Ich treffe Hoschi zum Zmittag im Ziegel au Lac. Er kommt gerade von einer Probe mit der Behindertentheatergruppe Hora.
Ich hätte mit Hoschi eigentlich gerne über die geplante Performance seiner Theatergruppe gesprochen, aber Hoschi wollte mir nichts verraten. «Wenn ich dir jetzt sage, was wir alles machen, dann muss Mittwoch kein Schwein mehr kommen!»
Dann eben nicht.
Jetzt muss Hoschi halt Fragen zu seinem Spitznamen, dem Weltraum und Geschlechtsteilen beantworten. Die Fragen zu den Geschlechtsteilen stelle übrigens nicht ich. Sondern ein Kind.
Es gibt Spaghetti Bolognese für alle. En Guete.
Hoschi, dein Spitzname erinnert mich an die Figur aus dem Nintendo-Spiel, diesen grünen Zwergdinosaurier mit der überdimensionierten Nase.
Kenn' ich nicht. Ich war als Kind nicht so der Zocker. Ein Nachbar hatte zwar früher eines dieser Dinger, wie heissen sie noch, so ein One-Way-Gerät mit nur einem Spiel drauf, verdammt, jetzt fällt mir der Name nicht ein. Damit konnte man stundenlang irgendwelche Games spielen.
Pong? Tetris?
Ja, genau. Aber mir fällt gerade ein, dass Hoschi früher auch als Schimpfwort galt: «Du bisch so en Hoschi», was ungefähr bedeutete: «Du bisch en Vollmongo». Das darf man heute natürlich nicht mehr sagen.
«Political Correctness»...
Ja, die dominiert heute überall.
Wenn kraut_produktion eine existierende Fernsehshow wäre...
Eine Fernsehshow...Eine Fernsehshow...shit, ich weiss welche, aber mir fällt der Name nicht ein. Auf Youtube kannst du dir die anschauen. Völlig crazy. Ein Schwarzer kommt in einen Raum und zerlegt zuerst einmal das ganze Bühnenbild. Dann ist er völlig ausgekotzt. Nein, er ist zuvor schon völlig ausgekotzt. So ungefähr müsste man sich kraut_produktion als Fernsehshow vorstellen.
Das klingt jetzt ziemlich skurril. Ich hatte natürlich gehofft, dass er irgendeine Trash-Fernsehshow wie Frauentausch oder Liebesglück im Osten erwähnt. Ich versuch's nochmals:
Was hat der Trash von kraut_produktion mit dem Trash von RTL-Sendungen zu tun?
Gar nichts! Es stimmt zwar, dass beides Trash ist, aber es gibt einen Unterschied zwischen gutem Trash und schlechtem Trash. Wir machen guten Trash!
Gibt es einen Film, den ihr niemals synchronisieren oder verperformen würdet?
Stummfilme. Das würde keinen Sinn ergeben. Obwohl: Man könnte natürlich die tatsächlichen Dialoge der Schauspieler neu vertonen. Die mussten während der Dreharbeiten ja auch den Mund auf- und zuklappen, damit das Ganze halbwegs authentisch wirkte. Das wär vielleicht noch ganz witzig: <Du dumme Sau!> – <Selber dumme Sau!> – <Halt doch die Fresse!> – <Selber Fresse!>
Und von meinem absoluten Lieblingsfilm «Apocalypse Now» würde ich wohl auch die Finger lassen: Da wurde alles gesagt, was gesagt werden kann.
In einer Kritik über eines eurer Stücke steht geschrieben: kraut_produktion macht "Theater für ein schockerprobtes Publikum". Mal angenommen, ich bin der Archetyp des distinguierten Bildungsbürger, wohne am Zürichberg, höre am Morgen beim Zähneputzen Debussy und Chopin und beginne meine Sätze jeweils mit einem Zitat eines griechischen Philosophen dessen Namen sich niemand merken kann. Wie muss ich mich auf eine Performance von kraut_produktion vorbereiten?
Am Besten gar nicht! Das wichtigste ist ja gerade, dass du durchgeschüttelt wirst. Deshalb ist es eigentlich auch egal, woher du kommst und ob du's scheisse findest oder begeistert bist. Hauptsache, du gehst nicht völlig gleichgültig nach Hause.
kraut_produktion sind jetzt zum siebten Mal beim ewz.stattkino dabei: Vor «Her» haben sie die Filme «Darkstar», «Raumpautrouille Orion», «Barbarella», «Event Horizon», «Das Testament des Dr. Mabuse» und «Flash Gordon» neu vertont. Alles tolle Filme. Und ziemlich trashig.
Die Frage aller Fragen: Was würde passieren, wenn Barbarella gegen Flash Gordon antritt?
(Überlegt lange) Barbarella würde gewinnen, weil sie raffinierter ist dank ihres Sexappeals und ihrer Unvoreingenommenheit. Sie würde Flash Gordon den Kopf verdrehen und ehe er sich versieht, fliegt er mit einem Arschtritt aus dem Raumschiff. Zackbumm (Hoschi macht dazu komische Geräusche, die ich hier leider nicht adäquat wiedergeben kann).
Hast du den Film «Event Horizon» noch einigermassen präsent?
Klar, warum?
Es gibt da eine Szene, die verfolgt mich bis heute: Als die Mitglieder der Rettungscrew das gestrandete Raumschiff erkunden und dabei mit Visionen aus ihrer Vergangenheit konfrontiert werden. Meine Frage: Welche Filmszene hat dich am nachhaltigsten verstört?
Puh, also ich muss sagen, ich bin ja ein absoluter Horrofilm-Afficionado. Insofern braucht es ziemlich viel, damit es mir bei einer Szene wirklich kalt den Rücken runterläuft.
Anders gefragt, was lässt dich in der Nacht schweissgebadet aufwachen?
Ein Alptraum, haha. Nein wirklich, ein Alptraum, den ich als Kind oft träumte und der ungefähr so geht: Es beginnt mit so farbigen Punkten (macht wieder komische Geräusche), die mit Lichtgeschwindigkeit überall herumflirren.
An diesem Punkt wachte ich jeweils auf, aber da fängt das Ganze erst richtig an: Auf der Schwelle meiner Zimmertür steht ein Mann, gut gekleidet, im Nadelstreifenanzug, mit Schnauzbart und Hut und lacht (Hoschi imitiert ein kaltes, mechanisches Lachen). Der Mann ist schwarz-weiss und sein Körper dehnt sich in der Höhe und Breite aus. Wohin ich auch fliehen will, der Mann ist schon da.
Wie hast du dich aus dieser Lage befreit?
Irgendwann habe ich begonnen, von einem Raumschiff zu träumen, das die kleinen Punkte abknallt. Das war meine Rettung. Aber das alles hat Jahre gedauert.
Ich bitte Hoshi, mir eine Zeichnung anzufertigen. Er soll Samantha, das Betriebssystem aus «Her», auf Papier kritzeln – so wie er es sich vorstellt.
Das ist das Ergebnis:
An diesem Punkt beginnt das Gespräch etwas abzudriften. Das liegt in erster Linie an der neugierigen Kinderschar, die uns umringt und Hoschi mit ihren Fragen löchert.
Kind 1: Was isch das? (zeigt auf Hoschis Zeichnung)
Hoschi: Das isch d'Samantha.
Kind 1: Nei, das da (zeigt auf den genau gleichen Punkt wie zuvor)
Hoschi: Das isch d'Samantha.
Kind 2: Neiii, was isch daaas da?!
Hoschi (stoisch): Das isch d'Samantha, e Computerfrou.
Kind 1: (zupft Kind 2 am Arm) Egal, chum mir gönd.
Kind 2: Neii, ich mein daas da! (tippt auf die Brüste von Hoschis Kunstwerk)
Hoschi: Das sind d'Brüscht vode Samantha.
Nervöses Kichern der Kinderschar.
Kind 1: Und s'Andere?
Hoschi: Das isch es Härz.
Kind 2: Neeei, s'Andere!
Hoschi: Das isch s'Pinggeli u s'andere isch s'Müscheli.
Kinderschar: Wäääh!
Hoschi: Was wäh! Das häsch du imfau ou!
Hoschi erzählt mir später, dass kraut tatsächlich mal eine Sexualaufklärung-Performance für Kinder gemacht haben. Die Kinder hätten es toll gefunden, sagt Hoschi. Ich glaube ihm.