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«Ich erschrecke immer wieder»: Aurora (17) berät Jugendliche im Teen-Helpchat

Verzweifelte Teenager finden neu Rat bei Gleichaltrigen.
Verzweifelte Teenager finden neu Rat bei Gleichaltrigen.bild: shutterstock

«Ich erschrecke immer wieder»: Aurora (17) berät Jugendliche im Teen-Helpchat

Ob bei Liebeskummer, Ritzen oder Suizidgedanken: Teenager wie Aurora helfen Jugendlichen in der Chat-Beratung von 147.ch. Die 17-Jährige hat selbst eine äusserst schwierige Jugend durchlebt. 
10.05.2018, 11:5711.05.2018, 06:16
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Es ist einer der «schlimmen» Fälle. Eine junge Frau schreibt im Chat, dass sie sich immer wieder die Arme ritzt. Sich also selber Verletzungen zufügt. 
«Manchmal erschrecke ich zuerst schon, wenn einem Leute solche Sachen schreiben», sagt die 17-jährige Aurora. Unter diesem Pseudonym chattet die Zürcherin seit April als Beraterin im neuen Help-Chat von 147.ch.

Der Avatar von Aurora.
Der Avatar von Aurora.

In den Büros von Pro Juventute beraten neu Teenager-Berater Gleichaltrige «frisch von der Leber weg», wie es Peer-Coach Moritz, selbst Profi-Berater, ausdrückt  Eine Ausbildung haben die jungen Erwachsenen nicht – und das ist genau der Clou. «Wir chatten eben in Jugendsprache wie mit Freunden», sagt Aurora. So will Pro Juventute Jugendliche noch direkter ansprechen. 

Aurora hat selber eine sehr schwierige Jugend durchlebt. «Aus eigener Erfahrung kann ich dich zu Familienstreitereien, Drogen- und Geldproblemen innerhalb der Familie, verbaler Gewalt, Leistungsdruck in der Schule, depressiven Verstimmungen und Ängsten, Selbstzweifeln und Einsamkeit beraten», stellt sie sich auf der Webseite vor. 

«Ich fühlte mich mit meinen Problemem alleine.»

In den letzten fünf Jahren musste sie über 20 Mal umziehen. Ihr Vater ist drogensüchtig und Alkoholiker. «Ich habe auch Probleme mit meinem Stiefvater. So bin ich schon mit 16 Jahren ausgezogen und lebe jetzt in einer WG», so die zierliche Gymnasiastin, die im direkten Gespräch zurückhaltend wirkt und in knappen Sätzen antwortet. 

«Ich habe schon viel durchgemacht. Damals habe ich mich mit meinen Problemen sehr alleine gefühlt.» Darum freue sie sich umso mehr, jetzt Jugendlichen mit Schwierigkeiten zu helfen, sagt sie über ihre Motivation. 

Streitereien der Eltern sind für Teenies eine grosse Belastung. 
Streitereien der Eltern sind für Teenies eine grosse Belastung. 

Ein junges Mädchen mit Liebeskummer meldet sich im Chat. Das Problem: Sie hat sich in einen viele Jahre älteren Mann verknallt. Und realisiert, dass sie keine Chance hat, sein Herz zu erobern. 💔 

Hier kann Aurora auf ihre eigenen Erfahrungen zurückgreifen. «Wir suchen zusammen nach Ideen, damit sie sich besser fühlt und über die Sache hinwegkommt.» Sie habe der Frau einfach klar gemacht, dass sich die Traurigkeit nach einiger Zeit verflüchtige. «Es ist immer wichtig zu betonen, dass alles gut wird.»

Ein auf den ersten Blick simpler Fall. Eine junge Dame weiss nicht, wie sie ihren Angebeteten ansprechen soll.

«Wir geben eigentlich keine Flirttipps. Vielmehr bringen wir auf kollegialer Ebene eine andere Perspektive auf die Sache ein», sagt Moritz, der als professionell ausgebildeter Berater alle Chats  mitverfolgt. «Wir lassen unsere Freiwilligen nicht alleine», sagt der Mittzwanziger. 

«Wir geben keine Flirttipps.»
Moritz, Berater

Die junge Dame meldet sich prompt eine Woche später wieder im Chat.

Dank der Avatare können sich die Betroffenen wieder bei der gleichen Beraterin melden. Ein gewichtiger Vorteil im Vergleich zur Telefon-Hotline 147, wo professionell geschulte Berater völlig anonym blieben.

«Ob dann noch etwas aus dem Flirt geworden ist, weiss ich aber nicht», sagt Moritz. Später wird er wieder ernster. In den bislang durchschnittlich rund zwölf Online-Beratungen pro Abend sei das Thema Selbstverletzung am häufigsten angesprochen worden. 

«Manchmal bin ich schon etwas nervös, weiss nicht was antworten», sagt Aurora. In solchen Fällen fragt sie dann die anderen Peer-Beraterinnen um Rat. «In der Gruppe finden wir immer eine gute Antwort.»

Rund ein Dutzend Jugendliche suchen sich pro Abend Hilfe im Chat. 
Rund ein Dutzend Jugendliche suchen sich pro Abend Hilfe im Chat. Bild: shutterstock

Der womöglich schlimmste Fall tritt ein. Eine junge Frau meldet sich im Chat. Ihr geht es so richtig schlecht, äussert Suizidabsichten.

In der Online-Unterhaltung erwähnt sie, dass sie bereits einen Psychiatrie-Aufenthalt hinter sich hat. «Da bin ich schon etwas erschrocken und wollte ja nichts Falsches schreiben», so Aurora. In solch schweren Fällen holt sie die im Raum anwesende Fachperson als Unterstützung dazu. 

Aurora hat sich nach den schwierigen Jahren aus ihren Tiefs herausgefunden. Sie besucht das Musik-Gymi, spielt Volleyball und hat ein grosses Ziel. «Ich will einmal Jura studieren, denn ich möchte mich in meinem Leben für andere Leute einsetzen.»

Peer-Chat bei 147.ch
Teenager helfen Teenager. Jeden Montag von 19 bis 22 Uhr können sich im Peer-Chat von Pro Juventute Jugendliche mit Gleichaltrigen über ihre Probleme austauschen. Mehr Infos auf 147.ch.

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Video: srf

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Zoo Berlin: Panda Weibchen Meng-Meng mit einem ihrer gerade geborenen Babies am 2. September 2019.
quelle: epa / zoo berlin handout
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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sealeane
10.05.2018 12:19registriert November 2017
Respekt für die Junge Frau und andere die sich doet beteiligen.
Aber auch respekt vor allen die sich getrauen sich dort zu melden. Das braucht mut sich seinen Themen zu stellen, hut ab. 👍👍👍
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Zorulu
10.05.2018 13:57registriert Dezember 2017
Ich (20) mache eine Ausbildung in einer Psychiatrie und merke immer wieder, wie meine Beziehung zu den jüngeren Patienten ganz anders ist als diejenige, meiner älteren Mitarbeiter.

Dabei geht es nicht um Erfahrung, sonder um Empathie. Ich bin viel näher an den Emotionen und momentanen Situationen.

Diesen Chat empfinde ich als super, besonders auch, weil sie selbst Erfahrungen hat und diese teilt.

Hut ab!
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Gummibär
10.05.2018 15:08registriert Dezember 2016
Ich hoffe und erwarte dass unser service-public Radio und Fernsehen regelmässig auf diesen help-chat hinweisen.
Wenn auch nur ein einziger Suizidversuch oder eine einzige Drogen-Ueberdosis verhindert werden kann ist die Aufgabe des vielzitierten SP tatsächlich erfüllt.
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