Die Hitzewelle dieses Sommer hat weite Teile Europas im Griff. Hitzig sind in den letzten Wochen auch die politischen Debatten verlaufen. Verantwortlich ist der Aufschwung von (rechts-)populistischen und nationalistischen Strömungen. Sie sorgen dafür, dass wir derzeit in der westlichen Welt Entwicklungen erleben, die bis vor kurzem undenkbar schienen.
Das beginnt beim grossen Disruptor in Washington, der sich mit Inbrunst daran macht, eine während 70 Jahren bemerkenswert stabile Ordnung aus den Angeln zu heben. Er bedenkt die westlichen Verbündeten mit offener Verachtung und kuschelt mit Autokraten. Wirklich schlimm an Donald Trump aber ist, wie viele ihn heimlich bis offen bewundern oder gar verehren.
Ein eifriger Nachahmer in Europa ist der italienische Innenminister Matteo Salvini. Er führt faktisch die Regierung und zelebriert wie Trump die Provokation auf Twitter. Keiner aber treibt die Abkehr vom liberalen Erfolgsmodell des Kontinents so konsequent voran wie Viktor Orban, der im Frühjahr glorreich wiedergewählte ungarische Ministerpräsident.
Die Schweiz wirkt in diesem aufgeheizten Umfeld wieder einmal wie eine Insel der Seligen. Die Wirtschaft brummt, die Zuwanderung ist rückläufig, ebenso die Zahl der Asylgesuche. Wenig erinnert derzeit daran, dass dieses Land bei der rechten Welle eine Vorreiterrolle gespielt hat. Die SVP steigerte ihren Wähleranteil in den letzten 25 Jahren von rund zehn auf knapp 30 Prozent.
Für ausländische Parteien ist die SVP deshalb ein Vorbild. AfD und FPÖ machen sich stark für Volksentscheide nach Schweizer Vorbild. Marine Le Pen, die Chefin des Rassemblement (Ex-Front) National, bedenkt die SVP seit Jahren mit Avancen. Ihre Sujets, vor allem das berüchtigte Schäfchen-Plakat, werden im Ausland oft und gerne von rechten Gruppierungen kopiert.
Der SVP ist diese Umarmung eher peinlich. Sie hält Distanz zu den ausländischen Parteien, was weniger mit deren Schmuddel-Image zu tun hat als mit dem Dogma von Neutralität und Souveränität, das die Volkspartei inbrünstig zelebriert. «Bestimmen wir selber und bleiben wir frei!» propagiert Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher in einem Beitrag zum 1. August.
Man kann sich in solchen Fällen ein Schmunzeln nicht verkneifen, schliesslich ist Martullo auch eine Unternehmerin, die den grössten Teil ihres Umsatzes im Export erwirtschaftet. Es ist erstaunlich, wie gut die SVP bislang mit ihrem Doppelspiel aus politischem Isolationismus und neoliberaler, auf die globalen Märkte ausgerichteter Wirtschaftspolitik durchgekommen ist.
Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass diese Masche sich totlaufen könnte. Als Kleinstaat mit einer extrem offenen Volkswirtschaft kann sich die Schweiz den globalen Entwicklungen je länger je weniger entziehen. Das beginnt mit Donald Trumps Strafzöllen. Falls es zu einem veritablen Handelskrieg kommt, könnte sich die Schweiz nicht einfach ins Reduit verkriechen.
Mit der Selbstbestimmung des Kleinstaats in der globalisierten Wirtschaft ist es so eine Sache. Die Schweiz hat dies bereits auf die harte Tour erfahren, etwa beim Bankgeheimnis. Noch 2008 behauptete der völlig überforderte Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP) im Nationalrat vollmundig, das Ausland werde sich am Bankgeheimnis «die Zähne ausbeissen».
Kurze Zeit später schlug der ausländische Dampfhammer den Schweizern die Zähne aus. Alle Versuche, sich mit Schlaumeiereien wie der Abgeltungssteuer herauszuwinden, nützten nichts. Die Schweiz musste sich der Macht des Faktischen beugen und den automatischen Informationsaustausch übernehmen.
Die SVP hält trotzdem unverdrossen an ihrem Zerrbild einer nationalen Souveränität fest, das im 21. Jahrhundert zunehmend antiquiert wirkt. So mit der Selbstbestimmungsinitiative, über die am 25. November abgestimmt wird. Alarmiert sind nicht nur die «üblichen Verdächtigen» wie Operation Libero, sondern auch die Wirtschaft. Economiesuisse warnt, der geforderte Vorrang des nationalen Rechts gegenüber dem Völkerrecht erzeuge ein hohes Mass an Unsicherheit.
Zum Pièce de Résistance dürfte das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU werden, sofern der Bundesrat den Mut hat, die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. SVP und Konsorten schreien Zeter und Mordio, weil der Einbezug des Europäischen Gerichtshofs und die «dynamische» Übernahme von EU-Recht die Schweiz zur «Kolonie» machen würden.
Es lässt sich nicht leugnen: Mit dem Rahmenabkommen müsste die Schweiz gewisse Abstriche bei ihrer Eigenständigkeit hinnehmen. Es ist in gewisser Weise der Preis dafür, dass wir als Nichtmitglied einen reibungslosen Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt und Rechtssicherheit im Umgang mit unserem mit Abstand wichtigsten Handelspartner erhalten.
Es geht nicht einfach um ein «Butterbrot», wie Markus Somm, der Noch-Chefredaktor der «Basler Zeitung», in der 1.-August-Ausgabe der «Weltwoche» schreibt. Sondern um ein Handelsvolumen von einer Milliarde Franken pro Tag. Die Schweiz wird sich in einer allfälligen Abstimmung entscheiden müssen, ob sie für die totale Eigenständigkeit zu Abstrichen bereit ist.
Die Schweiz-Ausgabe der deutschen «Zeit» widmet sich zum Nationalfeiertag drei «Megatrends», die längerfristig zu einem Niedergang der SVP führen könnten: Die Schweiz wird städtischer, gebildeter und bunter. Das mag zutreffen, obwohl auch in der SVP zunehmend die Akademiker das Sagen haben und die Partei mit ihrem Programm auch auf viele Secondos anziehend wirkt.
Wirklich gefährlich für die SVP wird es, wenn immer mehr Menschen ihr Doppelspiel durchschauen. Und sich mit der Tatsache abfinden, dass Abstriche an der nationalen Souveränität unvermeidlich sind, wenn die Schweiz weiterhin die Früchte des auf den globalen Märkten erwirtschafteten Wohlstands geniessen will. Selbst wenn die geliebte Direkte Demokratie eingeschränkt wird.
Falls die eintrifft, könnte die Schweiz ein weiteres Mal eine Vorreiterrolle spielen: Beim Backlash gegen das Trugbild von der Behaglichkeit des Nationalstaats.