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Stammt die über der Ukraine abgeschossene Drohne aus dem Museum?

Videos werfen Fragen auf

Stammt die über der Ukraine abgeschossene Drohne aus dem Museum?

03.08.2014, 20:0628.04.2015, 07:45
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Am 1. August teilte der «Informationsminister» der selbst ernannten «Volksrepublik Donezk» mit, dass seine Kämpfer eine ukrainische Drohne abgeschossen haben. Die Einheit des russischen Söldners Arsen Pawlow (Kriegsname «Motorola») habe um 13.30 Uhr in der Nähe der Bergbau- und Industriestadt Schachtarsk ein Flugobjekt gesichtet. 

Nachdem die «Motorola»-Einheit das Flugobjekt als ukrainische Aufklärungsdrohne identifiziert hatte, habe sie die Drohne beschossen. Die an einer Strassensperre auf der Nationalen Fernstrasse H21 Donezk-Snischne postierten Söldner hätten die ukrainische Aufklärungsdrohne getroffen und wenig später in einem nahen Kornfeld gefunden.  

Als «Beweis» machten die (pro-)russischen Separatisten einige Fotos und drehten zwei Videos, die von der staatlichen russischen TV-Agentur «Ruptly» weiter verbreitet wurden.

Im ersten Video erklärt ein Söldner mit dem Kriegsnamen «Korsar», dass ein tief fliegendes Flugzeug der ukrainischen Luftwaffe die Drohne abgeworfen habe. 

video: youtube/AlaJaJaJaable1+1

Im zweiten Video kommentiert ein Söldner, dass mit der Drohne Separatisten und Zivilisten getötet werden sollten.

video: youtube/Донецкая республика

Unter anderem verwendeten der staatliche Auslandssender «Russia Today» RT (dessen Tochterfirma «Ruptly» ist) und die staatlichen TV-Sender in Russland selbst das Video. Fotos und Video mit dem «Beweis» wurden im Internet innert Stunden viral weiter verbreitet. 

Eine Analyse des Videos und der dazu gehörenden Fotos zeigt aber, dass die Aufklärungsdrohne keinen Meter weit geflogen ist, sondern es sich wahrscheinlich um ein längst ausrangiertes Exponat handelt, das entweder aus dem Museum für Militär-Aviatik in Donezk oder wahrscheinlicher aus dem Museum des Flugzeug-Reparaturwerkes in Lugansk entwendet und mit einem Kleinlastwagen auf das Kornfeld transportiert wurde.  

Eine TU-141 im Museum des Flugzeug-Reparaturwerkes in Lugansk. 
Eine TU-141 im Museum des Flugzeug-Reparaturwerkes in Lugansk. bild: wikimedia commons/Igor Bubin

Die Tupolew Tu-141 «Strisch» (russisch «Mauersegler») wurde als Drohne zur Fernaufklärung 1975 bei den sowjetischen Streitkräften in Dienst gestellt. Ein Jahr später folgte die etwas grössere Aufklärungsdrohne Tu-143 «Rejs» (russisch «Flug» oder «Reise»). Beide Drohnen sind knapp 8 Meter lang, mit einer Spannweite unter 3 Metern. 

Beiden Aufklärungsdrohnen ist gemeinsam, dass sie mit Turbojettriebwerken angetrieben werden und von einem fünfachsigen Trägerfahrzeug mit Hilfsraketen abgefeuert werden müssen (im Fachjargon «Rocket assisted Take Off» (RATO)

video: youtube/vladomir

Eine solche Drohne mit Turbojettriebwerk von einem tief fliegenden Flugzeug aus abzuwerfen, wie es der Söldner mit dem Kriegsnamen «Korsar» erzählte, ist auf jeden Fall sinnlos und wahrscheinlich technisch kaum machbar. 

Die Drohnen vom Typ Tu-141 und Tu-143 landen zudem mit einem grossen Fallschirm. Die (pro-)russischen Separatisten im zweiten Video konnten nur die Halteschlaufen des Fallschirmes am Heck der Drohne zeigen. Der auffällige Fallschirm hatte sich entweder kurz nach der Landung in Luft aufgelöst – oder es gab gar keinen Fallschirm.  

Denn bei Exponaten in einem Museum für Militäraviatik wird dieser Fallschirm logischerweise entfernt. Das nächste Museum dieser Art ist nur 50 Kilometer von der «Absturzstelle» der Drohe entfernt und präsentiert solche Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 und Tz-143.

Tu-141 und Tu-143 sind unbewaffnet  

Eine weitere Gemeinsamkeit der Tu-141 und der Tu-143 ist, dass sie keine Bewaffnung tragen. In den sowjetischen Aufklärungsdrohnen aus den 1970er-Jahren steckte eine robuste Kamera, die mit einem superfeinem Schwarz-Weiss-Film bestückt wurde (der nach der Landung entwickelt werden musste). Die analogen Kameras wurden in den 1990er-Jahren abgelöst durch eine live gesendete digitale Bilderfassung, durch Infrarotsensoren oder Radarsysteme.

Die Ukraine hat die ohrenbetäubend lautstarken Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 oder Tu-143 schon vor Jahren ausrangiert. Entgegen von Gerüchten aus den letzten Tagen wurden diese auch nicht reaktiviert. Stattdessen setzt die ukrainische Armee offenbar kleine, leise und sehr effiziente Drohnen von Hobby-Drohnenpiloten ein.

Die rund 1,2 Tonnen schweren Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 oder Tu-143 haben ein wenig effizientes Turbojet-Triebwerk und nur kleine Deltaflügel. Es ist also ausgeschlossen, dass sie irgendein Waffensystem oder eine Bombe tragen. Auf den Videos und Fotos sind auch keine Befestigungen dafür zu sehen. Mit diesen Aufklärungsdrohnen können also keine Separatisten oder Zivilisten getötet werden, wie der unbekannte Söldner im zweiten Video kommentiert. 

Ein Video-Fake mit vielen kleinen Fehlern  

Die (pro-)russischen Separatisten gaben sich zudem auch keine besondere Mühe, die «Absturzstelle» glaubwürdig zu präparieren. Das Turbojetriebwerk ist sauber, weder am Triebwerk noch im trockenen Kornfeld sind Schmauchspuren zu sehen. 

Auch ist am ganzen Drohnen-Wrack keine einzige Einschuss-Stelle zu finden. Und gleich hinter der «abgeschossenen» Aufklärungsdrohne steht ein Kleinlaster, an dem noch die Spanngurte vom Transport runterhängen.  

Interessanterweise können die (pro-)russischen Separatisten auch keine digitale Kamera, Infrarotsensoren oder Radarsysteme präsentieren, ohne die eine Aufklärungsdrohne keinen grossen Sinn macht. 

Die «abgeschossene» ukrainische Drohne ist ein Fake, genau so wie die «Beweise» der Fake-Videos und Fake-Fotos, welche die staatlichen Medien in Russland verbreiten.  

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4 Kommentare
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goschi
03.08.2014 21:39registriert Januar 2014
Erfreulich präzise Aufarbeitung des Zwischenfalls, geschrieben mit viel fachlichem Background, das ist eine angenehme Ausnahme, andernorts wird haarsträubender Unsinn darüber verbreitet, mit offensichtlicher Unkenntnis der technischen und taktischen Besonderheiten dieser Aufklärungsdrohne.
Da zeigt sich, dass Recherche und Sachkenntnis guten Journalismus ergeben, danke Ihnen dafür!
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