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Analyse

Das Doppelspiel der SVP stösst an seine Grenzen

ZUR MELDUNG DES „SONNTAGSBLICK“, WONACH CHRISTOPH BLOCHER SEIN AMT ALS VIZEPRAESIDENT DER SVP ABGEBEN WERDE, STELLEN WIR IHNEN AM SONNTAG, 10. JANUAR 2016, FOLGENDES ARCHIVBILD ZUR VERFUEGUNG - Guest  ...
Zelebrieren der Schweiz-Klischees: Christoph Blocher warnt 2014 in Vorderthal (SZ) vor dem «schleichenden EU-Beitritt».Bild: KEYSTONE
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Das Doppelspiel der SVP stösst an seine Grenzen

Nationalisten und Populisten sind im Hoch. Häufig bewundern sie die Schweiz als Vorbild. Dabei ist unser Land ein Beispiel für die Grenzen der nationalen Souveränität in einer globalisierten Welt.
07.08.2018, 08:1916.10.2018, 15:07
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Die Hitzewelle dieses Sommer hat weite Teile Europas im Griff. Hitzig sind in den letzten Wochen auch die politischen Debatten verlaufen. Verantwortlich ist der Aufschwung von (rechts-)populistischen und nationalistischen Strömungen. Sie sorgen dafür, dass wir derzeit in der westlichen Welt Entwicklungen erleben, die bis vor kurzem undenkbar schienen.

Das beginnt beim grossen Disruptor in Washington, der sich mit Inbrunst daran macht, eine während 70 Jahren bemerkenswert stabile Ordnung aus den Angeln zu heben. Er bedenkt die westlichen Verbündeten mit offener Verachtung und kuschelt mit Autokraten. Wirklich schlimm an Donald Trump aber ist, wie viele ihn heimlich bis offen bewundern oder gar verehren.

Kinobesucher schauen einen Film im Openair Kino Marzili-Movie, am Dienstag, 24. Juli 2018 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Bern im Sommer 2018: Idylle in turbulenten Zeiten.Bild: KEYSTONE

Ein eifriger Nachahmer in Europa ist der italienische Innenminister Matteo Salvini. Er führt faktisch die Regierung und zelebriert wie Trump die Provokation auf Twitter. Keiner aber treibt die Abkehr vom liberalen Erfolgsmodell des Kontinents so konsequent voran wie Viktor Orban, der im Frühjahr glorreich wiedergewählte ungarische Ministerpräsident.

Falls es zu einem veritablen Handelskrieg kommt, könnte sich die Schweiz nicht einfach ins Reduit verkriechen.

Die Schweiz wirkt in diesem aufgeheizten Umfeld wieder einmal wie eine Insel der Seligen. Die Wirtschaft brummt, die Zuwanderung ist rückläufig, ebenso die Zahl der Asylgesuche. Wenig erinnert derzeit daran, dass dieses Land bei der rechten Welle eine Vorreiterrolle gespielt hat. Die SVP steigerte ihren Wähleranteil in den letzten 25 Jahren von rund zehn auf knapp 30 Prozent.

Für ausländische Parteien ist die SVP deshalb ein Vorbild. AfD und FPÖ machen sich stark für Volksentscheide nach Schweizer Vorbild. Marine Le Pen, die Chefin des Rassemblement (Ex-Front) National, bedenkt die SVP seit Jahren mit Avancen. Ihre Sujets, vor allem das berüchtigte Schäfchen-Plakat, werden im Ausland oft und gerne von rechten Gruppierungen kopiert.

Der SVP ist diese Umarmung eher peinlich. Sie hält Distanz zu den ausländischen Parteien, was weniger mit deren Schmuddel-Image zu tun hat als mit dem Dogma von Neutralität und Souveränität, das die Volkspartei inbrünstig zelebriert. «Bestimmen wir selber und bleiben wir frei!» propagiert Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher in einem Beitrag zum 1. August.

Debatte über «fremde Richter»

Video: srf

Man kann sich in solchen Fällen ein Schmunzeln nicht verkneifen, schliesslich ist Martullo auch eine Unternehmerin, die den grössten Teil ihres Umsatzes im Export erwirtschaftet. Es ist erstaunlich, wie gut die SVP bislang mit ihrem Doppelspiel aus politischem Isolationismus und neoliberaler, auf die globalen Märkte ausgerichteter Wirtschaftspolitik durchgekommen ist.

Es lässt sich nicht leugnen: Mit dem Rahmenabkommen müsste die Schweiz gewisse Abstriche bei ihrer Eigenständigkeit hinnehmen.

Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass diese Masche sich totlaufen könnte. Als Kleinstaat mit einer extrem offenen Volkswirtschaft kann sich die Schweiz den globalen Entwicklungen je länger je weniger entziehen. Das beginnt mit Donald Trumps Strafzöllen. Falls es zu einem veritablen Handelskrieg kommt, könnte sich die Schweiz nicht einfach ins Reduit verkriechen.

Mit der Selbstbestimmung des Kleinstaats in der globalisierten Wirtschaft ist es so eine Sache. Die Schweiz hat dies bereits auf die harte Tour erfahren, etwa beim Bankgeheimnis. Noch 2008 behauptete der völlig überforderte Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP) im Nationalrat vollmundig, das Ausland werde sich am Bankgeheimnis «die Zähne ausbeissen».

Kurze Zeit später schlug der ausländische Dampfhammer den Schweizern die Zähne aus. Alle Versuche, sich mit Schlaumeiereien wie der Abgeltungssteuer herauszuwinden, nützten nichts. Die Schweiz musste sich der Macht des Faktischen beugen und den automatischen Informationsaustausch übernehmen.

Die SVP hält trotzdem unverdrossen an ihrem Zerrbild einer nationalen Souveränität fest, das im 21. Jahrhundert zunehmend antiquiert wirkt. So mit der Selbstbestimmungsinitiative, über die am 25. November abgestimmt wird. Alarmiert sind nicht nur die «üblichen Verdächtigen» wie Operation Libero, sondern auch die Wirtschaft. Economiesuisse warnt, der geforderte Vorrang des nationalen Rechts gegenüber dem Völkerrecht erzeuge ein hohes Mass an Unsicherheit.

Die Schweiz wird sich in einer allfälligen Abstimmung entscheiden müssen, ob sie für die totale Eigenständigkeit zu Abstrichen bereit ist.

Zum Pièce de Résistance dürfte das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU werden, sofern der Bundesrat den Mut hat, die Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. SVP und Konsorten schreien Zeter und Mordio, weil der Einbezug des Europäischen Gerichtshofs und die «dynamische» Übernahme von EU-Recht die Schweiz zur «Kolonie» machen würden.

Es lässt sich nicht leugnen: Mit dem Rahmenabkommen müsste die Schweiz gewisse Abstriche bei ihrer Eigenständigkeit hinnehmen. Es ist in gewisser Weise der Preis dafür, dass wir als Nichtmitglied einen reibungslosen Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt und Rechtssicherheit im Umgang mit unserem mit Abstand wichtigsten Handelspartner erhalten.

Es geht nicht einfach um ein «Butterbrot», wie Markus Somm, der Noch-Chefredaktor der «Basler Zeitung», in der 1.-August-Ausgabe der «Weltwoche» schreibt. Sondern um ein Handelsvolumen von einer Milliarde Franken pro Tag. Die Schweiz wird sich in einer allfälligen Abstimmung entscheiden müssen, ob sie für die totale Eigenständigkeit zu Abstrichen bereit ist.

Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz.
Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz.grafik: watson/leo helfenberger

Die Schweiz-Ausgabe der deutschen «Zeit» widmet sich zum Nationalfeiertag drei «Megatrends», die längerfristig zu einem Niedergang der SVP führen könnten: Die Schweiz wird städtischer, gebildeter und bunter. Das mag zutreffen, obwohl auch in der SVP zunehmend die Akademiker das Sagen haben und die Partei mit ihrem Programm auch auf viele Secondos anziehend wirkt.

Wirklich gefährlich für die SVP wird es, wenn immer mehr Menschen ihr Doppelspiel durchschauen. Und sich mit der Tatsache abfinden, dass Abstriche an der nationalen Souveränität unvermeidlich sind, wenn die Schweiz weiterhin die Früchte des auf den globalen Märkten erwirtschafteten Wohlstands geniessen will. Selbst wenn die geliebte Direkte Demokratie eingeschränkt wird.

Falls die eintrifft, könnte die Schweiz ein weiteres Mal eine Vorreiterrolle spielen: Beim Backlash gegen das Trugbild von der Behaglichkeit des Nationalstaats.

SVP-Abstimmungsplakate

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SVP-Abstimmungsplakate
Mit Zangen-Plakaten gelang es Christoph Blocher und der SVP, am 6. Dezember 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu bodigen.
quelle: keystone / str
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196 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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domin272
01.08.2018 15:45registriert Juli 2016
Auch der hinterletzte Bauer wird noch mal merken, dass diese Partei nur noch die Interessen derer vertritt, die 1000 mal mehr Geld haben als er, also genau wie die FDP und dann aber zu ihrer Rettung versucht dass mit Stammtischrethorik und Aufbauschen von Einzelfällen, alles den Ausländern in die Schuhe zu schieben. Dabei ist die Rechnung einfach. Wenn du wissen willst warum du kein Geld hast, wo schaust du dann hin? Zu den Ausländern, egal ob sie arbeiten oder nicht, aber am Ende weniger als du haben, oder zu denen die Berge aus 1000er Noten hinter dem Haus lagern?
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Geo1
01.08.2018 19:27registriert August 2016
1. Der Unterschied zwischen der SVP und den anderen europäischen Rechtsparteien liegt darin, dass das patriotisch-nationalistische Gehabe für die Parteileitung in erster Linie ein Mittel zum Zweck und nicht der eigentliche Kern ihres Programms ist. Im Zentrum ihrer Politik steht eine Neoliberale Wirtschaftspolitik und die Bekämpfung jeglicher Umverteilung (Bauern ausgenommen). Da damit kaum Wähler zu überzeugen sind, setzt man auf „Patriotismus“.
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Geo1
01.08.2018 19:49registriert August 2016
2. Ich wage zu behaupten, dass sich die SVP vollumfänglich bewusst ist, dass ihre konservativ-patriotische Abschottungspolitik nicht mit ihrer neoliberalen Wirtschaftspolitik kompatibel ist. Macht aber nichts, da man mit ersterem zwar hervorragend Wählerstimmen, aber kaum Mehrheiten gewinnen kann; deshalb spielt die Unvereinbarkeit in der Praxis kaum eine Rolle. Interessant wirds, wenn die SVP unerwartet doch mal eine Mehrheit für ihre Abschottungspolitik erhält. Ihr Verhalten nach der Annahme der MEI spricht diesbezüglich Bände.
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