Zuerst die Spielregeln: «Ich geh heut Abend zu den Cougar Boffs oder so ähnlich und Du zu den Backstreet Boys. Und dann schreiben wir darüber, wie das Konzert der anderen wohl gewesen ist. Gut?» – «Gut.»
Auf ein solches Konzert bereitet man sich als Zuschauer nicht gross vor, man geht einfach hin. So stelle ich mir das zumindest vor. Lina ist vielleicht etwas eher dort gewesen, um schon mal ein Bier zu trinken. Aber viel früher als zum Konzertbeginn wird sie nicht eingetrudelt sein – zumindest nicht absichtlich.
Coogans Bluff? Noch nie gehört. Ich hab das YouTube-Video auf Facebook trotzdem angeklickt. Und fand's gar nicht so schlecht.
Mein Fehler: Dieses Urteil fällte ich bereits nach 40 Sekunden, schloss den Browser wieder und beschloss am Abend ans Konzert zu gehen... Hätt ich doch nur ein bisschen länger zugehört.
Viktoria ist zuhause und hört sich das neue Album an. Sie freut sich riesig, küsst das Backstreet-Boys-Poster, das sie heimlich in ihrem Schrank kleben hat, und trifft sich mit ihren Basketballfreundinnen vor dem Hallenstadion! Alle so: Es wird suuuuupaaaa! Yolo!
Zur Vorbereitung haben wir uns zu zehnt bei einer meiner Basketballkolleginnen getroffen – komisch, beim Training sind wir nur selten so viele. In der Wohnung wurden schnell ein paar Flaschen Wein und Prosecco gekillt, dann aktivierten wir unsere Leuchtstäbchen, die sich zu Armbändern oder Halsketten umfunktionieren lassen. Etwa 45 Minuten vor Beginn erreichten wir das Hallenstadion und konnten uns gerade noch einen guten Stehplatz weit vorne und ganz am Rand ergattern.
Bei einem Coogans-Bluff-Konzert fliesst eine Menge Alkohol – so stelle ich mir das jedenfalls vor. Kaum ein Zuschauer wird auch nur eine Minute ohne ein Bier in der Hand da stehen. Wer gerade an der Theke steht, bestellt sich vielleicht auch noch einen Jägermeister für zwischendurch. Aber hauptsächlich wird Bier konsumiert.
Bier. Für die anderen. Für mich: Wasser. Ich war die Tage zuvor krank und verspürte nicht sonderlich den Drang, Alkohol zu trinken. Bis irgendjemand (danke, Melanie!) auf die glorreiche Idee kam, Reisschnaps aufzutischen. Ich hab noch nie in meinem Leben so etwas Abscheuliches im Mund gehabt. (Und jetzt alle pubertierenden Jungs gleichzeitig: Hihihihi ...)
Weisswein. Also ich hätte Weisswein getrunken. Viktoria und ihre Frauentruppe vermutlich Bier. Oder Wasser. Sind ja schliesslich Sportlerinnen.
Beim Konzert selber wurden so wenig Getränke wie nötig konsumiert – ein Bier hab ich getrunken. Zu gross war das Risiko, zwischendurch die Toilette besuchen zu müssen und somit einige Minuten des Konzerts zu verpassen. Abgesehen davon will ja auch keiner den hart erkämpften Platz aufgeben (mit der Zeit hatten wir es bis circa in die achte Reihe geschafft) und sich durch ein proppenvolles Hallenstadion boxen. Ich glaube, wir waren nicht die einzigen mit der «Keine-Getränke-Strategie». Wenn ich mich recht erinnere, ist genau einmal eine Person mit drei Sektgläsern in den Händen an mir vorbeigelaufen.
Um überhaupt etwas über das Konzert sagen zu können, habe ich mir vorab einen YouTube-Clip von Coogans Bluff angeschaut.
Ich schätze mal, dass das Publikum zwischen 25 und 40 Jahre alt war. Männer und Frauen sind zu etwa gleichen Teilen dort gewesen. Und die schwerste Frage – nach der Besucherzahl – beantworte ich folgendermassen: Ich schätze, dass rund 300 Leute im Publikum standen – Tendenz sinkend. Irgendwie fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass das Publikum wirklich richtig mitgegangen ist. Also, eine tanzende und kaum zu stoppende Menschenmenge wird nicht vor der Bühne gestanden haben. Ich weiss nicht genau warum, aber ich sehe Menschen vor mir, die mit verschränkten Armen dastehen (in der einen Hand das obligatorische Bier) und vielleicht ein bisschen auf einem Bein wippen.
Die fünf Leute in der «ersten Reihe» («erste Reihe», weil man egal wo man stand so quasi in der ersten Reihe war) haben ihren Schweiss mit rhythmischen Hüftbewegungen an die restlichen 30 Besucher verteilt, die vermutlich lange Haare gehabt hätten, hätten sie noch Haare gehabt. Ich stand lässig hinten an der Bar, also zehn Schritte von der Bühne entfernt, und hab mich für meine Ungeduld verflucht. Hätte. Ich. Doch. Das. Video. Nur. 10. Sekunden. Länger. Laufen. Lassen. Dann wären nämlich die Blasinstrumente zum Einsatz gekommen.
Spätestens bei «Get Down» waren Viktoria und die 6000 40-jährigen Frauen mit verfransten Jeansjacken nicht mehr zu halten! Das halbvolle Hallenstadion tobt! Viktoria mittendrin! Sie macht bei einer Polonaise mit, hält das Feuerzeug (oder das Handy mit der Feuerzeug-App) in die Luft und singt jeden Klassiker mit. Bei dem neuen Kram muss sie bei den Textpassagen per Zufall immer an ihrem Getränk nippen.
Mit meinen 26 Jahren lag ich altersmässig wahrscheinlich leicht unterhalb des Durchschnitts. Kreischende Teenies jubeln den Backstreet Boys also nicht mehr zu – dafür aber kreischende Mitt- und Endzwanziger. Das Hallenstadion war voller als ich es je gesehen hab, die Stimmung um ehrlich zu sein ZU gut. Auch wenn die Lautsprecher sicher nicht leise eingestellt waren, hat man von den Jungs nicht viel gehört. Das mitsingende und kreischende Publikum war schlicht weg lauter. Aber irgendwie war das gar nicht so schlimm: Ans Backstreet-Boys-Konzert geht man schliesslich wegen den schönen Erinnerungen, die aufkommen. Und weniger wegen der «guten» Musik.
Die Band wird sich – ganz im Gegensatz zum Publikum – ziemlich verausgabt haben. Vor allem die Herren an den Blasinstrumenten waren wahrscheinlich kaum zu stoppen. Die Band wird geschwitzt haben und nicht (wie im Video, das ich gesehen haben) in langen Wintermänteln aufgetreten sein. Sie waren bestimmt deutlich leichter bekleidet. Aber trotzdem irgendwie chic. Ich stelle mir die Outfits ziemlich hipstermässig vor – die Jungs trugen also auf keinen Fall einfach nur ein abgerocktes T-Shirt und ne Jeans.
Sagen wir mal so: Gut war, dass ich so spät dran war, dass die Band bei meiner Ankunft bereits das letzte Lied anstimmte. Schlecht, dass die fünf Leute in der ersten Reihe so laut «ZU-GA-BEEE» geschrien haben, dass die Band, die aus Deutschland stammt und das Wort Zugabe somit verstanden hat, wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist. Und das Zugabelied ging so lange wie eine durchschnittliche Punkplatte: 23 Minuten. Gefühlt.
Die in die Jahre gekommene Boygroup hat alles gegeben. Nick, AJ, Howie und wie sie alle heissen sind rumgehüpft, haben ihre perfekt einstudierten Choreographien – wie zu den Zeiten als Nick noch seine unverwechselbare Mittelscheitel-Bob-Frisur mit Stolz trug – perfekt aufgeführt und ... keine Zugabe gespielt. Weil's schon halb zehn war und der Manager bereits ungeduldig auf seine neue Rolex getippt hat. Die Männer müssen schliesslich genügend Schlaf kriegen.
Die Jungs liessen sich nicht lumpen und packten ihre Choreografien von früher aus. Ist doch egal, ob der Hüftschwung nicht mehr ganz so locker sitzt – bei Liedern wie «As Long As You Love Me» können die Fünf einfach nicht stillstehen. Genauso ist die Hut-Choreografie zu «All I Have To Give» ein absolutes Muss. Die Tatsache, dass ihnen auch heute noch Unterwäsche zugeworfen wird, kommentierten sie so: «Oh, das funktioniert auch nach 20 Jahren noch! Super!»
Wie ich Lina kenne, hat sie nach dem Konzert noch mit den Bandmitgliedern das eine oder andere Bier getrunken – sowas kann bei ihr durchaus vorkommen. Das Konzert war mit Sicherheit nicht das beste ihres Lebens, aber irgendwie war es doch ein cooler Abend mit, in ihren Augen – oder besser gesagt Ohren, guter Musik.
Wär' ich doch nur mit Viktoria mitgegangen. Und Coogans Bluff: Ihr wart gut. Wirklich. Es lag nicht an euch. Es lag an mir. Ich war nicht in Stimmung. Und ich hasse Posaunen. Und Saxophon-Gedudel. Und mit Bass-Solos kann ich auch nichts anfangen. Vielleicht beim nächsten Mal!
Viktoria ist heute halbheiser zur Arbeit erschienen. Daraus folgere ich: Sie hat entweder eine Stange Zigarette geraucht oder lauthals Spass gehabt. Wenn Tic Tac Toe eine Reunion-Tour starten, bin ich dann auch dabei.
Es war einfach grossartig. Bei diesem Konzert konnte ich als 26-Jährige ungehemmt den Teeny in mir rauslassen und mich so benehmen, wie ich mich benommen hätte, wenn ich damals schon als 12-Jährige auf einem Backstreet Boys-Konzert gewesen wäre. Aber damals durfte ich nicht. Beziehungsweise meine Eltern haben sich nicht erbarmt mit mir hinzugehen. Frechheit.