Birken. Lasst Birken wirken. Irgendwie wimmelt es immer davon. Auch in einer «Geschichte über die Liebe», in der zwei nackte Menschen auf den Grund eines idyllischen Moorsees tauchen und dort nicht etwa ein schnödes altes Velo finden, sondern – einen Kronleuchter! Wow! Ein Velo wär ja auch echt zu wenig schön.
Die kleine Geschichte ist als Sommerlektüre in einem neuen deutschen Magazin verpackt. Es heisst «Hygge». Seine Fotos sehen aus, als hätten sie allesamt Instagram-Wettbewerbe gewonnen. Sein Papier fühlt sich irgendwie wahrer an als normales Papier. Als sei es in sandiger Erde gewachsen. Willkommen im Flachwasser des Lebens. Dort, wo alles so untief, ungefährlich und ungemein super ist, dass nicht einmal mehr Schneeflocken schmelzen. Willkommen im Hygge-Land. Es ist sowas wie das Auenland von Europa, auch bekannt als Dänemark.
«Hygge» ist dieses dänisches Wort und Lebensgefühl für alle, die Wolle wollen und selbstgepflückte Blaubeeren und die von morgend bis abends den drei K des Hygge-Kults frönen, nämlich Kaffee, Kuchen, Kerzen. Dänen sollen nämlich pro Jahr 5,3 Kilo Kaffeebohnen vertrinken, alle andern Europäer nur 4 Kilo. Zudem essen Dänen 8,2 Kilo Süssigkeiten, gerade mal doppelt so viel wie alle andern. Und wer ist glücklicher? Na?
Der hyggelige Mensch ist sowas wie der entschleunigte, enturbanisierte, auch weitgehend entalkoholisierte Hipster, der beschlossen hat, sein Leben irgendwie Astrid-Lindgren-mässig zu verbringen. Aber nicht wie die wilde Pippi Langstrumpf, lieber wie die viel zahmeren Kinder von Bullerbü. Alles, was er liebt und tut, klingt so, als wäre er mindestens 77 Jahre alt. «Werte» ist ein Wort, auf dass er viel Wert legt. Auch «Handwerk» und ganz besonders «einfach».
«Einfach glücklich sein» ist denn auch das Motto des «Hygge»-Magazins, das auf seinem ersten Cover mit «Gemeinsam kochen, lachen, Beeren sammeln» wirbt. Wir lesen darin wunderschöne Geschichten von Menschen, die einen tollen, aber gemütlichen Job bei Lego kriegen und so viele «Luftlöcher» in ihren Arbeitstagen haben, dass sie unentwegt «spontan» (auch ein wichtiges Wort) Menschen zum Essen einladen können. Natürlich zu einem einfachen Essen, also höchstens Tomaten-Spaghetti, Hauptsache, die Tomaten sind aus dem eigenen Garten.
Im Hygge-Märchenland gibt es vieles nicht: Politik, Armut, Arbeitslosigkeit, Krankheit zum Beispiel. Und sowieso keinerlei Ungerechtigkeit. Nur glückliche Kleinfamilien. Meist handelt es sich dabei um ausgewanderte Deutsche oder Amerikaner. Würden sie nicht Hipster sein wollen, sie würden Heuballen-Heftli wie «LandLiebe», «Landlust», «Landspiegel», «Landluft» oder «Daheim» kaufen.
Man muss schon sagen: Dänemark ist verdammt genial in der Lancierung einander entgegengesetzter Begriffe, die gemeinsam eine erstaunliche Vielzahl von Konsumenten-Wünschen bedienen: Wem «Hygge» zu soft und zu konservativ ist, der ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Fan des anderen, düsteren, brutalen und sozialkritischen Dänemarks, das es unter dem Begriff «Nordic Noir» in ein paar der wichtigsten TV-Serien der letzten Jahre zu sehen gibt.
Wahrscheinlich tun sie das auch nicht. Weil beide Fiktionen sind. «Nordic Noir» ist die Fiktion guter Drehbuchautoren. «Hygge» diejenige von Menschen, die mit viel Geschick dänische Landschaften, Architektur, Geschirr, Zimtschnecken und rustikale Designermöbel an emotional und atmosphärisch ausgehungerte Arbeitstiere verkaufen.
Hyggelig klingt das nicht. Aber korrekt berechnet. Denn was wäre ein Fantasie und eine Sehnsucht schon wert, wenn sie sich nicht zu Geld machen liesse?