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So leiden die Lokführer unter den neuen SBB--Doppelstöcker

Ein Lokfuehrer faehrt einen Zug waehrend der Typentestfahrt im neuen Doppelstockzug der SBB "FV Dosto" zwischen Bern und Interlaken, am Donnerstag, 11. Mai 2017. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Blick in den Führerstand des neuen FV-Dosto von Bombardier. Bild: KEYSTONE

«Der Zug stellt einfach ab»: So leiden die Lokführer unter den SBB-Pannen-Doppelstöckern

Zwar rollen die neuen SBB-Intercitys seit dem 9. Dezember auf Nebenstrecken. Dies aber alles andere als zuverlässig. Die Stimmung beim Zugpersonal ist angespannt. 
11.01.2019, 11:2911.01.2019, 15:08
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Es ist ein Bähnler-Schrecken ohne Ende: Seit dem 9. Dezember 2018 verkehren zwar die ersten Doppelstöcker-Intercitys (FV-Dosto) des Herstellers Bombardier fahrplanmässig als Interregio zwischen Chur, St.Gallen, Zürich und Basel. 

Wegen Türstörungen, Softwareproblemen, Fehlern beim Passagierinfosystem sowie den Klimaanlagen kommt es aber immer wieder zu Zugsausfällen. Dies obschon die Züge eigentlich bereits vor fünf Jahren hätten abgeliefert werden sollen. 

In einem geharnischten Communiqué teilten die SBB gestern mit, dass die Zuverlässigkeit der ersten zwölf abgelieferten FV-Dosto im ersten Betriebsmonat «nicht akzeptabel» sei.

«Es ist von A – Z ein Trauerspiel.»
Hans-Ruedi Schürch, Lokführergewerkschaft

Aber was bedeutet dies für das Zugpersonal? watson hat bei Gewerkschaftsvertretern nachgefragt.

Hans-Ruedi Schürch, Lokführer und Präsident des Lokomotivpersonalverbands (LPV), findet klare Worte für die Probleme des neuen Bombardier-Doppelstöckers: «Es ist von A bis Z ein Trauerspiel.» Zwar seien seine Berufskollegen begeistert vom neuen Führerstand des Zuges. Nur streike die Steuerungssoftware immer wieder. 

«Der Zug stellt sich buchstäblich ab. Der Lokführer ist der Elektronik völlig ausgeliefert», so Schürch. Den Mitarbeitern bleibe nichts anderes übrig, als das gesamte Betriebssystem neu zu starten. Das dauere aber bis zu 30 Minuten.

Das ist viel zu lange, um die Fahrt auf dem dichtbefahrenen Schienennetz fortführen zu können. Die Folge ist ein Zugsausfall. Darum fahren nun auf allen Zügen Techniker von Bombardier mit, um bei einem Defekt möglichst rasch eingreifen zu können. 

Die vielen Pannen belasten das SBB-Personal: «Die Lokführer steigen mit einem schlechten Gefühl in den Zug. Schliesslich wollen sie die Passagiere pünktlich ans Ziel bringen. Mit diesen Zügen ist das aber nicht immer möglich», so Schürch. Für den Gewerkschaftschef der Lokführer ist klar: So ein Debakel bei einer Zugsinbetriebnahme hat es in der Geschichte der SBB noch nie gegeben. 

Jürg Hurni vom SEV. 
Jürg Hurni vom SEV. zvg

Auch bei Jürg Hurni, Zugchef und heute Gewerkschaftssekretär bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, lassen Berufskollegen ihren Frust ab. «Die Zugbegleiter müssen manchmal als Blitzableiter für erzürnte Passagiere herhalten.»

400 Meter lang, 1300 Passagiere, 5 Jahre Verspätung: Der FV-Dosto von Bombardier

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400 Meter lang, 1300 Passagiere, 4 Jahre Verspätung: Der neue Intercity der SBB ist da
Die SBB präsentierten im Mai 2017 ihren neuen Intercity-Zug erstmals den Medien. Der Zug mit dem Namen «Twindexx Swiss Express» wird von der Firma Bombardier hergestellt. Hier steht er im Bahnhof Interlaken bereit für die Abfahrt.



quelle: keystone / anthony anex
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Zumindest auf der Haupstrecke IC1 zwischen St.Gallen und Genf haben die SBB für den FV-Dosto vorderhand die Notbremse gezogen. Die 1300 Passagiere fassenden Züge kommen damit etwa zwischen Bern und Zürich erst zum Einsatz, wenn sie im täglichen Betrieb auf den Interregio-Strecken drei Monate «verlässlich eingesetzt werden können», schreiben die SBB. Wie lange das dauert, weiss derzeit niemand. 

Die Zurückhaltung hat ihren Grund: «Bleibt zwischen Bern und Zürich ein Zug stehen, hat dies viel grössere Auswirkungen. Die SBB können es sich nicht leisten, tausende Pendler zu verägern. Der Renomméverlust wäre beträchtlich», erklärt Hurni. 

So fahren die SBB weiter mit den alten Doppelstöckern, die sie teilweise von anderen Strecken abziehen müssen. Die Folge: Pendler müssen mit verkürzten Zügen Vorlieb nehmen. «Das Wagenmaterial wird langsam knapp. Die SBB fahren auf dem Zahnfleisch», bilanziert der Gewerkschaftssekretär. 

Streit um FV-Dosto vor Bundesgericht
Als wären die technischen Probleme nicht schon genug, droht dem FV-Dosto weiteres Ungemach: Inclusion Handicap, der Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz, zieht die Beschwerde gegen die befristete Betriebsbewilligung für den neuen Doppelstockzug (FV-Dosto) der SBB ans Bundesgericht weiter. Die neuen Züge seien gesetzeswidrig. Das Bundesverwaltungsgericht hatte Ende November die Beschwerde von Inclusion Handicap gegen die Betriebsbewilligung des neuen Doppelstockzugs praktisch vollumfänglich abgewiesen. Der Dachverband hat sich nun gemäss einer Mitteilung vom Donnerstag entschieden, das Urteil ans Bundesgericht weiterzuziehen. Die selbstständige Nutzung des Zugs sei für viele Passagiere mit Behinderungen nicht gewährleistet. (sda)

So sehen die neuen SBB-Züge von innen aus

Video: srf/SDA SRF
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75 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butschina
11.01.2019 12:29registriert August 2015
Das selbstständige Einsteigen mit dem Rollstuhl ist sehr unangenehm. Falls die Höhe des Trittbrettes nicht exakt stimmt (was nur selten der Fall ist) kann es schnell gefährlich werden. Ähnliche Probleme gibt es aber auch bei anderen Zügen, wenn auch nicht ganz so schlimm. Auf IC Strecken ist man aber selten die einzige Person die ein- oder aussteigt. Ich frage einfach jemand um Hilfe ob er etwas Gegengewicht auf den Rollstuhl gibt damit ich nicht kippen kann. Klar wäre es praktischer ohne Hilfe. Aber ob man da gleich vors Bundesgericht muss? Die meisten Menschen helfen wenn man nett fragt.
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incorruptus
11.01.2019 11:45registriert April 2015
Auf der Linie Zürich-Chur via St. Gallen freut es mich stets, wenn ein FV-Dosto und keiner dieser "alten" RE-Doppelstöcker fährt - viele Toiletten, mehr Platz auf den Sitzen, ausklappbare Tische, Steckdosen an jedem Platz und wunderbare Ruhe UND es riecht nicht nach WC. Glücklicherweise wurde ich bisher nie mit einem Zugausfall konfrontiert. Ich freue mich auf die komplette Einführung.

Jedoch ist das Lieferverhalten absoult inakzeptabel, ich frage mich aber auch, warum die SBB den Zug auf ein bestimmtes Datum ankündigt.. Der Verkehr funktioniert ja doch auch immer noch ohne die neuen Züge.
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Til
11.01.2019 13:35registriert März 2018
Lasst mich raten: die Software für die Züge ist von der gleichen Firma, wie die für die Lime Trottis.
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