In ferne Länder reisen, neue Kulturen entdecken und aus dem Alltagstrott ausbrechen, all dies ist in den letzten beiden Jahren zu kurz gekommen. Dementsprechend ist das Fernweh unter den Leuten so gross wie nie zuvor und jeder wartet sehnsüchtig darauf, wieder einen Fuss in ein Flugzeug zu setzen. Marquis Hill gelingt es diesem Verlangen klimafreundlich nachzugehen. Mit seiner Musik bringt er die afroamerikanische Kultur nach Muri und lässt das Publikum in eine ferne Welt eintauchen.
Bei seinem Anblick könnte man meinen, dass man sich in eine Bar in Chicago verirrt hat. Das in Rastas gedrehte Haar, die locker sitzenden Klamotten und die lässige Art, wie er seine Trompete hält, verkörpern seine Heimatstadt vollkommen. Dort lernte er auch vor vielen Jahren seine treuen Bandmitglieder kennen. Junius Paul am Bass, Jeremiah Collier am Schlagzeug und Joel Ross am Piano, Fender Rhodes und Vibraphon unterstützen ihn tatkräftig seine Leidenschaft auszuleben. Gemeinsam erzeugen sie mit Hilfe von unverwechselbaren, exotischen Klangbildern Magie auf der Bühne.
Die Atmosphäre im Saal ändert sich im Verlaufe des Konzertes mehrmals abrupt. In einem Augenblick befindet man sich inmitten eines Jazz-Konzertes, fünf Minuten später hat man das Gefühl gerade eine Diskothek zu besuchen. Am Ende verlässt man die Veranstaltung mit der Vermutung, mehrere Darbietungen auf einmal erlebt zu haben. Marquis Hill selbst bezeichnet seine Musik als ein harmonisches Gemisch verschiedenster Stile.
Er ist der Überzeugung, dass alle Genres der afroamerikanischer Kultur den gleichen Kern haben und sie dadurch nicht auseinandergehalten werden müssen. Gekonnt überwindet er die Grenzen von Gospel, Jazz, Hip-Hop und R&B und verwirft dabei all ihre Vorurteile. Nicht nur die Musikstile sind für den erfolgreichen Künstler eine Einheit, sondern die gesamte Welt. Während dem Musizieren spürt er die Verbindung zu seinen Mitmenschen, zu der Natur und zu Gott. Ein Gefühl, welches ihn erfüllt und bereits in seiner Kindheit faszinierte.
Der 35-jährige Künstler und Plattenlabelbesitzer wird in den Musikkreisen hoch angesehen und wurde schon mehrfach prämiert. Unter anderem gewann er den wichtigsten Wettbewerb in der Jazz-Szene und erhielt dafür den Monk-Preis. Zudem hatte er die Ehre mit Marcus Miller quer durch Europa zu touren, ein Highlight in seiner Karriere. «Mit Miller zu spielen war ein wahrgewordener Traum. Ihn ihm lebt für mich die Jazz-Ikone Miles Davis weiter, mein grösstes Idol», teilt Miller mit einem Glänzen in den Augen mit.
Trotz all dieser Anerkennung hat ein Laie Schwierigkeiten, die Kunst zu verstehen und wertzuschätzen. Er würde die Musik mit Adjektiven wie skurril und absurd beschreiben und nicht wie die Experten als innovativ, modern und mutig. Skurril sind vor allem die ersten paar Minuten des Konzertes. Raschelnde Geräusche gefolgt von sich stets wiederholende Tonaufnahmen mit dem Inhalt «Der einzige Grund warum ich spiele ist für Gott» formen eine Tonkulisse, welche unmittelbar aus einem Horrorfilm stammen könnten. Ohne Sachkenntnisse können die vielen Anspielungen der einzelnen Genres nicht identifiziert und somit seine Kunstfertigkeit nicht erkannt werden.
Einige Stellen des Konzertes würden Musikbanausen sogar als Krach bezeichnen. Die Lautstärke erreicht teilweise ein Ausmass, dass sich einige Rentner schützend die Ohren zuhalten. An dem Talent des amerikanischen Künstlers ist keineswegs zu zweifeln. Vielmehr liegt es an dem Durchschnittszuschauer sein Musikverständnis zu erweitern und nicht bloss nullachtfünfzehn Musik im Radio zu konsumieren.