Schweiz
Abstimmungen 2018

Das musst du über die Selbstbestimmungsinitiative wissen

SelbstbestimmungsHÄ? Die 7 wichtigsten Antworten zur SVP-Initiative gegen «fremde Richter»

SVP-Präsident Albert Rösti bei Einreichung der Initiative.Bild: KEYSTONE
Die Selbstbestimmungsinitiative will Landesrecht über Völkerrecht stellen. Am 25. November stimmen wir darüber ab. Was bedeutet das genau? Wer ist dafür, wer dagegen? Die wichtigsten Punkte im Überblick.
13.10.2018, 15:2616.10.2018, 17:08
Mehr «Schweiz»

Worum geht’s?

Die sogenannte Selbstbestimmungsinitiative (SBI) will, dass die Schweizer Verfassungsbestimmungen gegenüber dem Völkerrecht Vorrang haben. Dieser Grundsatz wird bei einem Ja zur SBI in der Bundesverfassung (BV) verankert. Es dürfen keine neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen eingegangen werden, die der Bundesverfassung widersprechen. Besteht ein Konflikt zwischen einem bestehenden völkerrechtlichen Vertrag und der Verfassung, geht die BV in jedem Fall vor. Ausgenommen davon wären einzig die «zwingenden Bestimmungen» des Völkerrechts.

Was passiert bei einem solchen Konflikt genau?

Steht ein völkerrechtlicher Vertrag im Widerspruch zur Verfassung, muss der Bundesrat ihn nachverhandeln, damit er den Vorgaben der BV entspricht. Scheitern diese Nachverhandlungen, muss der Vertrag gekündigt werden. Laut dem Initiativtext bleiben auch jene Abkommen, deren Genehmigung dem Referendum unterstand, für Gerichte und Behörden massgebend.

Dieser Passus steht jedoch im Widerspruch zur eigentlichen Stossrichtung der Initiative. So ist völlig unklar, ob etwa das Freizügigkeitsabkommen mit der EU nachverhandelt werden müsste. Die Initianten widersprechen sich in diesem Punkt teilweise selbst. Experten warnen deshalb vor Rechtsunsicherheit.

Was sind die «zwingenden Bestimmungen» des Völkerrechts?

Eine abschliessende Definition gibt es nicht und auch die Bundesverfassung lässt die Frage offen. Nach Ansicht des Bundesrats gehören zu den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts insbesondere das Gewaltverbot, das Folter-, Völkermord und Sklaverei-Verbot und die Grundzüge des humanitären Völkerrechts. Diese verbieten Angriffe auf Leib und Leben, die Gefangennahme von Geiseln, die Beeinträchtigung der persönlichen Würde sowie Verurteilungen und Hinrichtungen ohne Urteil durch ein ordentliches Gericht.

Auch die «notstandsfesten Garantien» gemäss Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zählen für den Bundesrat dazu. Sie umfassen das Verbot von willkürlicher Tötung, Folter, Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit. Ausserdem halten sie den juristischen Grundsatz «nulla poena sine lege» fest, auf Deutsch «keine Strafe ohne Gesetz».

Wer ist dafür?

Hinter der Initiative steht als einzige grosse Partei die SVP. Sie wird unterstützt von der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS).

Und wie argumentieren die Befürworter?

Die SVP kritisiert das Fehlen einer klaren Regelung bei Konflikten zwischen Verfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen. Die Initiative schaffe hier Klarheit und Rechtssicherheit. Die Schweiz verliere an Souveränität, weil internationale Gremien – Stichwort «fremde Richter» – den Geltungsbereich des Völkerrechts laufend ausweiteten. Als Reaktion darauf setzten Schweizer Politiker und Gerichte in letzter Zeit mit Verweis auf internationale Verträge Volksentscheide nicht mehr oder nur mangelhaft um.

Als Beispiel dient der SVP die 2010 angenommene Ausschaffungsinitiative. Bei der Umsetzung nahmen Bundesrat und Parlament Abstriche am Verfassungstext bewusst in Kauf. So wollten sie vermeiden, gegen nicht zwingendes Völkerrecht wie Teile der EMRK oder das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zu verstossen. Ein solcher Fall liesse sich mit der SBI verhindern: Sie sichere das Stimmrecht der Schweizer Bürger und schütze die direkte Demokratie. Die Menschenrechte seien durch die Initiative nicht tangiert. Sie seien bereits in der Bundesverfassung festgeschrieben und würden von Gesellschaft, Behörden, Gerichten und allen politischen Parteien respektiert und berücksichtigt.

Wer ist dagegen?

SP, Grüne, GLP, BDP, CVP, EVP und FDP haben sich alle gegen die Initiative ausgesprochen. Auch die Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften lehnen sie ab, ebenso wie eine breite Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft, darunter auch die Operation Libero.

Und wie argumentieren die Gegner?

Die Selbstbestimmungsinitiative schaffe Verwirrung und führe zu Rechtsunsicherheit, sagen ihre Gegner. Die Initiative sei schwammig formuliert und liesse bezüglich der Umsetzung viele Fragen offen. Die Forderung der SBI, völkerrechtliche Verträge nachzuverhandeln sei illusorisch, insbesondere bei multilateralen Abkommen wie etwa der EMRK oder dem WTO-Vertrag. Der Kündigungsautomatismus bei gescheiterten Nachverhandlungen gefährde die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vertragspartnerin.

Die Initiative schütze die direkte Demokratie nicht, sondern gefährde sie: Die Behörden erhielten das Recht und den Spielraum, wichtige völkerrechtliche Verträge «nötigenfalls» zu kündigen – ohne die Stimmbevölkerung dazu zu fragen. Ausserdem sei die SBI ein Angriff auf die Menschenrechte. Ohne es offen zu sagen, wollten die Initianten die Kündigung der EMRK erreichen. Dabei schütze die EMRK als «Mindeststandard» die Menschenrechte und Grundrechte auch in der Schweiz. Die Möglichkeit, an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als obersten Hüter der EMRK zu gelangen, biete Schutz vor staatlicher Willkür.

Nationalratsdebatte über «fremde Richter»

Video: srf

SVP-Abstimmungsplakate

1 / 14
SVP-Abstimmungsplakate
Mit Zangen-Plakaten gelang es Christoph Blocher und der SVP, am 6. Dezember 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu bodigen.
quelle: keystone / str
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Na, gut aufgepasst? Beweis es im Quiz!

Quiz
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
54 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Lowend
13.10.2018 16:14registriert Februar 2014
Nur sehr naive zottelige Schafe verzichten auf ihre Rechte, damit eine Partei Gesetze durchdrücken kann, die sich nicht an den Regeln des internationalen Rechts halten!

Es sollte jedem Schweizer Bürger klar sein, dass er mit der Annahme dieser Selbstentrechtungsinitiative auf das Recht verzichtet, Urteile des Bundesgerichtes durch eine nächsthöhere Instanz überprüfen zu lassen, damit die SVP ihre unausgegorenen und schludrig formulierten Initiativen durchdrücken kann.
320114
Melden
Zum Kommentar
avatar
Moelal
13.10.2018 16:50registriert August 2015
Liebe SVP verschon doch die Schweiz endlich mit Euren paranoiden Ideen
29690
Melden
Zum Kommentar
avatar
Yolo
13.10.2018 18:27registriert Mai 2015
Uns wird weder fremdes Recht aufgezwungen noch sind wir fremdbesimmt. Die SVP lügt uns an und bindet uns einen Bären auf. Deren Ziel ist es unsere Grundrechte zu schwächen und uns zum unzuverlässigen Vertragspartner zu deklassieren. Nicht mit mir!
13036
Melden
Zum Kommentar
54
Nicht nur am Gotthard – wo es an Ostern im In- und Ausland sonst noch staut
Viele nutzen das verlängerte Osterwochenende für eine Reise ins Ausland. Ob Städtetrips oder an idyllische Orte – die Reiseziele sind vielseitig und die Vorfreude riesig. Aber Obacht! Damit du deine wertvolle Zeit nicht mit Warten verbringst, solltest du dich vorab über den Osterstau informieren.

Du fährst auf der Autobahn, hast (noch) gute Laune, hörst deine Lieblingsmusik und bist in Gedanken schon an deinem Reiseziel. Alles läuft prima, bis du plötzlich eine lange Schlange an Autos vor dir stehen hast. «Mist, Stau! Kann ja nicht so lange dauern», denkst du dir. Es vergehen 5 Minuten, 15 Minuten, 30 Minuten und je länger du stehst, desto ungeduldiger wirst du. Hättest du dich doch besser früher über die Verkehrslage informiert!

Zur Story