Solos, die so gewagt sind, dass sie sogar die eigenen Bandmitglieder verblüffen. Klänge, die miteinander zu verschmelzen scheinen. Dieser Jazz schlägt Wellen. Und die Wellen erreichen auch die hinterste Person im Raum. «Es war unglaublich. Eigentlich gehe ich nicht gerne an […] Jazzkonzerte, doch ich wusste nicht, dass Jazz so turbulent und mitreissend sein kann!», so eine Zuschauerin nach dem Auftritt des Rebecca Trescher Tentett.
Vorgestellt wurden nämlich verschiedenste Werke von Trescher, denn die gebürtige Tübingerin ist nicht nur Klarinettistin und Bandleaderin, sondern ebenfalls Jazzkomponistin. Beim Zuhören wird klar: Diese Kompositionen sind alles andere als abwechslungslos. Die Band erstellt mit ihrem Orchestergefühl verschiedenste Schaubilder nach.
The Individualism of Ten hiess eines der Projekte, aus welchem einzelne Stücke vorgespielt wurden. Wie der Name verrät, wurden von jedem der zehn Bandmitglieder Skizzen eingereicht, welche dann für Trescher Material und Inspiration gaben, ein Musikstück daraus zu kreieren. So kam es zu Stücken, welche Titel trugen wie Le moutardier – der Senfmacher.
Mit der eisigen Tonkunst des Vibraphons erhält das Stück Eiskristall das gewisse Etwas, das an die darin reflektierenden Lichtstrahlen erinnert. Es scheint so, als würde mit den Klängen der Instrumente gemalt werden. Anders kann man sich die Bilder, welche sich im Kopf einstellen, nicht erklären.
Und was verblüfft, ist, dass jede Skizze einen eigenen Charakter offenbart/preisgibt. Jedes Lied war das Produkt einer individuellen und nicht nachahmbaren Wahrnehmung der Skizze. Die Lieder wechseln von leise zu laut, langsam zu schnell, dystopisch zu himmlisch. Jede Varietät, welche man sich in einem Jazz Lied nur wünschen kann, wurde dargeboten, sodass jeder im Raum mit mindestens einem Lied nach Hause geht, welches genau den eigenen Geschmack traf.
„Dieser Konsumtempel hat mich inspiriert, dieses Stück zu schreiben“. So erklärt die Bandleaderin die Entstehung des nächsten Stückes. Gewidmet wurde die Komposition dem Kaufhaus Lafayette in Paris. Trescher hatte selbst 6 Monate in der Hauptstadt Frankreichs verbracht, wo auch ihr 2022 Jazzpreis-Winning Album Paris Zyklus entstanden ist. Die Band fängt an zu spielen, und das Publikum wird in die Pariser Innenstadt versetzt. Es entsteht ein Ambiente, welches an das rauschende, bewegte Kaufhaus erinnert, als sei man selbst dort.
Das neue Jahr bringt neue Ziele, so bringt es für die Gruppe auch neue Möglichkeiten. Auf die Frage, ob Trescher Jahresvorsätze hat, antwortet sie nach kurzer Überlegung: Viele Konzerte mit viel Publikum wären ihr Wunsch für 2023. Das erste Konzert des Pflegidachs schien diesem Wunsch gerecht zu werden und einen vielversprechenden Anfang zu machen, denn der Saal war gefüllt mit begeisterten Jazzliebhabern und jenen, welche vielleicht mit etwas weniger Vorahnung eintrafen. Doch schlussendlich ist klar: War man vorher kein Jazzliebhaber, verließ man als einer das Pflegidach. Dies konnte man zumindest den zufriedenen Gesichtern des Publikums entnehmen.
Gefunden hatte sich die Band ursprünglich im Studium. Natürlich sind im Laufe der Zeit einzelne Musiker umbesetzt worden, doch dies ist gar kein Problem für die Gruppe. «Wir sind mittlerweile ein ziemlich eingespieltes Team», so Trescher. Und dies merkt man auch als Zuschauer, denn die Musiker scheinen fast schon telepathisch miteinander zu kommunizieren. Ab und zu werden während des Konzerts mal die Augen geschlossen und einfach gehorcht, was man gemeinsam als Gruppe produziert. Ein Lächeln ziert das Gesicht. Ein Bild, welches in Erinnerung bleibt.