Der Sommer ist für viele Tätowierte ein schwieriges Pflaster. Jetzt, wo die Tattoos nicht mehr von Pullovern verdeckt werden (können) und für jedermann und -frau öffentlich beurteilbar sind, häufen sich die ungebetenen Kommentare. Im Freibad. Beim Bäcker. Beim Grillen mit den Freunden der Nachbarn.
Ich weiss, wovon ich spreche. Statt mir in die Augen zu schauen, kleben die Blicke der Fremden seit drei Monaten an meinen Armen. Manchmal werden sie übergriffig:
Deshalb habe ich hier für alle, die kein besseres Hobby kennen als die Körpermodifizierung anderer Menschen zu kommentieren ein paar wertvolle Antworten auf die gängigsten Fragen gesammelt.
Ein weit verbreiteter Mythos. Wenn Tätowierte Antworten zu Preis, Artist oder Bedeutung verwehren, oder schlicht nicht möchten, dass man ihre Tattoos vor versammelter Mannschaft ohne jegliche Fachkenntnis einem Review unterzieht, kommt gerne der beleidigte Vorwurf, dass man die Tattoos doch ohnehin nur hätte stechen lassen, um dafür Aufmerksamkeit zu kassieren.
Und Frauen tragen Röcke, um das andere Geschlecht zu erregen. Auch, wenn es überraschend klingen mag: Die meisten (erwachsenen) Menschen haben Tattoos, weil sie diese schön finden, und ganz sicher nicht, damit sie im Park, beim Einkaufen oder Club-Anstehen mit Fragen dazu genervt werden.
Auch, wenn es «nett» gemeint ist: Wann wird es sich durchsetzen, dass man andere nicht mit Fragen über ihr Äusseres belästigt? Seien es Tattoos, oder das Gewicht.
Oder, Gegenfrage: magst du es, wenn man dir das T-Shirt hochzieht, an deinen Haaren oder Armen rumfummelt? Keine Sorge, die Farbe geht nicht mehr weg in diesem Leben. Der Fakt muss auch nicht beim direkten Körperkontakt überprüft werden.
Denn trotz ihrer gelegentlichen Sichtbarkeit sind Tattoos etwas Intimes. Also frag immer höflich nach, respektiere die Antwort des Gegenübers und behalte deine Grabbelfinger ansonsten bei dir.
Witzigerweise hat mir diese Frage noch nie jemand gestellt, der selbst ein Tattoo hat. Breaking-News:
Oder hat deine Muschelkette, die du seit deinem Mallorca-Urlaub 2009 um den Hals trägst eine tiefere Bedeutung? Eben.
Ganz oft repräsentieren Tattoos den Geschmack der Trägerin. Im besten Fall sind sie auf die Haut übertragene Kunst, die zum eigenen Stil passt. Besser keine Bedeutung, als sich vor Rührseligkeit den Namen des Freundes auf den Arsch stechen zu lassen – oder auf den Tod des Haustieres zu warten.
Eigentlich sind wir als Gesellschaft schon weiter, dachte ich, als mich letztens eine alte Bekannte auf mein neues Tattoo ansprach. In einem bevormundenden Tonfall, der mich an meine alte Englischlehrerin erinnerte, sagte sie:
«Wie bitte?», dachte ich. Sie hingegen holte munter aus: «Du siehst ohne viel schöner aus. Tattoos, ... das sind doch auch wieder nur so Trend-Dinger.»
Nein, liebe Gertrud, Tattoos sind kein Trend, der wieder weggehen wird wie deine petrolfarbene Wohnzimmerwand aus der vorletzten «Schöner Wohnen»-Ausgabe. Ich komme doch auch nicht auf deine WG-Party und sag dir straight, wie unästhetisch ich dein neues Sofa, nein, deine gesamte Einrichtung finde?
Eben.
Neben der Annahme, dass nur «Verrückte» und «Asoziale» Tattoos hätten, gibt es natürlich auch noch jene Sorte Freund, die vorgibt, sich Sorgen um deine Gesundheit zu machen, während sie dich einfach nur subtil auf ein offenbar verurteilenswertes «Risikoverhalten» aufmerksam machen möchten, das in ihren Augen jenem eines drogenabhängigen Obdachlosen gleichkommt.
Wenn es sich nicht gerade um deine Mutter handelt, ist der Gesundheitsfimmel in 99 Prozent der Fälle kein ernsthaftes Bedenken gegenüber verdreckten Nadeln und Wundheilung, sondern vielmehr der kleine Bruder von: Mir gefällt’s ja nicht, aber wenn du meinst.
Was zumindest genauso unnötig – und ganz und gar nicht nett – ist.