Ein Mal im Jahr klebt Vreni aus Bonstetten (48, Hausfrau und Mutter) sorgfältig zwei Smileys über ihre Nippel, wickelt sich in ein enganliegendes, durchsichtiges Netzkleid und staubt ihre Buffalos ab. Sie zupft ihre freche, violett-rote Kurzhaarfrisur zurecht und sagt mit einem Lächeln auf den Lippen zu ihrem Ehemann Heinz:
Es ist Street Parade. Für Vreni DAS Ereignis des Jahres. Für eine andere Gattung Mensch ... der Super-GAU:
Nein, er hasst sie nicht, das würde ja bedeuten, dass er Gefühle für sie hegt. SIE IST IHM EGAL. Sagt er. Und verzieht sich jedes Jahr aufs Land zu seinen Eltern. Nur nicht dieses Jahr. Dieses Jahr ist alles anders …
Hallo, danke, dass Sie sich für ein Interview zur Verfügung stellen. Ich weiss, das ist nicht einfach für Sie.
Du kannst Du sagen. Eigentlich heisse ich Stefan, aber seit ich meine Yoga-Weiterbildung abgeschlossen habe, nenne ich mich Shyam.
Okay, Shyam. Wieso bist du dieses Jahr an der Street Parade und nicht so wie immer bei deinen Eltern auf dem Land?
Meine Eltern haben mir letzte Woche eröffnet, dass sie mein Philosophie-Studium nicht noch weitere zwölf Jahre unterstützen wollen – und ich jetzt mein eigenes Geld verdienen muss. Auf RonOrp habe ich ein Jobangebot gesehen, das mir zugesagt hat: «Magst du Menschen nicht? Dann haben wir den perfekten Job für dich!» Da hab ich mich sofort gemeldet.
Und was genau ist jetzt dein Job hier?
Ich verteile Kondome.
Du bist jetzt ja das erste Mal an der Street Parade. Hast du schon etwas Krasses erlebt?
Ja. Vorhin war ich an der Bar und wollte etwas zu trinken kaufen – mega günstig übrigens, ein kleiner Becher Bier für nur zehn Franken, say whaaat. Auf alle Fälle hat die Bedienung an meinem Dialekt sofort erkannt, dass ich Stadtzürcher sein muss und gemeint, sie auch! Ich habe gefragt, ob sie auch im Kreis drei wohnt und sie sagte, ... sie sagte, sie wäre ... aus Oerlikon.
Das tut mir Leid.
Schon ok. Ich hätte schon vorher merken sollen, dass sie nicht aus der City sein kann.
Warum?
Sie hat Danke und Bitte gesagt.
War wenigstens das Bier gut?
Nein, statt meinem IPA aus der Mikrobrauerei bekam ich bloss einen Becher mit irgendeiner Pfütze.
Konntest du wenigstens ein bisschen Drogen konsumieren?
Nein. Mein Dealer war so ausgelastet, dass ich gezwungen war, heimlich die Bierbecher, in die die anderen Gäste uriniert hatten, zu trinken. So konnte ich wenigstens ein bisschen Drogen in meinen Körper schütten.
Wäh!
Ehrlich gesagt, habe ich beim ersten Schluck gedacht, es sei dieses Bier aus der Flasche mit dem Schlösschen. Dann war ich aber positiv überrascht und habe realisiert, dass es doch Pisse war.
Glaubst du, du wirst noch einmal die Street Parade besuchen
*Shyam schaut aufs iPhone X mit gecracktem Screen und weint*
Shyam?
Sorry, aber mein Kumpel hat mir grad auf Instagram geschrieben, dass er mir nicht mehr followen kann.
Wieso das denn?
Er hat mich grad auf TeleZüri gesehen.