Wann ich zuletzt eine Telefonkabine betreten habe, weiss ich nicht mehr. Als ich aber gestern las, dass es um die kleinen Telefonhäuschen definitiv geschehen ist, wurde ich doch etwas wehmütig. Erinnerungen kochten in mir hoch. Erst nur vereinzelt, dann immer mehr und plötzlich wurde mir bewusst, was für eine zentrale Rolle die Telefonkabine in meiner Kindheit eigentlich gespielt hatte.
In meinem kleinen Kuhkaff hatten wir genau eine Telefonzelle, direkt neben der Poststelle, so wie sich das gehörte. Für uns Kinder war das kleine Glashäuschen mit dem Münztelefon das, was die Dorfbeiz für die Pensionäre war: der «Place to be». Dort haben wir uns getroffen, gequasselt und grosse Pläne geschmiedet.
Auch war das Münztelefon eine wunderbare Möglichkeit, meine bescheidenen Finanzen etwas aufzubessern. Darum war ein regelmässiger Check des Münz-Rückgabefachs ein fester Bestandteil meiner Wochenroutine. Vielleicht hatte ja jemand sein Rückgeld darin vergessen? War das tatsächlich so, ging es jeweils schnurstracks zum Dorfkiosk, nur um nachher mit dem neuen Süssigkeitenreichtum vor meinen Freunden anzugeben.
Musste ich auf den Schulbus warten, diente mir die Telefonkabine auch als Schutzraum. Wenn es draussen windig und kalt war, habe ich mich jeweils in die nach Zigaretten stinkende Kabine verkrochen, um nicht ganz so schnell zu erfrieren. Dass ich anschliessend selbst gestunken hatte, wie ein heimlich rauchender Teenager, war mir egal.
Zuweilen konnte ich mich aber auch ganz gut darin verbarrikadieren, wenn ich wieder einmal ein paar ältere Mitschüler zu fest geärgert hatte.
Auch als Schutzraum vor den wütenden Tritten meiner Mitschüler leistete der kleine Raum gute Dienste. Vor allem die älteren Mitschüler ärgerte ich ab und an etwas zu fest.
Einer dieser älteren Mitschüler genoss es, vor uns Kleinen mit seinem Telefonkartenwissen anzugeben. Ausführlich hatte er uns jeweils erklärt, wie er sich Guthaben ergaunerte, indem er Nagellack auf die Telefonkarte auftrug. Damals hatten die Karten noch keinen Chip und ich hab bis heute nicht wirklich verstanden, wie das funktioniert. Aber Mensch, war ich beeindruckt! Da hat ein Junge aus unserer Schule die Swisscom übers Ohr gehauen. Das war schon mächtig cool!
Richtig viel Spass hatte ich aber mit der wohl ersten Tastenkombination in meinem noch jungen Leben, die ich auswendig konnte. Damit war es möglich, ein Gratistelefonat mit der Person zu führen, die zuletzt angerufen worden war. Falls vor rund 20 Jahren jemand bei dir angerufen hat und dann einfach kichernd auflegte: Das war vermutlich ich.
Mit der Zeit haben ich und meine Freunde uns dann natürlich immer mehr getraut und angefangen Leute zu veralbern. Das war rückblickend wohl nicht sehr nett – aber ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich daran denke. An eine Begebenheit kann ich mich sogar noch ganz genau erinnern: Eine Frau nahm den Hörer ab und ich hatte einfach nur lautstark Kaugummi gekaut. Das hat sie sich dann einen Moment lang angehört und schliesslich mit dem Satz «scheiss Jugo» genervt aufgelegt.
Schlussendlich hielt die Digital-Technik in unserem Dorf Einzug und die dicken, abgegriffenen Telefonbücher wurden durch ein schwarzes Kästchen mit Tastatur ersetzt.
Ich weiss gar nicht, wie oft wir nach der Schule zu diesem Ding geeilt sind. Dann haben wir nach lustigen Namen gesucht und uns kaputt gelacht. Oder nachgeforscht, wie viele «Scherrer» es im Wallis gibt. Oder «Kälin» in Bern.
Dank diesem Ding habe ich auch erfahren, dass es in meinem Kuhkaff eigentlich nur vier Geschlechternamen gibt: Giger, Gätzi, Gubser und Walser – in allen möglichen Kombinationen. Da habe ich das erste Mal gedacht, dass ich irgendwann aus meinem Kaff wegziehen muss. Telefonkabinen gibt es ja schliesslich überall.