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Wie aus einem kleinen Hippie-Fest auf einer einsamen Insel ein riesiges Saufgelage wurde

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Full Moon Party in Thailand

Wie aus einem kleinen Hippie-Fest auf einer einsamen Insel ein riesiges Saufgelage wurde

In den Achzigern tanzten ein paar Aussteiger nackt im Vollmondlicht, weil es auf Koh Phangan keinen Strom gab. Heute ist die thailändische Insel ein beliebtes Ferienziel – und die Full Moon Party eine Grossveranstaltung.
11.05.2014, 12:1714.11.2014, 03:55
Roman Rey (Text), Catherine Keith (Bilder), Koh Phangan
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Die Sonne versinkt langsam im Meer, und der Mond übernimmt am Himmel. Der Strand füllt sich, junge Menschen aus aller Herren Länder trudeln ein, in der Hand einen hochprozentigen Drink – im Kübel. Der Dresscode ist Neon, entsprechende Kleider gibt es auf der ganzen Insel zu kaufen, viele bemalen sich zusätzlich mit leuchtenden Farben. Es riecht nach gebratenem Fleisch, und aus unzähligen Boxen ertönt gut gelaunte Popmusik.

Es ist Samstag vor der Vollmondnacht auf der thailändischen Insel Koh Phangan. Die Nacht der Full Moon Party. Sie gehört zum Pflichtprogramm partyfreudiger Reisender in Südostasien, in der Hochsaison tanzen an diesem Strand bis zu 30'000 Menschen. Obwohl die Preise zwei- bis drei Mal so hoch sind wie sonst, sind die Unterkünfte auf Koh Phangan praktisch restlos ausverkauft, und auf den umliegenden Inseln wird es ruhig.

In den Neunzigern noch ein Geheimtipp unter Hippies und Reisenden mit Hang zur elektronischen Musik, ist die Party heute eine Mainstream-Veranstaltung. Die Hauptgruppe stellen nach wie vor Anfang-Zwanziger aus Europa, Russland, USA, England und Ozeanien, doch es sind keine Raver mehr. Es ist die Art von feier- und trinkwütigem Volk, das man auch auf Ibiza antrifft. Dazu gesellen sich Schaulustige: Ältere Paare, Familien, Chinesen.

Der Schauplatz ist Haad Rin an der Südspitze der Insel. Ein Gewusel aus Menschen, die die letzten Vorkehrungen treffen, bevor sie sich zum Strand aufmachen: Essen, einkleiden, schminken, trinken, trinken, trinken – und manchmal auch Abgefahreneres. «Ich habe gerade einen Hintern tätowiert», verrät mir ein Tätowierer mit Totenkopf-Maske. In dem ehemaligen Fischerdorf, in dem es ausser Tourismus nichts mehr gibt, reiht sich Bar an Restaurant an Souvenirshop.

Bruno Bottinelli aus Zürich ist zum ersten Mal an der Full Moon Party.
Bruno Bottinelli aus Zürich ist zum ersten Mal an der Full Moon Party.

Nicht fehlen dürfen die Stände, an denen billiger Alkohol in «Buckets» (Kübeln) verkauft wird. Beim Schlangestehen verrät mir der bemalte Oben-Ohne-Niederländer Chris: «Ich lege später am Strand eine flach». Er habe gerade ein Buch über Verführung gelesen. Ich wünsche ihm viel Glück und rate ihm, sein Getränk selbst zu mixen. Einige der Verkäufer warten nur darauf, die Drinks von unaufmerksamen (sprich: besoffenen) Reisenden mit billigem Alkohol zu strecken. Wenn da der Methanol-Gehalt zu hoch ist, führt das im besten Fall zu einem 24-stündigen Erbrech-Marathon (so passiert meinem Bungalow-Nachbarn). Mit viel Pech kann es zu grösseren Schäden kommen.

«Es ist ein bisschen wie die Streetparade.»
Bruno Bottinelli, Zürich

Bruno Bottinelli betrachtet das Treiben bei einem Bier. Der Zürcher, der zum ersten Mal hier ist, will später auch an den Strand gehen. Das Fest gefällt ihm soweit. «Es ist ein bisschen wie die Streetparade», sagt Bottinelli.

Ramona und Gerd Manderscheid aus Deutschland sind schon zum zweiten Mal hier. «Ich wollte unbedingt an die Full Moon Party kommen, bevor ich 50 wurde. Ich habe es aber erst mit 51 geschafft.» Sie war so begeistert, dass sie nun wieder gekommen ist.

«Hier fühlt man sich wieder jung.»
Gerd Manderscheid
Ramona und Gerd Manderscheid aus Deutschland.
Ramona und Gerd Manderscheid aus Deutschland.

Der Brite Charlie führt seit zwanzig Jahren eine Bar im Zentrum von Haad Rin. «1996 war hier praktisch alles von Dschungel umgeben», sagt er. Ich drehe einmal um meine eigene Achse und sehe mit der Ausnahme von ein paar einzelnen Palmen nichts, was mich an Natur erinnert.

«Die Party hat sich gewaltig verändert», sagt Charlie. Das Gemeinschaftsgefühl früher sei stark gewesen. Man habe einander gekannt und zusammen getanzt. «Heute ist es langweilig».

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«Vor 20 Jahren nahmen wir Drogen. Jetzt wird nur noch gesoffen.»
Charlie (links), Bar-Besitzer

Auch Charlies Freund, ein Mittfünfziger im Rollstuhl, schwelgt in Erinnerungen: «In den Neunzigern sassen ein paar Leute mit Gitarren und Bongos am Strand, rauchten Gras und nahmen Magic Mushrooms». Heute würden sich die Leute nur noch verkleiden und saufen. «Der Alkohol ist der Tod der echten Full-Moon-Kultur.» Doch nicht alles sei besser gewesen früher. So habe es viel mehr Schlägereien zwischen Einheimischen und Reisenden gegeben.

Der Strand ist mittlerweile voll, die Feiernden tanzen und trinken. Eine Strandbar reiht sich an die nächste, aus allen dröhnt laute Musik: Trance, House, R&B, Pop, Reggae. Feuer-Jongleure präsentieren ihre Künste und lassen auch mal Feiernde mit dem Feuer spielen. Kein Wunder gehören Verbrennungen nach Schnittwunden zu den häufigsten Verletzungen.

Die Jungen geben sich mehr oder weniger der Party hin, doch eines vergessen sie nie: ihre Smartphones zu zücken. Selfie hier, Selfie da. Ein Beweis für die Teilnahme an der legendären Party, sonst glaubt einem ja keiner. Selfie or it didn't happen.

Selfie, or it didn't happen.

Die Kulisse mit Strand, Meer und Palmen ist tatsächlich verzückend. Ich halte einen Moment inne und blicke zum Himmel hoch, um nach dem hell scheinenden Mond zu sehen. Bei dem Gelage ist es leider unmöglich, den Moment als magisch zu empfinden.

Das war früher anders. Die ersten Full Moon Partys fanden in Vollmondnächten statt, weil es keine Elekrizität auf Koh Phangan gab. Der schottische Journalist Colin Hinshelwood, der 1988 bei der angeblich ersten Ausgabe dabei war, schildert im Time-Magazin: «Der Himmel war sternenübersät und die Wassertropfen funkelten wie Diamanten, wenn man mit den Wellen spielte.»

20 bis 25 Leute seien dabei gewesen, sie rauchten Marihuana und assen halluzinogene Pilze – «vielleicht hatten wir ein paar Biere». Danach habe man nackt im Meer gebadet und am Strand getanzt und schliesslich im Zelt geschlafen. «Es war ehrlich gesagt ziemlich groovy», so Hinshelwood. 

Ich schüttle mich und komme zum Getöse der Gegenwart zurück. Es ist amüsant, dass einige ausländische Hippies von «Kolonialismus» und dem «Ende der Thai-Kultur» sprachen, als die ersten Generatoren auf die Insel gebracht wurden. Amüsant und ein bisschen traurig.

Der Strom brachte die erste Evolution mit sich: Die Versammlung mit Bongos und Gitarren wurde zur Techno-Party und zum Geheimtipp für reisende Raver.

Die Toiletten sind kostenpflichtig. Aber mann weiss sich zu helfen.

An der Party kommt es immer wieder zu Gewalt. In der Silvesternacht 2012 etwa wurde ein 22-jähriger Brite erschossen, als er zwischen die Fronten von zwei Thai-Gangs geriet. Auch Berichte über Körperverletzungen und Vergewaltigungen (auch mit K.o.-Tropfen) machen regelmässig die Runde. Mehrere Länder, darunter auch die Schweiz, ermahnen Reisende zur Vorsicht.

Und schliesslich die Unfälle: Drogen und Alkohol am Meer sind nicht ungefährlich. Gerade im März ist ein britischer Tourist von einer Strömung erfasst worden und ertrunken. Nach einer solchen Party sieht man auf Koh Phangan und den umliegenden Inseln überdurchschnittlich viele Krücken und Verbände. Zu Trinken und zu Tanzen, während man den Sand zwischen seinen Zehen fühlt, hat schon was. Aber Scherben holen die Träumer allzu oft in die Realität zurück.

Auch Verbrennungen müssen die Sanitäter immer wieder behandeln.

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Der Veteran Charlie und sein Freund mögen recht haben, wenn sie sagen, dass es heute vor allem um den Alkohol geht. Die anderen Drogen sind aber nicht von der Bildfläche verschwunden. Obwohl die Polizei in den vergangenen Jahren härter gegen Dealer und Konsumenten vorgeht, sind die Mittel immer noch relativ leicht zu bekommen. Auf den Strassen Haad Rins wimmelt es von Dealern, in den Bars findet man «Happy Shakes» auf der Karte – Milchshakes mit Magic Mushrooms. Neben den klassischen Hallizunogenen, die früher dominierten, machen heute auch härtere Drogen wie Ecstasy, Heroin oder Crystal Meth die Runde.

Die härtesten Partygänger bleiben selbstverständlich bis in die Morgenstunden, wenn der Vollmond seine Schicht beendet und die Sonne übernimmt. Neben diesem schönen Anblick gehören auch Abfallberge und Alkoholleichen zum Programm. Diesen Moment erlebe ich leider nicht mit, denn auch ich habe am nächsten Morgen eine Schicht anzutreten – für watson. Ich kehre um 3 Uhr morgens in mein Hostel zurück ...

... und darum bleiben mir schlimmere Anblicke als dieser erspart.

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Roman Rey
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