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Mongolen, Iwan der Schreckliche, Stalin, Putin: Darum wird es nichts mit der Demokratie in Russland

«Ruhm dem grossen Stalin!» 1950 von J. P. Kugach
«Ruhm dem grossen Stalin!» 1950 von J. P. KugachBild: Universal Images Group Editorial
Erklärbär

Mongolen, Iwan der Schreckliche, Stalin, Putin: Darum wird es nichts mit der Demokratie in Russland

Die Russen haben grosses Pech mit ihrer Geschichte. Sie ist geprägt von Gewalt und dem Fehlen rechtsstaatlicher Institutionen. 
25.04.2014, 09:5123.06.2014, 14:32
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Einmal mehr heisst es: Dekadenter Westen gegen den bösen russischen Bären. Die Krise in der Ukraine hat den Kulturkrieg zwischen Ost und West neu entfacht. Wie ist es zur grossen kulturellen Kluft zwischen Russland und dem Westen gekommen? Das erklärt der Politologe Francis Fukuyama in seinem Buch «The Origins of Political Order»

1. Die Herrschaft der Mongolen

Der russische Staat ist etwa um 1000 nach Christus in Kiew entstanden. Die Stadt war damals ein bedeutender Umschlagplatz im Handel zwischen dem byzantinischen Reich und Zentralasien. Sie war reich und stark bevölkert. Im Jahr 1230 wurde Kiew jedoch von den Mongolen erobert und total zerstört. Die Herrschaft der Mongolen dauerte rund 250 Jahre. Sie hat bis heute Spuren in Russland hinterlassen. 

Fukuyama schildert den Einfluss der Mongolen wie folgt:

«Widerstand bestraften sie hart und hatten keine Skrupel, die gesamte Bevölkerung einer Stadt hinzurichten, um zu zeigen, wer das Sagen hatte.» 

«In scharfem Gegensatz zu den christlichen Prinzen Europas sahen sich die mongolischen Herrscher als reine Ausbeuter der von ihnen eroberten Völker. Es waren Stammesherrscher, die keine politischen Institutionen oder Rechtstheorien anerkannten. Sie heuchelten nicht vor, dass Herrschaft zum Wohle des Volkes existierte. [...] Widerstand bestraften sie hart und hatten keine Skrupel, die gesamte Bevölkerung einer Stadt hinzurichten, um zu zeigen, wer das Sagen hatte. [...] Die Mongolen haben mehrere Generationen von russischen Führern in ihrer ausbeuterischen Taktik geschult.» 

2. Kein Konflikt zwischen Kirche und Staat 

Der westliche Rechtsstaat hat seine Wurzeln im Konflikt zwischen Kirche und Staat. Könige und Kaiser konnten nicht absolutistisch regieren, sie mussten die Autorität des Papstes und den Kanon der Kirche akzeptieren.

Die Busshandlung Heinrichs IV 
«Hier stand er nach Ablegung der königlichen Gewänder ohne alle Abzeichen der königlichen Würde, ohne die geringste Pracht zur Schau zu stellen, barfuss und nüchtern, vom Morgen bis zum Abend […]. So verhielt er sich am zweiten, so am dritten Tage. Endlich am vierten Tag wurde er zu ihm [Gregor] vorgelassen, und nach vielen Reden und Gegenreden wurde er schließlich […] vom Bann losgesprochen.»
Lampert von Hersfeld, Annalen (zum Jahr 1077)
Otto Friedrich: Heinrich IV im Büssergewand vor Gregor VII in Canossa
Otto Friedrich: Heinrich IV im Büssergewand vor Gregor VII in CanossaBild: Heiligenlexikon.de 

Höhepunkt dieses Zwistes war der Gang nach Canossa von Heinrich IV im Jahr 1076/77. Der König warf sich vor Papst Gregor VII in den Staub, bat um Vergebung und anerkannte so das eigenständige, kirchliche Recht. Dieses Recht wurde später auch auf die Bürger ausgedehnt und bildet heute die Grundlage des modernen Rechtsstaates.

In Russland bildeten weltliche und kirchliche Autoritäten bis zur kommunistischen Revolution eine Interessensgemeinschaft. 

In Russland hat diese Trennung nicht stattgefunden. «Die russisch-orthodoxe Kirche hat niemals die gleiche Rolle gespielt wie die katholische, als es darum ging, einen Rechtskanon zu entwickeln, der nicht unter der Kontrolle der weltlichen Herrscher stand», stellt Fukuyama fest. Stattdessen bildeten weltliche und kirchliche Autoritäten bis zur kommunistischen Revolution eine Interessensgemeinschaft. «Die Interessen von Kirche und Staat überlappten sich», stellt Fukuyama fest. Heute feiert diese Interessengemeinschaft ein Comeback. Wenn Putin sich nicht mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt, dann gerne in Begleitung eines Popen.  

Putin mit dem Kopf der russisch-orthodoxen Kirche, dem Patriarchen Alexey von Moskau. 
Putin mit dem Kopf der russisch-orthodoxen Kirche, dem Patriarchen Alexey von Moskau. Bild: Universal Images Group Editorial

3. Iwan der Schreckliche und die Folgen

Ilja Repin: Iwan der Schreckliche
Gemälde von Ilja Repin (1885): Im November 1581 erschlug Iwan der Schreckliche seinen Sohn Iwan Iwanowitsch mit der Stahlspitze seines Herrscherstabes. Er hatte seine schwangere Schwiegertochter zu leicht bekleidet in deren Gemächern vorgefunden und war deshalb gegen sie vorgegangen. Sein Sohn wollte seiner Frau beistehen, verlor aber den Kampf gegen den jähzornigen Vater. 
Gemälde von Ilja Repin (1885)
Gemälde von Ilja Repin (1885)Bild: Universal Images Group Editorial

Iwan IV (1530 – 1584) war ein zunächst ein gewöhnlicher Zar, bis 1560 seine geliebte Frau Anastasia starb. In tiefer Trauer verliess er Moskau. 1565 kehrte Iwan zurück und entwickelte seine legendäre Schreckensherrschaft. Er verlangte absolute Autorität und bedingungslosen Gehorsam, witterte überall Verrat, liess von seiner Geheimpolizei Zehntausende foltern oder gar hinrichten und verwandelte das Land in ein riesiges Konzentrationslager. Iwan wurde so zu einem mittelalterlichen Vorreiter für Josef Stalin. 

4. Das Scheitern von Peter dem Grossen 

Peter der Grosse (1672 – 1725) unternahm den Versuch, Russland zu modernisieren. Er verlegte die Hauptstadt von Moskau ins neu gebaute St. Petersburg und organisierte den Staat, vor allem die Armee, nach westlichem Vorbild. Auch der Geschmack des russischen Adels richtete sich gegen Westen, Frankreich und Versailles wurden das grosse Vorbild.

Peter der Grosse war von 1682 bis 1721 Zar und Grossfürst von Russland und von 1721 bis 1725 der erste Kaiser des Russischen Reichs.
Peter der Grosse war von 1682 bis 1721 Zar und Grossfürst von Russland und von 1721 bis 1725 der erste Kaiser des Russischen Reichs.Bild: Universal Images Group Editorial

Doch Peter der Grosse blieb auf halbem Weg stecken. Um seine Herrschaft zu sichern, verbündete er sich mit dem Adel gegen Bürgertum und die Bauern. «Der russische Absolutismus wurde auf einer Allianz gegründet, die zwischen dem Monarchen und der oberen und unteren Nobilität entstand», stellt Fukuyama fest. «Die beiden schlossen sich auf Kosten der Bauern zusammen.» 

«Der russische Absolutismus wurde auf einer Allianz gegründet, die zwischen dem Monarchen und der oberen und unteren Nobilität entstand.»

Die Folgen dieses Bündnisses waren verheerend. Die Leibeigenschaft wurde in Russland erst 1861 abgeschafft. Wer zur Oberschicht gehören wollte, musste bei der Sklaverei mitmachen. Das war nicht nur grausam, sondern wie in den amerikanischen Südstaaten auch wirtschaftlich katastrophal. «Daher ist die kapitalistische Entwicklung in Russland nicht von einem unabhängigen Bürgertum vorangetrieben worden, sondern von der Aristokratie», stellt Fukuyama fest. Entsprechend lausig ist das Resultat ausgefallen. 

Die kapitalistische Entwicklung in Russland ist nicht von einem unabhängigen Bürgertum vorangetrieben worden, sondern von der Aristokratie.

Zar Nikolaus I als Vorbild

Ca. 1835: Nikolaus I (1796 - 1855) in seiner Militäruniform. Er war zwischen 1825 - 1855 Kaiser von Russland und von 1825 - 1830 letzter gekrönter König von Polen. Seine Ambitionen bezüglich der Erobe ...
Ca. 1835: Nikolaus I (1796 - 1855) in seiner Militäruniform. Er war zwischen 1825 - 1855 Kaiser von Russland und von 1825 - 1830 letzter gekrönter König von Polen. Seine Ambitionen bezüglich der Eroberung der Türkei lösten den Krimkrieg (1853-1856) aus, in dem Frankreich, Grossbritannien und ab 1855 das Königreich Sardinien an der Seite des Osmanischen Reiches gegen den Zaren kämpften. Bild: Hulton Royals Collection

Kein Rechtsstaat, Sklaverei bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, brutale Herrscher, ein dekadenter Adel und brutale Kommunisten haben Russland geprägt. Der Historiker John LeDonne schildert das Resultat wie folgt: «Das erklärt, warum die russische Regierung, mehr als alle anderen, eine Regierung von Menschen und nicht von Institutionen ist.»

Wladimir Putin knüpft an diese Tradition an. In seinem Büro soll er ein Bild von Zar Nikolaus I 1796-1855) hängen haben, einem autoritären, konservativen Herrscher. Auch Putin hat mittlerweile ein fundamental autoritäres Regime errichtet. Er stützt sich auf ein undurchsichtiges Netzwerk von starken Männern, unterdrückt die Opposition und verhüllt das Ganze mit einem pseudo-demokratischen Mäntelchen. Die Wirtschaftsordnung ist eine Art willkürlicher Staatskapitalismus, von der eine Oligarchie profitiert. Zunehmend verzichtet Putin gar auf eine pseudo-demokratische Rechtfertigung. Er verbietet NGOs, lässt Oppositionelle verhaften, hetzt gegen Homosexuelle und heizt die Bevölkerung mit übelstem Chauvinismus auf. 

Der Staat ist alles

Putin schreckt auch mit Versatzstücken der ehemaligen Sowjet-Propaganda nicht zurück. Er will jedoch keine Neuauflage der UdSSR. Andrei Zubow, Historiker am Moscow State Institute of International Relations, warnt in der «Financial Times»: «Es wird keine Wiedergeburt der Sowjetunion geben, sondern eine Wiedergeburt des Faschismus in seiner reinsten Form im Sinne von Mussolini. Es wird weder Rassismus, noch Holocaust geben. Aber ein Grundprinzip wird sich durchsetzen: der Staat ist alles.»  

«Es wird keine Wiedergeburt der Sowjetunion geben, sondern eine Wiedergeburt des Faschismus in seiner reinsten Form im Sinne von Mussolini.»
Sowjetisches Propaganda-Poster (1933): «Halte den Banner von Marx, Engels, Lenin und Stalin hoch!» 
Sowjetisches Propaganda-Poster (1933): «Halte den Banner von Marx, Engels, Lenin und Stalin hoch!» Bild: Wikicommons
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