Die Schweiz sei eine «Nicht-Willensnation», schreibt Spiegel Online: Man wolle weder zu Deutschland, noch zu Frankreich, noch zu Italien gehören. Als Ersatz für eine wahre nationale Idee habe man den Wohlstand – und den wolle man um jeden Preis verteidigen. Das Ja zur SVP-Initiative sei eine Abkehr von der Politik, die in den letzten Jahren so erfolgreich war.
Die Schweizer hätten die Initiative nicht angenommen, weil sie fremdenfeindlich seien, sondern weil sie glaubten, dass Wachstum mehr Nachteile produziert als Wohlstand. So sieht es die «Süddeutsche Zeitung» aus München. In der EU sei die Stimmung ähnlich, konstatiert das Blatt. Und wenn man Niederländer, Deutsche oder Franzosen über die gleiche Frage abstimmen liesse, würde das Ergebnis wohl so ausfallen wie in der Schweiz. Ausserdem hätten sich EU-Vertreter in den Abstimmungskampf eingemischt und vor einem Ja gewarnt – das habe sich wohl kontraproduktiv ausgewirkt.
Die SVP habe Zustimmung auch jenseits ihrer klassischen Wähler erhalten, schreibt «Die Welt» aus Berlin. Die Schweiz sei nach dem Krimi ein geteiltes Land, der Röstigraben tief, die Handlungsfähigkeit der Politik belastet.
Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» glaubt, dass das Resultat für die Schweizer Regierung, die Parteien (ausgenommen die SVP) und die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften die schwerste Niederlage seit dem EWR-Nein 1992 sei. Regierung und Wirtschaft würden nun alle Hände voll zu tun haben, um die negativen Folgen der Abstimmung für die Zusammenarbeit mit der EU zu begrenzen.
Bei der Abstimmung sei es gar nicht um den oft beschworenen «Dichtestress» gegangen, spekuliert Zeit Online. Sondern um «Fuck the EU» – damit zitiert das deutsche Newsportal die Aussage einer US-Botschafterin, die letzte Woche für Furore gesorgt hatte.
Die linksgerichtete taz aus Berlin spekuliert, dass vor allem Flüchtlinge, Asylbewerber und Menschen aus der Zweiten und Dritten Welt von einer Umsetzung der Initiative betroffen sein werden. Der Sieg der SVP sei auch eine Ermutigung für den britischen Premier Cameron und andere, die die Personenfreizügigkeit innerhalb der EU wieder begrenzen wollen.
Zunächst lobt der Kommentator der Wiener «Presse» das Niveau, mit dem die Debatte zu der Initiative im Vorfeld geführt worden war. Man wünsche sich eine solche Diskussion auch in Österreich – ausgewogen und eben nicht ausschliesslich vom linken und rechten Rand geführt. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte: das Abstimmungsresultat. Die SVP habe jedoch nie genau durchblicken lassen, wie sie die Initiative umsetzen wolle.
«Le Monde» aus Paris hat mit dem Politologen Pascal Sciarini von der Uni Genf gesprochen. Die massive Zuwanderung verursache beim Volk ein Gefühl der Angst, sagt dieser.
Gemäss «El Pais», der spanischen Mitte-Links-Tagsezeitung, zwingt das Ergebnis die Europäische Union, ihre enge Beziehung zu der Schweiz zu überdenken. Und es beende die Personenfreizügigkeit, die seit 2002 in Kraft ist.
«La Stampa» aus Turin stellt fest, dass das Tessin und die Deutschschweiz den Ausschlag gegeben hätten, während die Romandie die Vorlage ablehnte. Sie lässt den Präsidenten der Region Lombardei zu Wort kommen:
Die Schweizer Regierung müsse nun die EU informieren, dass sie die bilaterale Vereinbarung über die Personenfreizügigkeit neu verhandeln wolle, schreibt der britische Onlinedienst BBC News. Das sei aber «fast sicher» keine Option. Brüssel sehe die Personenfreizügigkeit als integralen Bestandteil des europäischen Marktes. Ein Ausschluss könne für die Schweiz katastrophale Folgen haben.
(rey)