Frau Iselin, wonach haben Sie in dem Projekt «HIDDEN» gesucht?
Catherine Iselin: Nach Orten, die irgendwie zum Alltagsleben unserer Welt gehören. Orte, die genaue Funktionen haben, von denen wir aber nicht wissen, dass es sie braucht. Kurz gesagt: nach verborgenen Orten der Schweiz.
Und was haben Sie gefunden?
Genau das. Eine vielfältige Palette verborgener Orte, die die Schweiz in verschiedenen Bereichen ausmachen. Ein steriles Magnetlabor im Cern, die geheime Sammlung von ausgestopften Tieren eines Illusionskünstlers in Zürich oder das unbekannte Sitzungszimmer Nummer 325 des Parlamentsgebäudes in Bern. Insgesamt sind es 25 verwunschene Orte, die das Verborgene, in Forschung,
Kultur, Politik, Religion, Technik, Verteidigung, Landwirtschaft oder
im Bereich des Sozialen zu illustrieren versuchen.
«Das Verborgene» ist ja irgendwie ein schwammiger Begriff. Was verstehen Sie darunter?
Wir haben das ganz pragmatisch gehalten. Für unser Projekt gab es drei Arten der Verborgenheit: Orte, die der Öffentlichkeit gänzlich unbekannt und nicht zugänglich sind, Orte, die der Öffentlichkeit teilweise bekannt, aber nicht zugänglich sind, aber schliesslich auch Orte, die der Öffentlichkeit zwar bekannt sind, von denen man bisher jedoch keine Bilder zu Gesicht bekommen hat.
Wie sind Sie zu den ausgewählten Orten gekommen und warum waren es gerade diese Orte?
Das waren Monate, wenn nicht Jahre langer Recherche. Wir haben in unserem Umfeld nachgefragt, welche Orte man denn gerne mal sehen wollen würde – es entstand eine sehr lange Liste. Zu einer etwas reduzierten Auswahl dieser Orte versuchten wir dann Zulass zu kriegen. Das war schon eine Challenge – denn die Orte gelten ja nicht zufällig als verborgene Plätze.
Man stellt sich diese Recherchearbeit und auch das Besichtigen dieser Orte ein bisschen wie die Befriedigung einer kindlichen Neugierde vor; so als wäre man Teil der drei Fragezeichen.
In der Tat zeigt die Faszination zum Verborgenen doch immer wieder das Kindliche in uns drin. Auch wenn sich das Erwachsene manchmal nicht eingestehen – oder es sogar vergessen: Sobald wir von etwas wissen, das wir nicht sehen können, entwickeln wir den Drang, das Unsichtbare aufzudecken. Wir werden wieder zu Kindern, die immer mehr und niemals weniger sehen wollen.
Kommt daher dieser Fetisch, den unsere Gesellschaft für solche verborgenen und verwunschenen Orte hat?
Genau. In unseren Breitengraden ist man stark auf das Visuelle fokussiert. Im Sinne von:
Und wenn man nicht sieht, dann möchte man es sehen, um zu verstehen. Wenn etwas verhüllt ist, also irgendwie nicht ganz sichtbar, aber doch irgendwie bekannt, dann entwickelt sich ein Reiz. Ein Begehren danach, hinter die Kulisse zu blicken. Zum Beispiel ist ein komplett nackter Körper doch niemals so spannend, wie ein Körper, der sich nur an wenigen Stellen enthüllt zeigt.
Aber wenn Sie diesen Körper dann ausziehen, ist er ja wieder nackt und uninteressant. Hatten Sie denn keine Angst davor, dass Sie die Orte genau dieser Magie berauben, wenn Sie die «hidden places» aus dem Verborgenen ins Sichtbare hieven?
Überhaupt nicht, nein. Im Gegenteil! Wir haben genau mit diesem Reiz gespielt. Mit unserem Bildband legen wir klitzekleine Ausschnitte verborgener Welten offen. Die Fotografien sind wie Schlüssellöcher. Sie befriedigen die Neugierde nicht, sondern erwecken sie. Und das Ausziehen, findet schlussendlich im Kopf des Betrachters statt.
Und die Imagination des Betrachters kann am Schluss ja auch ganz anders aussehen, als die Realität es buchstäblich jenseits des Bildrandes tut.
Genau. Zu Beginn jeder Führung, habe ich den Personen, die uns rumgeführt haben, immer dieselben zwei Fragen gestellt:
Da kamen sehr spannende Antworten.
Zum Beispiel?
Ein ganz plumpes Beispiel dafür wäre der Geruch in der Halal-Schlachterei. Das Bild wirkt ja irgendwie ganz ästhetisch. Es ist kühl und hat etwas Ornamentarisches. Im Wissen, dass es sich hierbei um die Schlachtung nach religiösen muslimischen Regeln handelt, könnte man dem Bild auch etwas Mystisches unterstellen. Vor Ort funktionieren aber all diese Ästhetisierungsversuche in keiner Weise. Der bestialische Geruch überwiegt alles. Man will den Ort so schnell wie möglich verlassen.
Ein Bild zeigt den Injektionsraum für das Spritzen von illegalen Drogen in der Kontakt- und Anlaufstelle Basel. Diesen Ort zu einem verwunschenen und magischen Ort zu ästhetisieren kann auch als unsensibel und makaber angeschaut werden. Stellt er für viele Menschen doch die harte Realität tragischer Verhältnisse dar.
Eine Realität darzustellen, ist etwas, das solche Bilder fast gar nicht können. Und diesen Anspruch stellt die Bilderserie «HIDDEN» auch gar nicht an sich selbst. Vielmehr wollten wir eine Vielfalt von Orten zeigen, die der Mehrheitsgesellschaft zwar verborgen sind, die aber gleichzeitig feste Bestandteile im Alltag von Menschen sind, die wiederum unserer Gesellschaft angehören.
Wir fanden, dass wir auch die Orte zeigen müssen, die problematisch sein können. Schliesslich sind die Gedanken, die sich der Betrachter zu einem solchen Bild macht, völlig individuell. Wir können ihm kein reales Bild liefern, sondern ihn lediglich dazu bringen, sich über die Realität Gedanken zu machen. Auch über diejenigen Realitäten, die er in seinem Alltag nicht zu sehen kriegt.
Welche Orte, hätten Sie in «HIDDEN» gerne noch gezeigt? Wohin hat man Sie nicht gelassen?
Da gäbe es viele. Und ich bin mir sicher, dass wir mit unseren Ideen locker noch einen zweiten und dritten Band füllen könnten. Natürlich haben uns auch einige Institutionen den Zugang zu ihren verborgenen Orten verwehrt. Zum Beispiel hätten wir gerne den Einsiedler der solothurnischen Verenaschlucht besucht. Er liess uns nicht und wir haben das respektiert. Schliesslich ist das ja auch Teil des ganzen Verborgenheitszaubers: Manche Orte bleiben uns allen verschlossen.