Das Statement der Jungen Grünen bringt es auf den Punkt: «Bevor die Diskussion in eine ausführliche «Sternstunde Philosophie» verkam, obsiegte ein Antrag auf Stimmfreigabe knapp», teilte die Partei vor einer Woche mit. Sie beleuchtet damit zwei wesentliche Aspekte: Der Verfassungsartikel zur Präimplantationsdiagnostik (PID), über den am 14. Juni abgestimmt wird, ist ein komplexes Thema, das heikle ethische Fragen aufwirft. Und er spaltet die Parteien, auch die Grünen: Während der «Nachwuchs» für Stimmfreigabe votierte, beschloss die Mutterpartei die Ja-Parole.
Nur schon der Name ist ein Wort-Ungetüm: Präimplantationsdiagnostik. Was steckt dahinter? Warum sind die Parteien gespalten? Und warum ist die Abstimmung noch komplizierter, als sie vom Thema her ohnehin schon ist? watson zeigt die wichtigsten Punkte.
Ihre Geburt war eine Sensation: Louise Brown war 1978 das weltweit erste Retortenbaby. Heute ist die Engländerin selber Mutter zweier Kinder, die auf natürlichem Weg gezeugt wurden. Die Prozedur, der sie ihr eigenes Leben verdankt, ist längst Routine und hat unzähligen Paaren geholfen, die sonst kinderlos geblieben wären. Umstritten aber ist, ob man im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf Erbkrankheiten oder Behinderungen wie Trisomie 21 testen darf.
Die Schweiz ist bald das letzte Land in Europa, in dem die so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID) verboten ist. Dies wirkt angesichts des medizinischen Fortschritts anachronistisch. Viele Paare weichen deshalb ins Ausland aus, etwa nach Spanien, wo die Gesetze besonders liberal sind. Der neue Verfassungsartikel, der nun zur Abstimmung gelangt, soll die PID grundsätzlich ermöglichen. Die konkrete Regelung erfolgt mit dem revidierten Fortpflanzungsmedizingesetz.
Im Normalfall tritt ein Verfassungsartikel in Kraft, danach wird ein Ausführungsgesetz erarbeitet. Im Fall der PID hat das Parlament den entsprechenden Erlass jedoch bereits verabschiedet. Wenn das Volk am 14. Juni die Verfassungsänderung annimmt, beginnt die Referendumsfrist zu laufen, andernfalls ist das Gesetz Makulatur. Das Referendum bei einem Ja ist so gut wie sicher, weshalb das Volk vermutlich innert Jahresfrist ein zweites Mal über die PID abstimmen müsste.
Das Gesetz sieht vor, dass höchstens zwölf Embryonen im Reagenzglas erzeugt und bei Nichtbedarf tiefgekühlt aufbewahrt werden dürfen. Umstritten aber ist vor allem das Ausmass der Untersuchungen. Der Bundesrat wollte eine restriktive Regel und sie nur jenen Paaren erlauben, die mit schweren Erbkrankheiten vorbelastet sind. Das Parlament zeigte sich liberaler, es will allen Paaren Embryo-Tests ermöglichen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können.
Kritikern geht dies zu weit. Sie fürchten, dass Eltern mit behinderten Kindern künftig stigmatisiert werden oder Versicherungen Gentests verlangen, um Krankheit und Behinderung auszuschliessen. Die Befürworter verweisen darauf, dass mit den Tests das Risiko für die Mütter minimiert und eine «Schwangerschaft auf Probe» vermieden werden kann. Ausserdem sei es ein Widerspruch, dass man Embryonen nicht im Reagenzglas, dafür aber im Mutterleib testen darf. Wird dabei ein erhöhtes Risiko festgestellt, entscheiden sich Paare häufig für eine Abtreibung.
Explizit verboten bleibt die Herstellung von «Designerbabys». Man darf auch in Zukunft sein Kind nicht nach der Haar- oder Augenfarbe auswählen. Das beruhigt die Gegner der PID nicht, sie fürchten, dass sich diese Entwicklung nicht aufhalten lässt. «Ich zweifle ehrlich gesagt daran, dass wir nicht bald auch Babys nach Mass designen werden», sagte der St.Galler CVP-Nationalrat Jakob Büchler in einem «20 Minuten»-Streitgespräch.
Neben grundsätzlichen Befürwortern gibt es auch jene, die einen Mittelweg gehen: Sie sind für die PID und den Verfassungsartikel, aber gegen das Gesetz. Ein Beispiel ist die Aargauer SP-Ständerätin Pascale Bruderer, die eine gehörlose Schwester hat. Sie ist dafür, «die PID in restriktiver Form zuzulassen», wie es der Bundesrat ursprünglich plante, und empfiehlt ein Ja am 14. Juni. Danach will Bruderer jedoch ein Referendum gegen das Gesetz unterstützen.
Wertkonservative aus allen Lagern sind skeptisch gegenüber der PID: Abtreibungsgegner auf der einen Seite, Gentech-Kritiker auf der anderen. Das zeigt sich im widersprüchlichen Verhalten einiger Parteien. Nicht nur die Jungen Grünen haben Stimmfreigabe beschlossen, sondern auch die Delegierten der SP Schweiz, obwohl ihre Parlamentarier mehrheitlich dafür waren und Bundesrat Alain Berset die Vorlage vertritt. Die SVP sagte im Parlament mehrheitlich Ja, doch der Zentralvorstand beschloss die Nein-Parole. Die Delegierten wurden gar nicht gefragt.
Besonders umstritten ist die Vorlage innerhalb der CVP, die sich offiziell für ein Ja einsetzt. Der erzkonservative Churer Bischof Vitus Huonder ruft gemäss «NZZ am Sonntag» in einem Rundschreiben alle Pfarreien sowie die National- und Ständeräte der CVP in seinem Bistum dazu auf, für ein Nein zu werben. Die Aargauer Nationalrätin Ruth Humbel, eine PID-Befürworterin, und der Solothurner Nationalrat und CVP-Vizepräsident Stefan Müller-Altermatt, der die Vorlage ablehnt, lieferten sich auf Twitter gar einen Disput über Meinungsfreiheit innerhalb der Partei.
Die vom Parlament beschlossenen Ausweitungen haben eben durchaus eine Logik. Nein zu sagen, wird immer schwieriger. Deshalb jetzt: @pidnein
— Stefan Müller (@MullerAltermatt) May 15, 2015
@MullerAltermatt Die Delegierten der CVP haben deutlich JA gesagt zum Verfassungsartikel. Das sollten Präsidiumsmitglieder respektieren!
— Ruth Humbel (@RuthHumbel) May 16, 2015
@RuthHumbel Als Präsidiumsmitglied stehe ich vor allem ein für die Meinungsfreiheit unserer Mitglieder. Gerade in ethischen Fragen. @CVP_PDC
— Stefan Müller (@MullerAltermatt) May 16, 2015
Gegen den Verfassungsartikel kämpft auch der Thurgauer Nationalrat Christian Lohr. Für ihn geht die Vorlage im wahrsten Sinn des Wortes ans Lebendige. Lohr ist ein Opfer des «Wundermedikaments» Contergan, das werdenden Müttern zwischen 1957 und 1961 als Beruhigungs- und Schlafmittel verschrieben wurde. Viele Kinder kamen mit verkrüppelten Armen und Beinen zur Welt, so auch Christian Lohr. Er vermute stark, «dass man meinen Eltern zur Abtreibung geraten hätte», wenn die PID vor 50 Jahren bereits aktuell gewesen wäre, sagte er in einem Interview.
Die komplexe Frage und die unklaren Fronten scheinen das Stimmvolk zu verunsichern. Gemäss der ersten SRG-Trendumfrage sind 44 Prozent gegen die PID-Zulassung und 40 Prozent dafür. Allerdings sind 16 Prozent noch unentschlossen, der Ausgang der Abstimmung ist offen.
Der Zürcher FDP-Ständerat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller zeigte sich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» optimistisch. Er verwies auf die Abstimmung über die Stammzellenforschung 2004. Die Ausgangslage war ähnlich wie heute, auch damals zeigten die Umfragen eine grosse Skepsis im Volk. Am Ende sagte es mit 66 Prozent klar Ja zur Forschung an embryonalen Stammzellen.
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Embryo