Dieser Tage wird die Bücherwelt wieder in den Orkus der Eindeutigkeiten gesogen. Die Britin E.L. James hat ihn erfunden. Es gibt darin zuverlässig einen superbestückten, superreichen jungen Mann, der prima Piano spielen kann, und eine geplagte junge Frau aus weit bescheidenerem Verhältnissen, die lernen muss, dass ihre Berufung und Befreiung in viel, viel Sex liegen. So will es das Evangelium der E.L. James.
In «Fifty Shades», ihrer Erotikreihe, die sich bis heute 125 Millionen Mal verkauft hat, plagte der potente Pianist Christian Grey das geheimnisvolle Mauerblümchen Anastasia Steele mit allerlei sadistischem Sexspielzeug. In «The Mister» rettet der scharfe Lord Maxim Trevelyan seine illegale albanische Putzfrau Alessia Demachi vor mehreren allzu derb geratenen osteuropäischen Peinigern.
Wieso? Erstens natürlich, weil sie irrsinnig schön ist. Wie eine Miss Albanien ohne Make-up. Mehr Madonna als Miss. Makellos. Zweitens, weil sie noch besser Piano spielen kann als der Lord selbst. Makellos. Bühnenreif. Bach. Rachmaninoff. Liszt. Beethoven. Die Eigenkomposition von Mister Maxim. Drittens, weil sie hilfsbedürftig ist und er als britischer Adeliger gar nicht anders kann, als seinen inneren Ritter loszulassen.
Alessia wurde nämlich von ihrem Vater an einen attraktiven, aber brutalen albanischen Gangster verkauft und soll diesen heiraten. Auf der Flucht vor ihm gerät sie in die rauen Hände von Frauenhändlern, die sie in Grossbritannien als Sexsklavin verkaufen wollen. Der postkommunistische Kapitalismus hat mit schönen jungen Frauen wahrlich nichts Gutes im Sinn.
Weshalb Alessia verständlicherweise irritiert bis geschockt ist, als sie das Tattoo auf Maxims Arm entdeckt: den Doppeladler. Albaniens Wappentier. Die Heimat, die sie floh. Die Heimat, die ihr trotzdem Heimat bleibt. Die sie auch vermisst. Weshalb ihr schnell dämmert: Ein Mann mit dem Imprint ihrer Heimat auf seiner Haut ist irgendwie Schicksal. Sofortiges, heftig zuschlagendes Schicksal. Liebe halt.
Was sie nicht weiss: Dass der Doppeladler auch das Wappentier seiner Familie ist. Dass dieser Familie mehrere grossartige britische Landsitze und Stadthäuser und überhaupt viele, viele Millionen gehören. Besser noch: Dass all dies jetzt Maxim gehört. Obwohl er nicht der Haupterbe ist, das war sein Bruder, aber der ist tot. Weshalb Maxim, der eigentlich Fotograf, DJ und – ha! – Model ist, jetzt blöderweise mit all den Landsitzen belästigt wird. Und mit der Frage, ob er selbst nicht vielleicht langsam mal mit der Erbenproduktion beginnen sollte. Gern zu diesem Zweck zur Verfügung stellen, würde sich die Bruderwitwe, aber die ist viel zu weinerlich, um sexy zu sein.
Alessia hingegen! Wow! Schon in ihrem Polyester-Putzkittel ist sie eine erotische Offenbarung! Und obwohl sie mit 23 noch Jungfrau ist, wird auch sie ihrerseits von so viel physischem Verlangen nach dem leckeren Model-DJ überwältigt, dass wir schnell wissen: Auch in «The Mister» steht sehr vielen Seiten voller Sex nichts im Wege. Höchstens ein bisschen schäbig abgefertigter Plot und endlose Beschreibungen von Innendesign, Autos, Musik, Waffen und Shoppingtouren.
Schliesslich dockt E.L. James nicht nur an den libidinösen Kreislauf ihrer Leserinnen an, sondern auch an den warenfetischistischen. «The Mister» liest sich wie ein superteurer Geschenkkatalog für den männlichen Mann, unterbrochen von ausufernden Erotikszenen in exquisiter Bettwäsche und, wenn’s ganz frivol hochkommt, mal auf einer lusxuriösen Küchenzeile. Einen «Darkroom» gibt es auch im Loft von Maxim, aber es verbirgt sich dahinter mitnichten eine Greysche Folterkammer, sondern, stockbrav, die Dunkelkammer des Hobbyfotografen.
«Fifty Shades» war bei aller Redundanz und Albernheit nicht uninteressant, ein kühner Beziehungsentwurf, der die Phänomene Bondage und Sado-Maso aus dem sexuellen Underground in den Mainstream holte und in seinem innersten Herzen ganz trocken verkündete, dass sauber ausgearbeitete Verträge über perverse Spielereien vielleicht die bessere Basis für eine beiderseits befriedigende Beziehung sein könnten als der ganze irrationale romantische Kram.
«The Mister» meint es gut, E.L. James wollte auch mal beweisen, dass sie ein feministisches Gewissen hat und Frauenhandel so richtig, richtig scheisse findet. Okay, wer nicht?! «Fifty Shades» war von innen her ein bisschen gefährlich, bei «The Mister» sind es die äusseren Umstände. Was der Erotik logischerweise die Spannung nimmt.
E.L. James betont neuerdings oft, wie eng das Korsett ist, das sie sich mit ihren Erfolgsromanen gebastelt hat. Wie in ihr drin auch eine politische Kommentatorin schlummere, die gerne gegen den Brexit anschreiben würde. Na ja. «The Mister» tut jedenfalls alles, um die urbritische Illusion aufrechtzuerhalten, dass da auch ein Aschenputtel wie Alessia ihren albanischen gegen einen aristokratischen Doppeladler eintauschen könne.