Für SVP-Doyen Christoph Blocher wäre es die Vollendung seiner politischen Karriere. Eine Initiative zur Kündigung der verhassten Personenfreizügigkeit mit der EU: Das Volk sagt Ja, die Schweiz sägt sich weitgehend vom Brüsseler Machtapparat los und steuert ihre Zuwanderung wieder selbstständig.
Ob es so weit kommt, wird sich am 24. Juni weisen. An diesem Tag lässt die Führung der Volkspartei ihre Delegierten im Grundsatz über die Lancierung einer Kündigungsinitiative entscheiden, wie Recherchen zeigen.
Doch so gross der politische Ertrag für die SVP bei einem Erfolg wäre, so gross ist das Risiko. Ein Volks-Nein zur Kündigungsinitiative würde die Personenfreizügigkeit auf viele Jahre hinaus zementieren.
Darauf spekulieren die politischen Gegner der SVP und nutzen den Moment für eine Provokation. So sagt der Solothurner CVP-Ständerat Pirmin Bischof etwa folgendes:
Ein solches Volksbegehren aus dem Hause Blocher gäbe der Bevölkerung die Möglichkeit, «zwischen zwei klaren und entgegengesetzten Positionen» zu entscheiden.
Variante eins wäre die Kündigung der Personenfreizügigkeit. Variante zwei die Initiative «Raus aus der Sackgasse» (RASA), welche die 2014 angenommene Masseneinwanderungsinitiative wieder aus der Verfassung streichen will.
Bischof ist nicht der Einzige, der hofft, dass die Rechte ihre Drohung wahr macht. Auch FDP-Ständerat und Ex-Parteipräsident Philipp Müller zeigt sich siegesgewiss.
«Bei der Masseneinwanderungsinitiative wusste die Bevölkerung nicht, was die Konsequenzen sind. Das wird dieses Mal anders sein.» Bei einer Annahme der Kündigungsinitiative trete automatisch die Guillotine-Klausel in Kraft, womit auch die bilateralen Verträge I Geschichte wären. In den Augen Müllers würde die Bevölkerung diesen Preis kaum bezahlen wollen.
Die Volkspartei selbst weiss, dass eine Kündigungsinitiative Risiken birgt. Schon am 6. Mai legt die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) im Beisein von Christoph Blocher ihre Position in Sachen Kündigungsinitiative fest. Für Auns-Geschäftsführer Werner Gartenmann geht es nicht mehr darum ob, sondern wann die Initiative lanciert wird. «Die Personenfreizügigkeit muss weg.»
Während die Auns Druck auf eine baldige Lancierung macht, warnen namhafte SVP-Exponenten vor einem überstürzten Vorgehen. Im Anschluss an die Delegiertenversammlung von Ende Juni soll deshalb eine kleinere Gruppe den Initiativtext in aller Ruhe ausarbeiten.
Die Ideen der eigens eingesetzten Arbeitsgruppe von SVP und Auns reichen von einer «nackten Kündigung» bis zur Einführung eines Punktesystems zur Beschränkung der Zuwanderung nach dem Vorbild Kanadas.
SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) kann sich vorstellen, die Kündigung der Personenfreizügigkeit in Form eines Gegenvorschlags zur Rasa-Initiative im Parlament einzubringen.
Der Bundesrat hätte es lieber, die Rasa-Initianten würden ihr Volksbegehren zur Eliminierung der Masseneinwanderungsinitiative ganz zurückziehen. Am Dienstag traf sich Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) mit Vertretern des Initiativkomitees, wie mehrere voneinander unabhängige Quellen bestätigen. Über den Inhalt des Treffens wurde Stillschweigen vereinbart.
Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass Sommaruga und die Mehrheit ihrer Regierungskollegen eine Abstimmung für ein hochriskantes Unterfangen halten. In ihren Augen hat die RASA-Initiative ihren Dienst getan, nachdem die Unterschriftensammlung für ein Referendum gegen das EU-konforme Ausführungsgesetz der Zuwanderungsinitiative vor kurzem gescheitert ist.
Für den Fall einer Ablehnung des RASA-Volksbegehrens befürchten sie, dass die SVP mit ihrer Selbstbestimmungs- und einer allfälligen Kündigungsinitiative Auftrieb erhielte.
Das Komitee «Raus der Sackgasse» will sich noch nicht festlegen. Mitglied Andreas Auer spricht davon, dass es «Druckversuche» gebe. Ein Rückzug, betont er, sei selbst in letzter Sekunde noch möglich. Bis der Abstimmungstermin feststeht. (aargauerzeitung.ch)