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Gotthard-Abstimmung: Mehr Sicherheit dank zweiter Röhre?

Inferno im Gotthardtunnel: Die Brandkatastrophe vom 24. Oktober 2001.
Inferno im Gotthardtunnel: Die Brandkatastrophe vom 24. Oktober 2001.
Bild: KEYSTONE, KAPO TESSIN

Gotthard-Abstimmung: Sind zwei Röhren wirklich sicherer?

Die zweite Röhre soll den Verkehr am Gotthard sicherer machen. So lautet das wichtigste Argument der Befürworter. Bei genauer Betrachtung ist die Sachlage nicht so eindeutig.
20.01.2016, 12:0921.01.2016, 14:15
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Braucht die Schweiz eine zweite Gotthard-Röhre?

Um die Jahrtausendwende kam es in europäischen Tunnels zu einigen gravierenden Unfällen. Einer der schlimmsten ereignete sich im berüchtigten Katastrophen-Herbst 2001 im Gotthard-Strassentunnel. Am Vormittag des 24. Oktober kollidierte ein belgischer Lastwagen rund einen Kilometer nach der Einfahrt ins Südportal bei Airolo mit einem italienischen LKW. Die beiden Camions und ihre Ladung gerieten in Brand, elf Personen kamen im Inferno ums Leben.

Der Tunnel musste für zwei Monate gesperrt werden. Während dieser Zeit wurde der Autoverlad zwischen Göschenen und Airolo reaktiviert. Im Mont-Blanc-Tunnel zwischen Italien und Frankreich sowie im österreichischen Tauerntunnel kam es damals zu ähnlichen Unfällen. Sie spielen im Abstimmungskampf um die Sanierung des Gotthardtunnels eine zentrale Rolle. Die Befürworter der zweiten Röhre stellen den Sicherheitsaspekt ins Zentrum ihrer Kampagne.

Die Befürworter der zweiten Röhre werben mit dem Argument Sicherheit.
Die Befürworter der zweiten Röhre werben mit dem Argument Sicherheit.
Bild: KEYSTONE

Auf den ersten Blick lässt er sich kaum widerlegen. «Mit dem Bau einer zweiten Sanierungsröhre kann die Sicherheit dank richtungsgetrenntem Verkehr und neu einem Pannenstreifen entscheidend verbessert werden», argumentiert das Pro-Komitee. Road Cross Schweiz, die Stiftung für Verkehrssicherheit, empfiehlt deshalb ein Ja am 28. Februar. «Mit zwei Röhren lässt sich das Unfallrisiko minimieren, deshalb sind wir dafür», sagt Patrizia Koller von Road Cross.

Knapp ein Todesfall pro Betriebsjahr

Wie viel sicherer aber wäre der Verkehr am Gotthard mit zwei Strassentunnels? Seit der Eröffnung der bestehenden Röhre 1980 kam es nur zu einem wirklich gravierenden Unfall – jenem vom Oktober 2001. Das Verkehrsaufkommen hat sich in diesen 35 Jahren jedoch mehr als verdoppelt, von knapp drei auf über sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr. Im Durchschnitt kam knapp eine Person pro Jahr im Tunnel ums Leben, wobei die besagte Katastrophe die Statistik verzerrt.

Mehrere Massnahmen haben das Unfallrisiko in den letzten 15 Jahren spürbar gesenkt oder dürften in Zukunft zu einer weiteren Reduktion führen:

Tropfenzähler

Die Zahl der Unfälle ist seit 2001 deutlich zurückgegangen.
Die Zahl der Unfälle ist seit 2001 deutlich zurückgegangen.
grafik: astra

Als unmittelbare Folge der Brandkatastrophe führte der Bund ein Dosiersystem am Gotthard ein. Es erlaubt die Durchfahrt von maximal 1000 Personenwagen und 150 Lastwagen pro Stunde und Fahrtrichtung. Dieser «Tropfenzähler» hat bewirkt, dass «die Unfälle deutlich zurückgegangen sind», wie das Bundesamt für Strassen (ASTRA) festhält. Seit 2002 kamen insgesamt zehn Personen im Tunnel ums Leben, eine weniger als beim Unglück im Oktober 2001.

Thermoportal

Infrarotkameras messen, ob ein Lastwagen überhitzt ist.
Infrarotkameras messen, ob ein Lastwagen überhitzt ist.
Bild: KEYSTONE

Ein Fahrzeugbrand ist das eigentliche Horrorszenario in einem Strassentunnel. Beim Unfall im Mont-Blanc-Tunnel 1999 geriet ein Lastwagenmotor in Brand. Er konnte erst nach 50 Stunden gelöscht werden, 39 Menschen starben. 2013 installierte das ASTRA auf der Gotthard-Südseite ein so genanntes Thermoportal. Infrarotkameras messen, ob ein Lastwagen überhitzt ist. In diesem Fall wird er aus dem Verkehr gezogen. Aufgrund der «guten Erfahrungen» wurde im Dezember 2015 auch auf der Urner Seite ein Thermoportal installiert, teilte das ASTRA Anfang Januar mit.

Versenkbare Leitplanken

Die Gegner der zweiten Röhre propagieren eine absenkbare Mittelleitplanke als Massnahme gegen Frontalkollisionen. Sie ist allerdings umstritten. Die Befürworter behaupten, dass sie mehr Schaden als Nutzen anrichten und die Rettungsarbeiten bei einem Unfall behindern könnte. Das Verkehrsdepartement UVEK meint, dass die Idee «im Gotthardtunnel nicht taugt».

Smarte Fahrzeuge

Selbstfahrende Autos sind Zukunftsmusik. Die Digitalisierung im Fahrzeugbereich aber macht laufend Fortschritte. Beim Verkehrsclub der Schweiz (VCS) geht man davon aus, dass die meisten Neuwagen bis zur allfälligen Fertigstellung einer zweiten Röhre in 15 Jahren mit modernen Fahrassistenzsystemen ausgerüstet sein werden. Sie können für genügend Abstand zum vorderen Fahrzeug sorgen und vor dem unbeabchsichtigen Verlassen der Fahrspur warnen.

Weniger Unfälle nur bei Einspurbetrieb

Mehr Sicherheit am Gotthard lässt sich folglich auch mit nur einer Tunnelröhre realisieren. Umgekehrt wird es auch in zwei separaten Tunnels zu Unfällen kommen. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) hat in einer Studie berechnet, dass sich die Zahl der Unfallopfer nach dem Bau einer zweiten Röhre um 53 Prozent reduzieren liesse. Allerdings nur, wenn die beiden Röhren wie versprochen mit einer Fahrspur und einem Pannenstreifen betrieben werden.

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Falls jedoch die Befürchtung der Gegner eintritt und ein doppelspuriger Betrieb eingeführt wird, genügt laut der BFU-Studie bereits ein Mehrverkehr von drei Prozent (oder 500 Fahrzeugen pro Tag), um den durch die zweite Röhre erzielten Sicherheitsgewinn aufzuheben. Dieser Effekt dürfte in kurzer Zeit eintreten, ist es doch fast ein Naturgesetz, dass mehr Strassen zu mehr Verkehr führen. Beim VCS vermutet man, dass der dreiprozentige Mehrverkehr bereits mit zwei einspurigen Röhren eintreten wird.

Jeder Verkehrstote ist einer zu viel. Und zwei Röhren sind grundsätzlich sicherer als eine. Die Beispiele aber zeigen, dass die Investition von 2.8 Milliarden Franken für eine zweite Gotthardröhre keineswegs zwingend zu mehr Sicherheit und weniger Unfällen führen wird.

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quelle: pd
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102 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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ræman
20.01.2016 14:52registriert August 2015
Was würde es kosten, den ganzen Gotthard abzutragen, anstelle dauernd neue Löcher reinzubohren?
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trio
20.01.2016 12:43registriert Juli 2014
Es will mir echt nicht in den Kopf. Wie kann man dafür sein, 2.8 Milliarden in eine 2. Röhre zu investieren, wenn gleichzeitig überall gespart werden muss (ausser Landwirtschaft und Militär). Die zweite Röhre bringt praktisch keinen Mehrwert, dass ist doch Geld aus dem Fenster schmeissen!
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kobL
20.01.2016 12:28registriert Januar 2014
Und wie immer, eine Geschwindigkeitsreduktion (z.B. auf 60 km/h) ist ausgeschlossen. Niedriges Tempo vermindert die Unfallfolgen massiv und erhöht sogar durch den kürzeren Sicherheitsabstand sogar noch die Kapazität. Aber fünf Minuten längere Fahrzeit sind natürlich unzumutbar.
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