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Studie: Wer keine Kinder will, wird moralisch verachtet.

Warum wir es scheisse finden, wenn verheiratete Paare keine Kinder wollen

Bild: shutterstock
«Ich mag Kinder, aber selber will ich keine.» – Mit dieser Aussage erntet man auch heute noch viel Missgunst, wie eine neue Studie zeigt.
15.03.2017, 17:1016.03.2017, 06:40
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Ausbildung und Karriere haben heute einen höheren Stellenwert für Leute in den Mittzwanzigern, als das Gründen einer Kleinfamilie. Daten des Bundesamts für Statistik zeigen, dass die Geburtenrate seit den 60er-Jahren auf die Hälfte geschrumpft ist. Von durchschnittlich fast drei Kindern auf anderthalb pro Frau.

Trotz dieses Trends sind Leute, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden sozial geächtet, wie eine aktuelle Studie herausgefunden hat.

Bild: shutterstock

Leslie Ashburn-Nardo lehrt Psychologie an der Universität von Indianapolis. Sie hat sich dem Phänomen der «verachteten Kinderlosen» angenommen und will heraus finden, worauf die besagte Missgunst aufbaut.  

«Durch die Medien, durch Eltern und Kollegen lernen wir, dass ‹Kinderkriegen› nicht nur typisch ist, sondern auch von uns erwartet wird.» 
Leslie Ashburn-Nardo

Für ihre Studie hat die Psychologie-Professorin 197 Testpersonen angeworben. Zunächst wurde den Teilnehmern gesagt, dass es bei dem Test um die menschliche Intuition gehe und darum, wie gut sie die Zukunft einschätzen können.

Anschliessend lasen die Probanden vier Geschichten von verheirateten Paaren. Die fiktiven Storys unterschieden sich lediglich darin, ob sich die Paare Kinder wünschen oder ob sie sich bewusst dagegen entscheiden. 

Illustration kinderloses Paar

illustration: shutterstock

Aufgrund dieser Angaben mussten die Studienteilnehmer die psychische Zufriedenheit der skizzierten Paare einschätzen. Das Ergebnis: Auf psychischer Ebene wurden die willentlich kinderlosen Männer und Frauen als deutlich weniger erfüllt eingeschätzt. Zudem stellte Ashburn-Nardo fest, «dass den kinderlosen Paaren krasse moralische Vorwürfe gemacht werden.» Dabei kommen Gefühle wie Wut und Ekel ins Spiel.   

«Keine Kinder zu haben wird nicht nur als ungewöhnlich, sondern auch als falsch betrachtet.»
Leslie Ashburn-Nardo
bild: imgur

«Kinderlose Frauen sind an ihrem Elend selber Schuld, wenn sie sich gegen das Kinderkriegen entscheiden», lautet eine Argumentation der moralischen Apostel. Die Autorin der Studie sieht darin einen Beweis, dass die Erwartungen und Vorstellungen, die wir an Menschen haben, noch immer stark an das Geschlecht gekoppelt sind: «Mich hat überrascht, dass sowohl Männer als auch Frauen stigmatisiert werden, wenn sie sich entscheiden, keine Kinder zu bekommen.» Die Gesellschaft beharrt anscheinend noch immer darauf, dass aus Jungs einmal ein Vater und aus Mädchen mal eine Mutter werden muss.

Für Ashburn-Nardo sind die Ergebnisse ihrer Studie denn auch eine Erklärung für die polarisierende Abtreibungs-Debatte: «Da Elternsein als moralisches Gebot betrachtet wird – also etwas, das von uns erwartet wird – darf die Freiheit, das ‹Elternwerden› durch eine Abtreibung zu verhindern, nicht bestehen. Das finde ich schrecklich und vor allem extrem antiquiert.»

Das Schöne an der Moral ist, dass sie veränderlich ist. Das Hässliche ist, dass das fast niemand weiss.
Redensart

Schon Vorgängerstudien aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Die amerikanische Psychologin ist deshalb pessimistisch gestimmt. Sie bedauert, dass es trotz des massiven Wandels, den die Gesellschaft in den letzten 40 Jahren begangen hat, noch immer «Imperative gibt, die den Menschen vorgaukeln, sie seien nicht frei.» Wenigstens wissen wir nun, dass es eine Frage der Moral ist. Und die Moral ist ja bekanntlich wandelbar. 

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103 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Menel
15.03.2017 17:48registriert Februar 2015
Ich verstehe eh nicht, wieso es überhaupt jemanden interessiert, was andere tun. Ich definiere mich ja über mich selbst und nicht über andere. Wie kann mich das dann stören? Finde es immer schön, wenn jemand seinen Lebensentwurf leben kann und damit glücklich ist.
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who cares?
15.03.2017 17:42registriert November 2014
"Warum wir es scheisse finden..." bin ich jetzt auf Vice? Ein bisschen Niveau darf sich Watson schon noch erlauben. Auch wenn es jetzt mint ist.
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Nymeria
15.03.2017 22:58registriert Februar 2015
Rund um mich sind alle am kinderkriegen. Sogar mein 'kleiner' Bruder fängt jetzt damit an. Ich bin nun 29 und seit bald 10 Jahren in einer Beziehung. Ständig werde ich gefragt, ob wir denn keine Kinder möchten / Heiraten usw. In der Regel sind das aber ältere Leute, oder dann solche in meinem Alter, die bereits verheiratet sind und Kinder haben.
Ein 'Nein' als Antwort wird sehr oft nicht akzeptiert. 'Im Moment noch nicht' wird noch gerade so akzeptiert. Ich beantworte die Frage nun immer mit 'Nein, aber ich möchte einen Hund!'. Da wissen die Leute dann nicht mehr was sie antworten sollen.😈
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