Ein Sonntagnachmittag in Luzern. Die Spaziergänger flanieren zahlreich dem Seeufer entlang, bleiben bei der Ufschötti gebannt stehen und staunen: Auf der Wiese spielen sich seltsame Szenen ab. Gut zwei Dutzend junge Sportler rennen mit Plastikstäben zwischen den Beinen über ein Spielfeld.
Für Harry-Potter-Fans ist klar, was da gespielt wird: Quidditch. Das Treiben auf dem Rasen hat tatsächlich mit dem Zauberspiel aus den Romanen der britischen Autorin Joanne K. Rowling zu tun. Die Schweizer Nationalmannschaft absolviert gerade ihr Vorbereitungstraining auf die Quidditch-Weltmeisterschaft, die vom 27. Juni bis 2. Juli in Florenz stattfindet.
Aufs Kommando «Brooms up!» stürzen die Spieler aufeinander zu und schnappen sich die vier Bälle, die in der Mitte des Feldes auf dem Rasen liegen. Dann geht’s zur Sache. Spieler mit schwarzen Stirnbändern packen die Kunststoffbälle, «Bludgers» genannt, und versuchen die Gegner zu treffen. Körper krachen gegeneinander, einer verliert seinen Plastikstab, ein anderer wirbelt herum und fällt zu Boden. Und schon jagen seine Mitspieler dem gegnerischen Jäger mit dem weissen Stirnband nach. Der hat gerade den «Quaffle», einen gelb-blau gestreiften Volleyball, geschnappt und rennt Richtung Torringe der gegnerischen Mannschaft.
Es sind nicht nur eingefleischte Harry-Potter-Fans, die das Spiel der Zauberlehrlinge ausüben. Claudia Leuch ist eine von ihnen. Sie hat sich längst daran gewöhnt, dass man diesem Sport mit einem Lächeln begegnet. «Das verschwindet schnell, sobald man einmal mitgespielt hat», sagt sie. Die 25-jährige Studentin aus Brugg ist Coach der Schweizer Nationalmannschaft und Präsidentin des Schweizerischen Quidditchverbandes. Sie lernte die Sportart im Rahmen eines Austauschsemesters in Norwegen kennen.
Was fasziniert sie an Quidditch? «Es ist eine sehr komplexe Sportart aus einer Mischung aus Völkerball, Rugby und Handball. Neben Ausdauer und Ballgefühl verlangt es auch taktisches Geschick und einen guten Überblick.» Das Spiel sei übrigens auch der einzige geschlechterintegrierte Vollkontaktsport, betont sie.
Die noch junge Sportart wird in der Welt der Muggel, wie Nicht-Zauberer im Harry-Potter-Universum genannt werden, immer populärer. Zwei amerikanische Studenten aus Vermont haben 2005 Quidditch zum Leben erweckt. Inzwischen ist die Sportart vor allem in den Vereinigten Staaten und Australien weit verbreitet. Aber auch in fast allen europäischen Ländern gibt es Teams. Sie spielen nach einem über 200-seitigen Regelwerk, das die International Quidditch Association (IQA) herausgegeben hat.
Die IQA orientiert sich dabei am fiktiven Vorbild. Wie in den Romanen stehen sich auf einem ovalen Spielfeld von 33 Meter Breite und 55 Meter Länge zwei gemischte Mannschaften mit jeweils sieben Spielern gegenüber. Jedem Teammitglied kommt eine bestimmte Rolle zu. Da sind einerseits die drei «Jäger», die den «Quaffle» durch die drei Torringe des gegnerischen Teams werfen müssen, um Punkte zu sammeln. Und andererseits die zwei «Treiber», die mit den «Bludgers» auf die Gegner schiessen. Wird einer getroffen, muss er den Stab ablegen und beim eigenen Tor abklatschen, bevor er wieder mitspielen kann.
Wer dem Spiel beiwohnt, kann schnell die Übersicht verlieren. Spannend wird es, wenn der Auftritt des «golden snitch», dem «goldenen Schnatz», in der 18. Minute des Spiels erfolgt. Dieser wird von einem neutralen Spieler, dem «Snitch-Runner», getragen. Ab der 19. Minute kommt für jede Mannschaft zusätzlich ein «Sucher» aufs Feld. Derjenige der beiden, der den «Schnatz» fängt, erhält zusätzlich 30 Punkte für sein Team – und das Spiel ist aus.
Am Spielfeldrand pfeift Schiedsrichterin Johanna gerade zur Trainingspause. Die Spieler lassen sich sichtlich erschöpft auf den Rasen fallen, greifen zu ihren Wasserflaschen und wischen sich den Schweiss von der Stirn. Quidditch ist anstrengend. Statt Magie ist Knochenarbeit gefragt.
«Für zarte Pflänzchen ist dieser Sport definitiv nichts», sagt die Gymnasiastin Johanna Baumgartner. Muss man für diesen Sport auch Harry-Potter-Fan sein? «Nicht zwingend», meint die 17-Jährige aus Nunningen. «Wir sind schliesslich kein Club von Fantasy-Freaks. Quidditch ist ein ernst zu nehmender Sport und hat nichts mit Rollenspielen zu tun.» Sie war zwar ursprünglich auf der Suche nach einem Harry-Potter-Fanclub. «Doch dann bin ich auf dem Internet auf den Hägendorfer Club gestossen», erzählt sie.
Hierzulande ist der Sport aus Harry Potters Zauberwelt noch eine Randsportart. Erst rund 50 Spielerinnen und Spieler – viele darunter Studenten, aber auch junge Berufsleute – sind dem Verband angeschlossen und spielen derzeit in fünf Mannschaften. Ab diesem Jahr wird erstmals in einer Liga gespielt.
Doch im Moment steht das Abenteuer Weltmeisterschaft im Fokus. «Unsere Chancen würde ich eher als bescheiden bezeichnen», schätzt Claudia Leuch ein. Es gehe mehr ums Mitmachen, das Erlebnis, einmal dabei zu sein. «Das wird unserer Sportart bestimmt einen Schub geben.»
hopp schwiiz!