Am Mittwoch sind zwei Umfragen erschienen, die für die Initianten nichts gutes verheissen. Gemäss der zweiten Welle der SRG-Trendumfrage, durchgeführt vom Forschungsinstitut Gfs Bern, sind noch 47 Prozent für die Initiative. 49 Prozent sind dagegen.
Noch schlechter sieht es für die Initiative bei der heute erschienen dritten Umfragewelle des Medienhauses Tamedia aus. Gemäss ihr wollen noch 37 Prozent der Befragten Ja stimmen, 62 Prozent wollen Nein stimmen.
«Der Fokus der Debatte hat sich weg von der Problematik der Zersiedelung und hin zu den Schwächen der Initiative verlagert», sagt Lukas Golder, Politologe und Co-Leiter des Gfs Bern. Das gegnerische Lager trete vereint und mit konsistenter Argumentation auf. Auch deshalb sei Zustimmung zu den Gegen-Argumenten in der Bevölkerung deutlich angestiegen. 56 Prozent stimmen gemäss SRG-Trendumfrage der Aussage dazu, dass das 2013 vom Volk angenommene Raumplanungsgesetz (RPG) die Zersiedelung bereits wirksam bekämpfe. 55 Prozent glauben, dass die Begrenzung der Bauzonen auf dem heutigen Niveau zu höheren Mietzinsen führen würde.
Zwar finden die Argumente des Ja-Lagers, wonach die Zersiedlung das Landschaftsbild verschandle und schlecht für künftige Generationen sei, noch höhere Zustimmungswerte. «Aber die Argumente des Nein-Lagers, insbesondere die Wirksamkeit des geltenden Gesetzes, haben einen stärkeren Einfluss auf die Stimmabsicht», erläutert Lukas Golder. «Insbesondere der Bundesrat dringt mit dem Argument durch, dass bereits heute genug gegen die Zersiedelung getan wird».
Das Mietzins-Argument der Initiativ-Gegner ist gemäss Politologe Golder deswegen so wirksam, weil «viele Stimmbürger selber Mieter sind und damit direkt betroffen wären». Diese «konkret-inhaltliche Betroffenheit» helfe dem Nein-Lager über einen potenziellen Stolperstein hinweg: «Im Kampf gegen eine Volksinitiative reicht es heute nicht mehr, einfach zu sagen, dass die Wirtschaft eine Vorlage nicht gut findet».
Je näher der Abstimmungstermin rückt, desto stärker nimmt die Zustimmung zu einer Volksinitiative ab: Dieses Phänomen lässt sich häufig beobachten. Der Einbruch bei der Zersiedelungsinitiative ist hier keine Ausnahme: «Wir sehen das typische Muster: Weg von Zustimmung wegen der grundsätzlichen Sympathie fürs Anliegen hin zur Ablehnung wegen den konkreten Auswirkungen der Initiative» sagt Lukas Golder.
Er spricht angesichts des «aussergewöhnlich hohen» Zuwachses um 20 Prozent beim Nein-Lager dennoch von «einem überdeutlichen Trend». Diese Entwicklung dürfte sich gemäss Golder bis zur Abstimmung nicht mehr umkehren lassen.
Den Jungen Grünen sei es zwar gelungen, Aufmerksamkeit für das Thema Zersiedelung zu erzeugen – und sich damit auch selber ins Rampenlicht zu bringen. Dass sich die Diskussion unterdessen verstärkt um die Schwächen der Initiative dreht, sei ein normaler Vorgang und Initianten könnten einer solchen Entwicklung grundsätzlich wenig entgegensetzen. «Gerade Initiativen aus dem linken Lager haben es sehr schwer, wenn die Gegnerschaft nicht total verzettelt ist.»
Dennoch beurteilt Golder die «Architektur der Zersiedelungsinitiative» kritisch: «Ich denke, es lohnt sich für Initianten immer, wenn sie sich Gedanken machen über mögliche Gegenargumente und diese bereits bei der Formulierung der Initiative zu antizpieren versuchen.» Er verweist auf die Kritik, dass die Zersiedelungsinitiative keine konkreten Vorstellungen über die Funktionsweise des Bauzonen-Austausches beinhalte. «Hier wäre in der Formulierung des angestrebten Verfassungstextes wichtig gewesen, wie man einen allfälligen Widerspruch zur mit dem RPG bereits angelaufenen Verkleinerung der Bauzonen vermeiden kann».
Im Endspurt des Abstimmungskampf tritt die neue Umweltministerin Simonetta Sommaruga häufiger in den Medien auf. «Die Glaubwürdigkeit der zuständigen Bundesrätin kann dabei helfen, einen Nein-Trend zu verstärken», so Golder. Zwar dürfe man die Bedeutung von Einzelpersonen grundsätzlich nicht überschätzen. Doch es könne für das Nein-Lager im Kampf gegen eine Volksinitiative ein Nachteil sein, wenn sich die zuständige Magistratsperson in einem Abstimmungskampf nur ungenügend engagiere. Das sei bei Sommaruga nicht der Fall: «Sie ist eine erfahrene Abstimmungskämpferin und es gelingt ihr, mit ihrem Hauptargument des bereits wirksamen Raumplanungsgesetzes zur Stimmbevölkerung durchzudringen.»
Bei den Initianten glaubt man auch, dass Sommaruga als Sozialdemokratin eine besonders effektive Gegnerin ist. «Es ist nicht ideal für unsere Initiative, dass sie ausgerechnet von einer linken Bundesrätin bekämpft wird», sagte der Co-Präsident der Jungen Grünen, Luzian Franzini, gegenüber dem Tages-Anzeiger.