Am Donnerstag beginnt die Fussball-WM mit dem Eröffnungsspiel zwischen Brasilien und Kroatien. Ausgerechnet im wohl fussballverrücktesten Land der Welt aber will keine richtige Feststimmung aufkommen. Viele Brasilianer kritisieren die Kosten von mehr als zehn Milliarden Franken für den Grossanlass, während im Land vieles im Argen liegt.
Die Anti-WM-Stimmung wird auch von Brasiliens lebhafter Streetart-Szene aufgenommen. Zur Ikone des Protests wurde ein Graffiti, das der bekannte Künstler Paulo Ito auf das Eingangstor einer Schule in der Wirtschaftsmetropole São Paulo gemalt hat (siehe oben). In den sozialen Netzwerken wurde das Bild des hungrigen Knaben, dem ein Fussball statt Brot vorgesetzt wird, unzählige Male geteilt und kommentiert.
Andere Strassenkünstler liessen sich ebenfalls durch die WM inspirieren, etwa das Kollektiv OPNI, das 1997 gegründet wurde und in den Favelas von São Paulo mit seinen sozialkritischen Sprayereien für Aufsehen sorgt. OPNI ist die Abkürzung eines portugiesischen Begriffs, der sinngemäss übersetzt «Unbekannte Graffiti-Künstler» bedeutet.
Die enormen Kosten für die WM sind nur ein Aspekt. Ein beträchtlicher Teil des Geldes dürfte in dunkle Kanäle versickert sein. Viele Graffitis beziehen sich darauf. Staatspräsidentin Dilma Rousseff versprach am Dienstag in einer Fernsehansprache, mutmassliche Korruptionsfälle aufklären zu lassen.
Streetart mit politischen Inhalten hat in Brasilien eine lange Tradition. Sie begann während der Militärdiktatur in den 1960er Jahren. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Künstler ist Cranio aus São Paulo. Seine blauen Indigena-Figuren findet man nicht nur auf Wänden in Brasilien, sondern auch in London, Los Angeles und anderen Städten.
Die FIFA und die von ihr betrieben Kommerzialisierung des Fussballs sind ebenfalls eine beliebte Zielscheibe.
Natürlich gibt es in Brasilien auch die andere Seite: Viele Wandbilder bejubeln die Weltmeisterschaft und vor allem die brasilianischen Kicker.
Beliebtes Sujet ist Superstar Neymar, auf dem die Hoffnungen der Nation ruhen. Er soll endlich den «Maracanazo» vertreiben, den Ungeist von 1950, als Brasilien das Endspiel der letzten Heim-WM im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro mit 1:2 gegen Uruguay verloren hatte. (pbl)