Das Neue, Fremde ist in «Black Mirror» höchstens so befremdlich wie ein Besuch im Google-Hauptquartier. Darin besteht die Genialität der Serie, die seit 2011 in voneinander unabhängigen einstündigen Episoden Facetten einer scheinbar vertrauten, nahen Zukunft entwirft. Was hier geschieht, scheint denkbar. Bis sich der Schwebebalken dessen, was wir zu kennen glauben, aufbäumt, krümmt und in eine übermenschliche Terror-Schlaufe verwandelt.
«Black Mirror» ist ebenso technophil wie technophob, das schöne neue Gadget ist immer nur des Schrecklichen Anfang, und in jedem Nerd steckt einer der sich mit Gott verwechselt. So weit so simpel und im Grunde nicht besonders prickelnd. Wenn da nicht dieser nette Brite namens Charlie Brooker wäre, der «Black Mirror» vor sechs Jahren erfand und die Hälfte aller Folgen geschrieben hat, darunter auch alle sechs der vierten Staffel. Und man reibt sich mal wieder die Augen: Ist dieser Herr Brooker etwa der perverseste Denker im Seriengeschäft?
Hat man etwa schon eine schwärzere Fantasie als jene in der Folge «Black Museum» gesehen? Es geht darin – unter anderem – um einen Mann, der einen Schmerzdetektor baut: Wenn er ihn sich selbst und Patienten aufsetzt, kann er deren Schmerz und damit die Verletzung oder Krankheit mitempfinden und analysieren. Aber auch deren Lust. Er wird zum Junkie. Seine Sehnsucht: Immer und immer wieder den Tod zu erleben. Und weil sich Brooker dies ausgedacht hat, ahnen wir: Er wird einen Weg finden und er wird alles übertreffen, was wir uns ausmalen können.
Komödiantischer, aber nicht weniger virtuos ist Brookers «Star Treck»-Persiflage in «USS Callister»: Ein Game-Designer (Jesse Plemons aus «Fargo») terrorisiert als Captain eines Raumschiffs in einer Parallelwelt unliebsame Arbeitskollegen. Aber wie kriegt er sie dahin? Wer sind sie wirklich? Und wie selbständig?
Die Folge «Hang the DJ» ergründet, was eine Dating-App alles leisten muss, damit sie Paare mit einer hundertprozentigen Übereinstimmung produzieren kann – natürlich ist es grauenhaft viel. In «Archangel» (Jodie Foster führt in der Folge Regie) wird das Phänomen heutiger Helikoptereltern und «Parental control» so drastisch verschärft, bis eine Mutter die Welt wörtlich mit den Augen ihrer Tochter sieht.
Verzichten kann man dagegen auf die Folge «Crocodile», in der die Frage behandelt wird, wie viele Zeugen eines Verbrechens beseitigt werden müssen, bis es keinen mehr gibt – sie ist schwach gefilmt und noch schwächer erzählt. Grossartig dagegen «Metalhead»: Eine Frau im Kampf gegen einen Roboterkäfer, beide sind auf altmodische Art enorm schlau, ein ganz klassischer, aber irre spannender «Survival of the fittest»-Plot, in schmerzhaft scharf gestochenem Schwarz-Weiss gefilmt.
Und da wären wir wieder: Am Haken der paranoidesten Serie unserer Tage. Die seit der Übernahme durch Netflix noch besser aussieht als früher. Dafür vielleicht aber ein bisschen schlechter geschrieben ist. Nicht mehr ganz so radikal. Aber vielleicht ist dieser Verdacht reine Nostalgie. Denn die ist bekanntlich der Regenschirm im Gewitter der Zukunftsangst. Und genau die lässt «Black Mirror» auch jetzt wieder ganz unerbittlich auf uns niederprasseln.
Die vierte Staffel «Black Mirror» läuft ab 29. Dezember auf Netflix.