Nebel
DE | FR
Leben
Gleichstellung

Hört endlich auf, Frauen wegen Klamotten zu beleidigen

German singer Helene Fischer performs on stage during a concert in Basel, Switzerland, Tuesday, June 26, 2018. (KEYSTONE/Melanie Duchene)
Helene Fischer bei einem Kozert in Basel.Bild: KEYSTONE

Von wegen «nuttig»! Hört endlich auf, Frauen wegen Klamotten zu beleidigen

18.07.2018, 08:5918.07.2018, 18:38
Gunda Windmüller / watson.de
Mehr «Leben»

Frauen, die kurze Kleider und tiefe Ausschnitte tragen, werden schnell als leicht zu haben bezeichnet. Als billig, als ordinär.

Diese Vorurteile sind altbekannt. Leider. Jüngstes Beispiel dafür: ein Artikel über Helene Fischer.

Die Sängerin hat ein Konzert in Hamburg gegeben. Wie sie dabei angeblich wirkte, lässt sich später in einem, nennen wir es Konzertbericht, nachlesen:

«Man könnte es ‹nuttig› nennen.»

Gemeint war ihr Outfit.

In dem Text bespricht der Autor unter anderem die Bühnenshow, Fischer habe gleich mehrere Outfitwechsel vollzogen. Und so beschreibt er sie:

«Da stand sie auch bereits im dritten Outfit auf der Bühne, nach Hot Pants in Teil eins, die man wohlwollend als preiswert hätte beschreiben dürfen, auch wenn der gern mal derbe Hanseat vielleicht sogar zum Wort «nuttig» gegriffen hätte, folgte das kurze, silbrige Paillettenkleid, es sollten, so wir uns denn nicht verzählt haben, fünf weitere Roben folgen.»
Stefan Krulle in «Welt»

Zunächst: Helene Fischer ist Popsängerin. Zum Wesen des Pop gehört – von David Bowie über Madonna bis Rihanna und ja, Schlagerstars inklusive – die Inszenierung durch Mode.

Mehrere Outfitwechsel bei Konzerten sind normal, sie gehören dazu. Beyoncé und Jay-Z sind nicht die einzigen, aber wohl die prominentesten Musiker, die sich von Star-Designern für ihre Auftritte auffällige Outfits massschneidern lassen.

Beispiel A:

Das kann man irgendwie oberflächlich finden, die Kritik sollte sich dann aber an eine ganze Branche richten, die mit schönem Schein und nackter Haut Geld umsetzt – und an das Publikum, uns, das das ja offenbar sehen will. 

Hier geht es aber um etwas anderes. Hier geht es zum einen um die Wortwahl. Und es geht um das Abstrafen von Klamotten. Das Gleichsetzen von Kleidungsstil und sexueller Verfügbarkeit.

Kann eine Frau sich nicht einfach mal kleiden, wie sie will, ohne dafür geshamed zu werden?

Das Wort «nuttig». Es stand sogar in der Überschrift des Artikels.

Denn wer ein Outfit «nuttig» nennt, der beschreibt nicht einfach objektiv ein Kleidungsstück. «Nuttig» ist nicht gleichbedeutend mit «kurz» oder «rot» oder «fransig».

Nuttig wertet. Nuttig wertet ab.

«Nutte» war ursprünglich ein abwertend gemeintes Wort für das weibliche Geschlechtsteil. Eine «Nutte», so wie der Begriff heute verstanden wird, ist eine Prostituierte. Eine billige Prostituierte. Eine billig herausgeputzte Frau. Sexuell verfügbar. Leicht zu haben, aber auch leicht loszuwerden.

In anderen Worten: Nicht viel wert.

Eine Frau trägt Hotpants und erscheint so, wie «der derbe Hanseate» sagen würde – höhö – «nuttig», heisst es in dem Text. Kurz wird hier gleichgesetzt mit billig; das müsste sie auch eigentlich wissen und dürfte sich also vermutlich noch nicht mal selber über diese Bewertung beschweren. 

Frei nach dem Motto: «Wenn du das nicht willst, dann knöpf dir doch die Bluse zu!»

Dafür lassen sich etliche Beispiele finden.

Nennen wir ein paar: Nachdem sie ihr Video zu «Dangerous Woman» veröffentlicht hatte, wurde Ariana Grande von unzähligen Usern in den sozialen Medien als «slut» (Nutte) oder «whore» (Hure) beschimpft. Ihr Vergehen? Sie ist in dem Video in Unterwäsche zu sehen.

Eine Frau! In Unterwäsche!

Wenn Heidi Klum Fotos in Unterwäsche postet, wird gefragt, wie tief sie noch sinken wolle. In ihrem Alter! Ihr Vergehen? Sie ist über 40.

Chrissy Teigen, die mit einem hochgeschlitzten Kleid auf einer Award-Show auftrat, bekam danach nicht nur zu hören, dass sie eine «Hure» sei. Auch «peinlich» sei sie, «billig» und «widerlich».

Merke: Als Frau darf man nicht ungestraft Haut zeigen.

Das gilt auch für Nicht-Promis. So hiess es über die sexuelle Belästigung einer Frau in der Pressemitteilung der Polizei Leipzig:

«Magisch von den ebenmässigen Formen einer 25-Jährigen angezogen, griff er ihr in der Strassenbahn Linie 9 an die Brust und erntete dafür wohlverdient ihren Missmut.»

Der Täter war «magisch angezogen», also quasi machtlos. Hätte sie sich mal was anderes angezogen!

Noch ein paar Sätze, die wir so nicht mehr hören können:

Die Kleidung einer Frau sagt nichts darüber aus, von wem sie wie angefasst werden möchte. Denn das entscheidet die Frau selbst und nicht ihre Hosenlänge.

Daher zum Mitschreiben: Niemand muss sich die Bluse zuknöpfen. Und Helene Fischer, Chrissy Teigen, Heidi Klum, sowie alle anderen, dürfen tragen, was sie möchten. Hotpants, Glitzerkleidchen, Kartoffelsäcke oder teure Roben. Völlig egal.

Jede Frau hat das Recht dazu. Und jede Frau hat zugleich das Recht dazu, wegen ihres Outfits nicht beleidigt zu werden. Nicht abschätzig beurteilt zu werden. Nicht in Frage gestellt zu werden. Das Outfit einer Frau sagt nichts aus über ihre Moral oder ihren Wert. Genauso wenig wie die Anzahl ihrer Partner, ihr Tanzstil oder ihr Make-up.

Aber bevor solche Klischees nicht endlich verschwinden, werden wir wohl keine Hoffnung auf eine Gesellschaft haben können, in der Frauen sein dürfen, was sie möchten. Ohne Angst, dafür abgewertet oder – schlimmstenfalls – angegriffen zu werden.

Die Freiheit einer Frau hört nicht an ihrem Rocksaum auf!

Man kann Helene Fischers Klamotten gerne unschön finden; schlecht geschnitten, zu bunt, zu glitzernd, wasauchimmer.

Man kann auch Helene Fischer selber zu bunt, zu glitzernd oder wasauchimmer finden.

Aber nuttig, nuttig ist sie nicht.

Update: Die «Welt» hat mittlerweile das Wort «nuttig» aus dem Artikel gestrichen.

Frauen sollten ...

1 / 6
Frauen sollten...
Die Kampagne der UNO zeigt: Die Google-Autovervollständigung bringt sexistische Denkmuster ans Licht. (Anfragen vom 9. März 2013)
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
212 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Hierundjetzt
18.07.2018 09:52registriert Mai 2015
Die grössten Feinde der Frau sind andere Frauen. Kein Mann der Welt-Redaktion hätte auch nur im Ansatz diese Zeilen geschrieben. Nö.

All dieses Body-Shaming, Fat-Shaming, Clothes-Shaming, n-Shaming stammen zum überwiegenden Teil von Frauen die in Frauenzeitschriften ach so wichtige Trends herbeischreiben. Bestes Beispiel: Frau ist nur dann schön, wenn das Bikinihöschen eine Brücke macht? Pardon? Welcher Mann käme im Leben auf sowas dämliches!


Sexuelle Übergriffe sind immer noch strafrechtlich relevant und müssen sanktioniert werden. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
63644
Melden
Zum Kommentar
avatar
sealeane
18.07.2018 09:33registriert November 2017
Tut mir leid ich bin sehr pro Feminismus. Und klar ist nuttig hart und kaum angebracht. ABER Frauen die sehr knappe Kleider oder mit viel Ausschnitt anziehen suchen und provozieren damit Aufmerksamkeit... Das manche davon auch negativ ist, ist das Risiko für das sie sich entscheiden. Das soll NICHT heissen das Männer das Recht haben diese zu belästigen oder Ähnliches. Aber wundern braucht sie sich auch nicht.
Und ja zu knappe Kleider wirkt Billig, wenn sie dies nicht will soll sie ihre Kleider dementsprechend wählen.
Männer mit weit aufgeknöpftem Hemd wirken auch billig.
466151
Melden
Zum Kommentar
avatar
Boogie
18.07.2018 14:53registriert April 2014
Ich finde den Artikel ehrlich gesagt etwas "naiv". Aussagen wie "Das Outfit einer Frau sagt nichts aus über ihre Moral oder ihren Wert. Genauso wenig wie die Anzahl ihrer Partner, ihr Tanzstil oder ihr Make-up." sind doch sehr fragwürdig und weltfremd. Wie sich jemand kleidet, tanzt oder sich gegenüber dem anderen Geschlecht verhält, sagt sehr wohl etwas über die Person aus. Und wenn sich eine Frau sehr offenherzig oder zugeknöpft kleidet, dann bewusst oder unbewusst aus einem bestimmten Grund. Im Fall von Helene Fischer ist es dann wohl Teil des Buisness, sprich Geldmacherei.
15322
Melden
Zum Kommentar
212
Film über stummen kurdischen Jungen erhält Grossen Preis von Genf

Der diesjährige Grosse Preis von Genf des Internationalen Filmfestivals und Forums für Menschenrechte (FIFDH) geht an die britische Produktion «Name Me Lawand». Der Film handelt von einem stummen irakisch-kurdischen Jungen, der mit seinen Eltern nach Grossbritannien flieht und dort neue Wege entdeckt, sich auszudrücken.

Zur Story