Sie ist eine weisse Frau mit Beinen doppelt so lang wie der Torso. Sie grinst sympathisch über ihr grosszügig mit Rouge bepinseltes Gesicht. Ihr Mann steht, muskulös gebaut und in Sachen Körpergrössenverhältnissen einwandfrei auf sie abgestimmt, neben ihr. Beide haben keine Nippel. Ein perfekt normativer und extrem prüder Traum: Das Erfolgskonzept «Barbie».
Die erste Barbie Puppe wurde 1957 geboren. Sie kam sowohl in blond, wie auch in brünett zur Welt. Ihr Haar war zu einem Rossschwanz zusammengebunden und der Pony fiel ihr gelockt über die Stirn bis kurz vor die anmodellierten Brauen.
Seither erlebte die Plastikpuppe mit US-amerikanischen Wurzeln fast jedes Jahr eine Wiedergeburt. Jeweils am Zeitgeist orientiert, erblickte jede neue Barbie das Licht der Spielzeugwelt mit einem Outfit, das im gleichen Masse modern wie mondän gegen Aussen strahlte. 1965 flog die Astronautinnen-Barbie auf den Mond, beziehungsweise in die Regale der Spielzeugläden. 1980 bekam Barbie ethnisch vielfältige Freundinnen. In den 90ern hat sie sowohl studiert, als sich auch gleichzeitig in von Männern dominierten Arbeitsfeldern integriert. Barbie als Feuerwehrfrau, Pilotin und Wissenschaftlerin. In den 00er-Jahren frönte sie vor allem dem Popstar-Leben, während sie sich im gegenwärtigen Jahrzehnt wieder in Arbeitsbranchen zeigt, in denen Frauen noch immer selten anzutreffen sind.
Doch egal ob sich Barbie nun in afroamerikanischen, hispanischen oder asiatischen Identitäten präsentierte, egal ob sie Sekretärin, Bauarbeiterin oder Popstar war, das Narrativ blieb stets dasselbe: Eine schöne, schlanke Frau lebt ein erfolgreiches und vor allem konformes Plastikleben.
Mit dem Einzug des Smartphones ins Kinderzimmer wandert die nippellose Maid im kleinen Haus und Spielzeugauto zunehmend auf den Estrich. Denn sie muss es mit Konkurrenz aufnehmen. Konkurrenz, die echte Autos besitzt und grössere Häuser hat. Und Nippel.
Der scheinbar perfekte Plastik-Körper der Barbie wird durch Digitalbilder von scheinbar perfekten Fleisch-Körpern ersetzt. Mit Kardashian- und Jenner-Körpern. Mit dem Leben von Miley Cyrus, Taylor Swift, Rihanna und all den hochklischierten Influencerinnen. Mit den Barbies von Instagram, eben.
Die Barbies, die einmal Game-Entwicklerinnen, Pilotinnen oder Wissenschaftlerinnen waren, werden zu Opfer der digitalen Kinderzimmer-Gentrifizierung. Sie gehen vergessen, sterben aus.
Und mit ihnen geht die in letzter Jahre so um Chancengleichheit bemühte Massenerziehung der Firma Mattel den Bach herunter. Barbies fleischliche Nachfolgerinnen besetzten nun die Vorbildspositionen. Doch sie sind keine Pilotinnen. Die neuen Barbies haben eher so einen Job, bei dem man dafür bezahlt wird, dass man existiert.
Die kanadische Künstlerin Annelies Hofmeyr bringt Barbie nun wieder zu ihren Ex-Spielkameraden zurück. Auf dem Instagram-Account @trophywifebarbie inszeniert sie die Puppe, wie ihre Kontrahentinnen. Oberflächlich und vulgär.
Deutschsprachige Medien loben das Projekt als rebellischen und feministischen Akt. Und auch die Künstlerin selbst, sieht ihre neue Barbie als progressive Gewalt. Hofmeyr beschmiert ihre Barbie mit Periodenblut, setzt ihr Pickel ins Gesicht und lässt ihr rosarote Schamhaare wachsen.
Die Künstlerin benützt die Figur, die noch in vielen Köpfen das Symbol für Weiblichkeit verkörpert, als Tabu-Sprengerin. Gleichzeitig stilisiert sie die Puppe wieder zu einem Archetypen: Der vulgären, Drogen konsumierenden jungen Frau, die ein Popstar-ähnliches Leben führt. Wo bleibt die Rebellion? Diese Form von Feminismus mag zwar legitim sein, doch wen holt sie ab?
Wahrscheinlich keine orientierungslosen 13-Jährigen. Die vulgäre Barbie kotzt und kokst und findet Sexismus auf oberflächliche Art Scheisse. Genauso wie die jüngste Generation von Popsternchen und It-Girls, die ein Leben führen, das zwar immer progressiver ist, aber keine Orientierung liefert. Es befriedigt Sehnsüchte, die realistisch gesehen nie befriedigt werden können. Ähnlich wie die klassische Barbie, die den ganzen Tag im Bikini herumhüpfen darf und ein sorgenfreies Leben mit Ken führt.
Wenn Vulgär-sein in ist, dann ist das Tabu gebrochen. Dann ist der Zeitpunkt da, an dem man über strukturelle Diskriminierung zu sprechen beginnen sollte. Denn jedes weitere Periodenbild lässt an dieser Stelle das eigentliche Anliegen an Gehalt verlieren. Dass Kim Kardashian ihren 102 Millionen Followern jeden Tag ihren Hintern präsentiert und dass Rihanna ihren Cannabis-Konsum medial zelebriert, ist völlig okay, wird von präpubertären Kindern aber kaum mehr als Befreiungsakt wahrgenommen. Viel eher kristallisiert sich jenes Verhalten zum Status quo.
Doch – Hand auf's Herz – von den dünnen, privilegierten Mädchen, die mit zweistündigem Post-Interval zeigen, dass sie gerade total sich selbst sind, gibt es genug. Als Frau Pilotin, Wissenschaftlerin oder Gamentwicklerin zu werden – so unspektakulär es auch tönt – ist noch immer die grössere Revolution, als Person des Öffentlichen Lebens zu werden. Zwar weniger vulgär und auf Instabildern halt auch weniger unterhaltsam, doch schlussendlich viel, viel näher an der Realität.
Und apropos Schamhaare, Helen findet diesen Körperkult eh ein bisschen komisch …
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