Liebe Anna,
Seit Anfang Oktober sitzt du jetzt schon in irgendeinem idyllischen Zipfel von Irland und schreibst an einem Buch über crazy Nonnen. Ich bin mir sicher, es ist sexy, blutig und sowas wie die feministische Splatter-Fassung von Umberto Ecos Weltbestseller «Der Name der Rose». Ich bin überzeugt, dass das Ding gelingt. Im Gegensatz zu «Bohemian Rhapsody». Dem Film, nicht dem Song. Der Song von Queen ist komplett verrückt, komplex, surreal, das Masterpiece schlechthin.
Du bist Queen-Fan. Ich nicht. Also, ich hab mich damals, als alle andern im Skilager mit dem Besteck den Takt von «We Will Rock You» auf den Tisch schlugen, eher an Madonna gedacht. Und an Falco. Ich stand auf Falcos Lustmörderballade «Jeanny» (sie ist übrigens nur zwei Sekunden kürzer als die ewig lange «Bohemian Rhapsody»!). Und auf Kylie Minogues und Nick Caves Lustmörderballade «Where the Wild Roses Grow». Will ich wissen, wieso? Lieber nicht.
Okay, du bist Queen-Fan. Beziehungsweise Freddie-Mercury-Fan. Ein Mann wie eine Stichflamme. Grossartig. Und viel zu früh schon tot. Ich versteh, wie man Freddie lieben kann. Er hat es verdient.
Anna, schon am 1. Januar 2018 lagst du mir in den Ohren mit diesem Queen-Film, der mich persönlich noch weniger interessiert als das Queen-Musical, auch wenn mir die Musik und der Mann dahinter über die Jahre heiss ans Herz gewachsen sind. Selbstverschwendung in der Kunst packt mich immer. Und wie Freddie gegen seine Krankheit, gegen AIDS ansang – atemberaubend und herzzerreissend.
Du wolltest also über «Bohemian Rhapsody» schreiben. Ums Verrecken. Der Höhepunkt deines jounalistischen Jahrs sollte es sein. Und dann? UND DANN, ANNA?! Bist du nach Irland abgehauen und kommst erst Anfang Dezember wieder. Du lässt mich bis dahin also nicht nur mit «Bohemian Rhapsody», sondern auch MIT JEDER EINZELNEN FOLGE «BACHELOR» allein! Übrigens auch mit jeder einzelnen Packung Nippon-Kekse, die Dani Huber als Trost für deine Abwesenheit jeden zweiten Tag neben mich auf dein Pult legt. Tja.
Weil du weg bist, musste ich mir «Bohemian Rhapsody» nun selbst anschauen. Mit Rami Malek als Freddie Mercury. Eine Top-Wahl. Rami kannte ich zuvor aus der Hacker-Psycho-Serie «Mr. Robot», ein fragiler, hohläugiger, monoton vor sich hinmurmelnder Junge. Herzig, aber auch enorm kraftlos. Und jetzt ist er Freddie, die Bombe. Ein Genuss. Auch wenn er nicht selbst singt. Alle andern ... Na ja, sie tragen überraschend oft als Perücken erkennbare Perücken.
Das grosse Problem: In Deutschland dürfen den Film schon Sechsjährige mit elterlicher Begleitung sehen. In Norwegen Neunjährige, selbst im verklemmten Amerika Dreizehnjährige. Anna, muss ich mehr sagen? Ich mein, es ist ein Film über einen der fucking grössten Sex-Maniacs der Rockgeschichte!
Und jetzt? Wer verdammt, hat den Freddie so kastriert? Und sterilisiert? Keine einzige Sexszene, das Wort «Koks» wird zweimal verschämt in die Runde gekichert, aber nie geschnupft (dabei machte Queen legendäre Parties, bei denen es plattenweise serviert wurde).
Seine Homosexualität macht ihn vor allem einsam und dann sofort krank. Bis auf seinen letzten Partner sind alle Homos fies und nutzen ihn aus. Seine Bandkollegen verschwinden angeekelt mit ihren Gattinnen, wenn er ihnen mal wieder zu schwul wird. Seine ganze queere Pracht findet einzig als Bühnenperformance und Kostüm statt.
Kein Wunder ist Sacha Baron Cohen, der so tabulose Figuren wie Borat und Bruno spielte, als Erstbesetzung von Freddie wieder aus dem Unternehmen ausgestiegen.
Kommt dazu, dass der Film das meeeega konventionelle Biopic einer Band ist. Ihre Entstehung, ihre Erfolge, ihre Bandbusse, ihre Manager. Ich mein, wie geil hätte man diese Mischung aus Rockhymnen, Sex, Drogen, Schicksal und Britannia umsetzen können! Keine Ahnung, wie du als Vollfan dir das vorgestellt hast, ich jedenfalls sah es im Geist immer als «Trainspotting» meets «Velvet Goldmine»! Man muss Queen ja nur schon zuhören, um lauter kreative Orgasmen zu haben! Bestimmt hörst du in Irland viel Queen.
Was bleibt ist die Musik. Sie ist natürlich super. Ganz was Anderes als zum Beispiel in «Mamma Mia! Here We Go Again». Obwohl sie aus der tupfgenau gleichen Zeit stammt. Aber ach, wie verrucht und frivol mir das blöde Abba-Musical im Vergleich zu «Bohemian Rhapsody» vorkommt!
Wahrscheinlich ist es besser, dass du diesen Film nicht gesehen hast und hoffentlich auch nie sehen wirst. Er ist ein Elend. Freddie, our most flamboyant boy, ist jetzt der Freak für die ganze Familie. Ab sechs Jahren.
Komm trotzdem bald mal wieder heim. We miss you.
Dein Opfer S.
«Bohemian Rhapsody» läuft ab 31. Oktober im Kino. Kastrations-Regie: Bryan Singer. 134 Minuten.