Die erste Hitzewelle des Jahres geht zu Ende. Sie hat das Land ins Schwitzen gebracht, nicht nur am Tag, auch in der Nacht. Dabei haben die Sommerferien noch gar nicht begonnen. Gleiches gilt für die politische Sommerpause. Sie beginnt in der Regel mit dem Bundesrats-Reisli, das dieses Jahr am 6. und 7. Juli stattfinden wird. Der Betrieb in Bundesbern wird heruntergefahren.
Ein eigentliches «Sommerloch» gibt es kaum noch. Gerade in der nachrichtenarmen Zeit versuchen politische Interessenvertreter, ihre Botschaft zu platzieren. In diesem Jahr dürfte die Temperatur nicht nur wetterbedingt zusätzlich ansteigen. Gleich in drei wichtigen Bereichen stehen Entscheide von erheblicher Tragweite an. Sie werden die Schweizer Politik im Sommer auf Trab halten.
Der Bundesrat hat am letzten Freitag wieder einmal über das Verhältnis zur Europäischen Union diskutiert, insbesondere über das umstrittene Rahmenabkommen. Und wieder einmal hat er nicht entschieden, wie es mit den stockenden Verhandlungen weitergehen soll. Immerhin soll es noch vor der Sommerpause einen Beschluss geben, also spätestens in der letzten Sitzung am 5. Juli.
Einen grossen Wurf darf man angesichts des anstehenden Wechsels im Aussendepartement kaum erwarten. Vermutlich wird der Bundesrat ankündigen, dass man weiter verhandeln will. Ein Abbruch der Übung, wie ihn der Chefredaktor des «Tages-Anzeiger» in einem argumentatorisch dürftigen Kommentar gefordert hat, kann keine echte Option sein.
Als deutlichste Befürworterin eines Rahmenabkommens in der Landesregierung hat sich in letzter Zeit Bundespräsidentin Doris Leuthard hervorgetan, so auch am Arbeitgebertag am Donnerstag in Lausanne. Als frühere Wirtschafts- und heutige Infrastrukturministerin weiss sie, dass ein solches Abkommen unerlässlich ist, wenn der viel gelobte bilaterale Weg nicht zur Sackgasse werden soll.
Die Wirtschaft schweigt zu diesem Thema nicht, weil sie das Abkommen für überflüssig hält, wie der «Tagi»-Chef in totaler Verkennung der Realität behauptet. Sie duckt sich aus Angst vor der SVP. Umso wichtiger deshalb, dass die wirtschafts- und FDP-nahe NZZ für eine Entkrampfung plädiert. Die oberflächliche Debatte zeuge «von wenig Vertrauen in die direkte Demokratie».
Der weitere Verlauf der Verhandlungen wird wie erwähnt davon abhängen, wer die Nachfolge von Didier Burkhalter als Aussenminister antreten wird. Sein Rücktritt hat so ziemlich alle in Bern auf dem falschen Fuss erwischt. Obwohl es noch fast drei Monate dauert bis zur Wahl und die Kandidatenkür erst im September stattfinden wird, darf man mit einem «Sommertheater» rechnen.
Die FDP will den Sitz von Burkhalter ihrem Anspruch als «Staatspartei» entsprechend erneut der lateinischen Schweiz überlassen. Im Vordergrund steht der Kanton Tessin, der seit 18 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten war und bereits laut und deutlich seinen Anspruch angemeldet hat. Mit FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis gibt es auch schon einen «Kronfavoriten».
Das wird die Medien nicht davon abhalten, in den nächsten Wochen über mögliche Alternativen zu spekulieren. Das Spielchen ist bereits im Gang. Erste Störgeräusche sind aus der Westschweiz und dem Tessin selber zu vernehmen. Mit der früheren National- und Staatsrätin Laura Sadis wurde eine mögliche Alternative zu Cassis lanciert. Sie scheint zumindest nicht abgeneigt zu sein.
Zwar verzichtete Sadis vor zwei Jahren auf eine erneute Kandidatur für die Kantonsregierung, nachdem sie sich mit dem rechtsbürgerlichen FDP-Präsidenten überworfen hatte. Dieser ist inzwischen jedoch nicht mehr im Amt. Mit Laura Sadis als Bundesrätin könnten zwei Ansprüche aufs Mal befriedigt werden, jene der italienischen Schweiz und der Frauen.
Das dürfte den Deutschschweizer Männern gefallen, im Hinblick auf die Nachfolge von Johann Schneider-Ammann. Er wird spätestens Ende 2019 gehen. Es gibt somit mehr als genug Raum für taktische Spielchen bis zum September. Trotzdem sollte es niemanden überraschen, wenn am 20. September Ignazio Cassis in den Bundesrat gewählt wird.
Ein Aspekt ist ohnehin fast wichtiger: Wird eine Person aus der Deutschschweiz das Aussenministerium übernehmen? Das war seit 1970 nicht mehr der Fall, sofern man den Deutschfreiburger Joseph Deiss der Romandie zurechnet. Dabei besteht in der skeptischen Deutschschweiz ein grosser Erklärungsbedarf in der Aussen- und Europapolitik. Nicht erst seit Didier Burkhalter bestehen in dieser Hinsicht Defizite an der Spitze des Departements.
Bei der Rentenreform, über die am 24. September abgestimmt wird, wird es ebenfalls kaum eine Sommerpause geben. Nachdem die Debatte im Parlament für hiesige Verhältnisse ungewöhnlich gehässig verlief und mit einem «Showdown» im Nationalrat endete, muss man sich auf einen harten Abstimmungskampf gefasst machen.
Die Gegner der Altersvorsorge 2020 sinnen auf «Rache» für ihre Niederlage. FDP, SVP und Wirtschaftsverbände werden eine massive Kampagne gegen die «Scheinreform» führen. Sie treten unter dem Namen Generationenallianz an und appellieren ungeniert an die «Neidgefühle» der Jungen und der heutigen Rentner, die den AHV-Zustupf von 70 Franken nicht erhalten werden.
Mit aus diesem Grund sage ich entschieden NEIN zur unfairen #AV2020 pic.twitter.com/bOQTLipBEc
— Fabian Grepper (@fabiangrepper) June 23, 2017
Während der vergangenen Sommersession bemühten sich beide Seiten, die Reihen zu schliessen. Dabei wird mit harten Bandagen gekämpft. Westschweizer Freisinnige, die für die Reform wären, hätten einen «Maulkorb» verpasst bekommen, klagten Befürworter. Diese bemühen sich umgekehrt um «Abweichler» aus der Wirtschaft. Die Versicherungswirtschaft ist im Interesse der Pensionskassen für die Rentenreform, ebenso Westschweizer Arbeitgeberverbände.
"Mit der Rentenreform legen wir dem Volk eine gerechte Reform und soziale ausgewogene Lösung vor!" sagt @RuthHumbel anlässlich #AV2020-MK pic.twitter.com/GtyGZAHk7n
— CVP PDC PPD PCD (@CVP_PDC) June 23, 2017
Das bürgerliche Ja-Komitee, angeführt von der CVP, trat am Freitag vor die Medien. Es führt den Abstimmungskampf mit dem simplen Slogan «Renten sichern». Die SP muss zwar Widerstand von ganz links gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters und die Senkung des Umwandlungssatzes abwehren, doch 90 Prozent ihrer Mitglieder sagten in einer Urabstimmung Ja zur Altersvorsorge.
Für die Reformgegner begann der Abstimmungskampf mit einem veritablen Fehlstart. FDP-Präsidentin Petra Gössi liess sich am Donnerstag im «Blick» zu einem Rundumschlag gegen AHV-Rentner hinreissen, die im Ausland leben. Diese generierten in der Schweiz keine Wertschöpfung: «Sie zahlen weder Steuern noch konsumieren sie hier.» Mit dem geplanten AHV-Ausbau «vergolde» man ihnen «den Ruhestand auf Kosten der nächsten Generationen», so Gössi.
Die Befürworter der Reform zeigten sich empört, insgeheim aber dürften sie sich die Hände gerieben haben. Eine FDP-Chefin, die künftigen Rentnern den Lebensabend im warmen und günstigen Süden vermiesen will – etwas Besseres konnte ihnen kaum passieren.
Ähnlich wie bei der Energiestrategie 2050 müssen sich die Gegner auch die Frage nach einem «Plan B» gefallen lassen. Ihnen schwebt ein etappiertes Vorgehen vor, bei dem AHV und BVG getrennt reformiert werden. Genau das aber könnte zu einem Murks oder einem Desaster führen, während das nun vorliegende Gesamtpaket zumindest für einige Jahre Stabilität garantiert.
Die Schweizer Politik wird gerne als langweilig verschrien. In letzter Zeit lässt sich dies kaum noch behaupten. Man erinnert sich an den Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative. Auch bei der Masseneinwanderungsinitiative und bei der Energiewende gingen die Wogen hoch. Nun sind die Voraussetzungen für einen heissen Politik-Sommer gegeben.