Letztens auf Instagram hab ich sie wieder gesehen: die grafisch einwandfreie Aufforderung, freitagabends doch einfach zuhause zu bleiben nach einer anstrengenden Woche. «Selfcare first» lautet die ungeschriebene Regel des Instaversums.
Hauptsache, man tut sich selbst etwas Gutes, während man ein Klatschheft im Schaumbad liest. Hinter mir die Schaum, äh, Sinnflut! Und was die anderen wollen: auch egal.
So sehr ich diese Einstellung auch begrüsse – langsam hat sie spürbar negative Auswirkungen auf meinen Alltag. Eines von vielen Beispielen: Am Samstag war ich zum 29. Geburtstag eines Bekannten eingeladen. Ein gemütliches Zusammenkommen in einer Bar sollte es werden. Zusagen auf Facebook: 13. Interessiert: 10.
Als ich saloppe anderthalb Stunden nach Beginn der Feier gegen 22:30 antanzte, war ich gemeinsam mit zwei anderen Menschen die einzige Person im Raum. An einem Freitagabend. Obwohl ich das Geburtstagskind nicht einmal gut kannte.
Wann ist das passiert, dass sich Zusagen nicht mehr anfühlen wie Zusagen, sondern jederzeit platzbare Seifenblasen? Dass wir auf «interessiert», statt «zusagen» klicken – selbst, wenn wir nichts Besseres vorhaben? Dass wir es in einer zunehmend digitalisierten Welt nicht schaffen, ehrlich abzusagen, obwohl unsere Hand mit dem Handy verschmolzen ist? Beteuern, wie gerne wir uns doch sehen würden und uns Bierkrüge und Emoji-Herzen schicken, nur, um dann im Falle des Falles nicht aufzukreuzen?
Später, auf dem Weg zum Club, frage ich den Gastgeber vorsichtig, was die Ausreden der Menschen sind, die nicht gekommen waren. «Lisa hatte leichtes Halsweh, Henry war müde von der Arbeit», sagt er. Müde von der Arbeit also, als ob es sich dabei um eine seltsame Erkrankung handeln würde.
Ich kann mich an Zeiten erinnern, da ging es mir alles andere als gut und doch habe ich mein Wort gehalten. Weil es etwas bedeutet, sein Wort zu halten, sich selbst auch mal nicht an erste Stelle zu setzen und «Me Time» zu schreien, wie das gerade in jeder x-beliebigen Self-Love-Kampagne propagiert wird. Egoismus ist notwendig, klar, aber muss er ausgerechnet dort in Anspruch genommen werden, wo uns andere mit ihren liebgemeinten Plänen «im Weg» stehen?
Ich habe mein Wort an diesem Abend gehalten, weil es etwas bedeutet, einen gewissen Effort in Kauf zu nehmen, um Zeit miteinander zu verbringen, und nicht nur aus Bequemlichkeit aufzutauchen, weil die Location drei Meter zu Fuss entfernt ist.
Den meisten Menschen, so scheint es meinem Bekannten und mir, ist ihr Grundbedürfnis nach Ruhe und Netflix inzwischen wichtiger, als sich mal wieder persönlich und nicht nur auf Instagram oder im Messenger zu «hören».
Ich kenne unzählige Storys, meine eigenen und die enger Freunde. 28-jährige Männer, die gar nicht mehr feiern, weil sie sich die Enttäuschung am Abend selbst nicht antun möchten. 25-jährige Frauen, die mir auf Instagram schreiben, sie hätten keine richtigen Freundschaften mehr.
Mein Bekannter und ich versichern uns gegenseitig auf dem Taxirücksitz, dass es nicht persönlich gemeint war, dass jeder Mensch andere Prioritäten setzt – und doch kommen wir nicht darüber hinweg, wie unzuverlässig unser ähnlich zusammengesetztes Umfeld ist. Manchmal frage ich mich, ob diese Entwicklung mit dem Älterwerden oder unserer Generation zu tun hat. Dem Aufkommen der Smartphones, oder dem Aufkommen der niemals endenden Erschöpfungserscheinung.
«Den Gipfel aller Unzuverlässigkeit bilden jene Leute, die gar nichts schreiben und dann um 1 Uhr vor deiner Wohnung aufkreuzen, wenn schon alle weiterziehen wollen», sagt er und ich stimme ihm zu. «Das nächste Mal wird es keine Einladung mehr geben, so einfach.»
So wird die Liste von Jahr zu Jahr kürzer, um die Enttäuschung nicht weiterwuchern zu lassen in der Darmgegend, wo sie sich zu einer hässlichen Brühe von Menschenverachtung und Gleichgültigkeit vermischt, die alles Neue schon im Anfangsstadium killt. Gibt es dieses Ding namens Zuverlässigkeit überhaupt noch – oder ist das Konzept eines treuen Freundes im Jahre 2018 überholt?
Einerseits möchte der moderne Mensch seine Ruhe haben von sozialen Interaktionen, andererseits veranstaltet er private Veranstaltungen, die er auf Facebook bewirbt. Ein Ort, den die meisten Menschen meiner Altersgruppe ohnehin meiden, soll also dafür herhalten, Termine auszumachen. Fehlversagen vorprogrammiert.
Bis uns keine bessere Alternative einfällt – und damit meine ich nicht Doodle – sollten wir trotzdem besser wieder damit anfangen unsere «Zusagen» und «Interessiert’s» auf Facebook genauso ernstzunehmen wie jene, die wir per WhatsApp versenden.
Ansonsten muss jeder für sich selbst entscheiden, wen er künftig in sein Leben lässt. Ob er sich weiter den Arsch aufreisst und Zeit freischaufelt für Menschen, die ihn jederzeit guten Gewissens im Regen stehen lassen würden. Oder die Lari-Fari-«Schauen wir mal»-Charaktere konsequent von der nächsten Einladung eliminiert.