Den Schlüssel bekam ich von seiner Nachbarin. Aber
angenehm, das ist wirklich etwas anderes. Ich kam mir dumm vor, und auch
irgendwie geizig. Frei nach dem Motto: «Och, bei dir schlafen wär schon nett,
ich verdien ja nebenbei gerade Geld.»
Dass ich in Wahrheit nichts lieber gemacht hätte, als meine Besucher sofort wieder rauszuschmeissen und in mein eigenes Bett zu kriechen, sagte ich natürlich niemandem.
Obwohl ich eine neue Unterkunft bekam,
fühlte ich mich schäbig. Ich war in der Stadt, in der ich lebte, ausquartiert
worden und musste den Alltag von einem neuen Ort bestreiten, bei dem es sich nicht
um ein Hotel handelte. Ich war fremd in meiner eigenen Gegend und lebte aus dem
Koffer, obwohl ich doch fünf Stationen weiter meine Wohnung hatte.
Wie absurd ist das denn?
Der Gedanke ging mir nicht aus dem
Kopf – auch wenn meine temporäre Bleibe wirklich okay war, diese Geschichte war
es nicht.
Am dritten Tag erzählte ich meinen
Airbnb-Gästen von dem Zwischenfall und fragte, ob ich vielleicht am Sonntag
kurz in die Wohnung könne (haha, in meine eigene Wohnung!), um ein paar Sachen
zu holen. Sie waren zum Glück verständnisvoll und so machte ich mich auf den
Weg in meine besetzte Wohnung.
Als ich die Tür aufschloss, und zum
ersten Mal fremde Schuhe in meinem
Flur – plötzlich entwickelte mein Körper bei den banalsten Dingen
Besitzansprüche – stehen sah, bekam ich in einen Kloss im Hals. Fühlt sich so Zuhause an?
Ich ging in die Küche und checkte erst mal den Kühlschrank. Noch
alles da. Das Besteck hatten sie falsch eingeordnet, aber wem kann man diese
Kleinigkeit verübeln. Seltsam allerdings ist es schon, die Töpfe nicht dort vorzufinden,
wo man sie das letzte Mal hingestellt hatte. Als ob jemand mit Schlüssel eingebrochen wäre. Im Bad: fremde Zahnbürsten,
Bademäntel, meine von mir Unbekannten benutzten Handtücher. Und, das
Allerschlimmste: Mein Bett mit den Schlaf-T-Shirts anderer Menschen obendrauf.
Ich dachte an Szenarien, an die man nicht denken sollte und blockierte das Kopfkino mit den Profilfotos meiner Besucher. Brrr.
Nicht meins, nicht meins, auch nicht meins.bild: shutterstock
Was hatte ich erwartet, fragte ich
mich. Dass sich Menschen in Luft auflösen, sobald sie meine Wohnung betreten,
dass ich keinerlei Spuren vorfinden würde in meinem Schlafgemach? In der Regel
ist das nämlich genau so: Mein Nachbar übergibt den Schlüssel und wenn ich
wieder da bin, ist alles bis aufs kleinste Detail genau so wie vorher. Dieses
Mal war es natürlich anders, da ich nicht nur auf die Wohnung angewiesen war,
sondern auch live vorbeischaute.
Als meine Wohnung am Dienstagmorgen
wieder frei war, spürte ich Erleichterung. Niemand hatte meine privaten
Gegenstände auf einem Flohmarkt verhökert und auch die Küche ist nicht abgebrannt.
Die Befürchtung, so etwas könnte doch irgendwann einmal passieren, wenn ich so
fahrlässig weitermache, bleibt vermutlich solange, bis ich mich von der Plattform
abmelde.
Es ist das Risiko, das man bei «Sofortbuchungen» – ohne vorherigem Mailverkehr – mitträgt. Das Vertrauen, das man in die Menschheit aufbringen und gemeinsam mit dem Materialismus ablegen sollte.
Denn, ganz ehrlich: Wer mietet ein
Apartment für mehrere hundert Franken, um dort Gegenstände von geringem Wert
mitgehen zu lassen? Wer würde absichtlich etwas kaputt machen? Die wenigsten.
Zudem ist Airbnb keine anonyme Plattform, die dich bei Schaden auflaufen lässt.
Zumindest schreiben sie es so: «Für den seltenen Fall, dass ein Gast das
Eigentum eines Gastgebers beschädigt, deckt die Airbnb-Gastgeber-Garantie
Schäden bis zu einem Wert in Höhe von 800.000 Euro ab.»
Solange mich nicht jemand vom
Gegenteil überzeugt, bleibe ich dabei und hole mir das Geld für Gas, Strom,
Handy und Internet durch zahlungswillige Touristen rein, die gerne eine «echte
Wohnerfahrung» machen möchten. Solange es funktioniert, muss ich mich damit
arrangieren, dass andere Menschen in meinem Bett Sex haben und genau dort
essen, wo ich für gewöhnlich schreibe.
Ich investiere vorher und nachher
an die zwei Stunden, um alles sauberzumachen, das Bett neu zu beziehen und meine
Wohnung von den Spuren anderer zu befreien. Sie wieder ganz mein zu machen. Bis
zur nächsten Buchung zumindest.
Immer noch besser als ein
Samstagsjob, sag ich mir, bevor ich mich mit einem guten Buch auf die Couch
lege.
*Richtiger Name der Redaktion bekannt
Wenn wir schon beim Thema sind – Das übelste Airbnb der Schweiz:
Video: watson
Und die 20 angesagtesten Unterkünfte auf Airbnb:
1 / 44
Die 20 angesagtesten Unterkünfte auf Airbnb