Obwohl Sara Gazarek auf den langen Flug- und Zugstunden kaum Lieder schreibt oder arrangiert, wird die Zeit auf Tour doch sehr effizient genutzt. So übt sie neue Tunes mit der Band direkt bei den Soundchecks, um sie nach ein paar Tagen in die Setlist aufzunehmen. Zum Teil singt und spielt die Formation fünf Tage hintereinander am Stück, was von den Musikern verlangt zu funktionieren, wobei nicht viel Raum für Kreativität übrig bleibt.
Doch wenn Gazarek nicht gerade um die Welt reist, um Konzerte zu geben, widmet sie sich ihrer Musik und oft dem Arrangieren von bereits bestehenden Kompositionen. So arbeitet sie mit verschiedenen Menschen zusammen, die oft sehr unterschiedliche Rollen in ihrem Leben haben. Beispielsweise Kurt Elling, den sie als guten Freund und eine Art Vaterfigur beschreibt, half ihr bei der Bearbeitung von «Distant Storm» von Brad Mehldau, nachdem sie dazu den Text und ein kurzes Gedicht schrieb.
Bemerkenswert ist, dass Gazarek für ein Jazzkonzert Arrangements ungewöhnlich vieler Kompositionen aus anderen Genres sang. Dazu gehörten Sam Smith’s «I’m Not The Only One», Leonard Cohen’s «Halleluja», aber auch der Country Song «Jolene», geschrieben von Dolly Parton. Sie geht diese Thematik sehr offen an.
«Ich muss mich nur mit einer Aussage der Musik identifizieren können», sagt sie. «Dann kann man auch die grundliegende Botschaft komplett umkehren.» Wichtig ist ihr, dass sie der Welt zeigt, was ihre Gefühle waren, als sie das Stück zum ersten Mal hörte, es geht darum, eine eigene, einzigartige Version davon zu kreieren. Es ist alles auch nur Musik bestehend aus Melodie, Harmonie und Rhythmus. Alle diese Elemente können so verändert werden, nahezu «mathematisch», wie sie es nennt, dass schlussendlich ihre eigene Erfahrung besser zum Vorschein kommt.
Somit möchte sie nicht mit möglichst anspruchsvollem oder technisch aufwändigem Können angeben, sondern der Welt ihre eigenen Erfahrungen und Geschichten erzählen. «Die Welt muss das hören, denn die Welt erfuhr das wahrscheinlich auch.» Und so ist es wenig verwunderlich, dass sie den Aspekt des Geschichtenerzählens in ihren Auftritten wohl am meisten gewichtet.
Um dies auf die gewollte Art rüberzubringen, müssen die richtigen Musiker mit an Bord sein. Gazarek erzählt, wie sie mit den verschiedensten Pianisten beispielsweise bereits die verschiedensten Erfahrungen machte. «Manche bringen mich zum Singen und sie mich, manche nicht.» Dabei geht es um Verständnis, Vertrauen und Experimentierfreude. Dass das Verhältnis zu den Musikern von grösster Relevanz ist, wird beim Zuhören schnell klar. Oder wie Gazarek es selbst ausdrückt: «Es gibt Momente, in denen ich das Schiff steuere, in anderen ist es zum Beispiel Julian, und manchmal ist es niemand und wir erkunden zusammen neue Welten.»
Ihre Aufgabe als Bandleaderin beinhaltet somit auch ganz klar das bewusste Abgeben der Kontrolle. Deshalb ist es so wichtig, dass nicht nur der musikalische Aspekt zwischen den Musikern harmoniert, sondern auch der Zwischenmenschliche. «Es ist wirklich Trial-and-Error, bis man seine Mitmusiker findet.» So fand sie beispielsweise auch ihren Pianisten, Julian Shore, dessen Professionalität, Witz und freundliche Art ausschlaggebend für die Zusammenarbeit waren. Nur so können sich diese ungesteuerten Passagen in der Show selbst entfalten, was schlussendlich das Leben widerspiegelt. «Nicht immer ist einer der Boss, nicht immer steuert einer das Schiff, manchmal muss man dem Raum die Möglichkeit geben, etwas entfalten zu lassen.»