Ehemalige Verdingkinder am Montag bei der Lancierung der Initiative auf dem Bundesplatz.Bild: Keystone
Wiedergutmachungs-Initiative für Verdingkinder lanciert
Die Opfer der «fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» wurden bis in die 1980er-Jahre in Heime gesteckt, zwangssterilisiert und missbraucht. Eine Initiative soll endlich Gerechtigkeit schaffen, wie Initiator Guido Fluri erklärt.
31.03.2014, 23:2108.04.2020, 22:13
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Herr Fluri, am Montagmorgen haben Sie die Wiedergutmachungs-Initiative lanciert. Bis im Herbst wollen Sie die 100'000 Unterschriften beisammen haben – Zeit hätten Sie 18 Monate. Warum so ehrgeizig?
Guido Fluri: Ja, wir sind ehrgeizig. Wir werden auf der Strasse viel mit den Leuten reden müssen. Es besteht ein grosser Erklärungsbedarf. Denn es ist klar: Welcher Unter-30-Jährige weiss noch, was eine administrative Versorgung ist?
Erklären Sie es uns.
Bis in die 1980er-Jahre wurden Jugendliche und junge Erwachsene in der Schweiz ohne Schuldspruch und Richterurteil weggesperrt. Die jungen Männer und Frauen wurden zur «Arbeitserziehung» in geschlossene Anstalten und Gefängnisse eingewiesen, weil sie ein angeblich «liederliches Leben» führten oder als «arbeitsscheu» eingestuft wurden. Erst in den 1980er-Jahren wurde dieses dunkle Kapitel geschlossen. Nun muss es endlich sauber aufgearbeitet werden.
«Die Gräuel werden relativiert und teilweise sogar verneint.»
Guido Fluri, Initiator
Das war auch das Ziel des runden Tisches, an dem Sie mit dem Bundesrat diskutierten. Was kann die Initiative zusätzlich erreichen?
Die Gespräche waren gut, aber wir kommen nicht weiter, wenn die politische Mehrheit fehlt. Die Gräuel werden relativiert und teilweise sogar verneint. Den Betroffenen muss die Würde zurückgegeben werden. Dafür muss sich das Volk geschlossen und solidarisch hinter die Initiative stellen.
Weil der runde Tisch mit Bundesrätin Sommaruga kein befriedigendes Ergebnis brachte, soll es das Volk richten.Bild: Keystone
Wiedergutmachungs-Initiative
Das Parlament hat zwar kürzlich ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Unrecht der Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen anerkannt wird. Eine finanzielle Wiedergutmachung ist aber nicht vorgesehen.
Das soll die Initiative richten: Über einen Fonds, gefüllt mit 500 Millionen Franken, sollen die Opfer eine Wiedergutmachung erfahren. Zudem soll die lückenlose wissenschaftliche Aufarbeitung finanziert werden. Wird innert 20 Jahren nicht alles Geld aufgebraucht, fliesst es wieder dahin zurück, wo es hergekommen ist. (jas)
Die Initiative will eine wissenschaftliche Aufarbeitung und finanzielle Wiedergutmachung für die Betroffenen ermöglichen. Wie genau?
In der Schweiz leben rund 20'000 schwer betroffene ehemalige Verding- und Heimkinder, Opfer der sogenannten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Für diese soll ein Fonds mit 500 Millionen Franken eingerichtet werden. Eine unabhängige Kommission prüft jeden Fall und verhindert so ein Giesskannenprinzip.
Guido Fluri, Drahtzieher der Initiative zur Wiedergutmachung.Bild: Keystone
Guido Fluri
Der Immobilien-Unternehmer ist Präsident der nach ihm benannten «
Guido Fluri Stiftung». Diese setzt sich ein für die
Bekämpfung von Gewalt an Kindern, für die öffentliche
Aufklärung bei Schizophrenie und für die
Bekämpfung von Hirntumoren. Fluri selbst war an einem solchen erkrankt.
Im Jahr 2011 eröffnete die Stiftung in einem ehemaligen Kinderheim eine Ausstellung über Verdingkinder, Heimkinder und andere Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. (jas)
In Ihrem Initiativ-Komitee sitzen einige bekannte Persönlichkeiten – darunter zwölf namhafte Politiker von links bis rechts. Nur die SVP fehlt. Sind Sie enttäuscht?
Nein, enttäuscht bin ich nicht. Wir wollen nicht klagen. Wir wollen sie mit unserer Sensibilisierungskampagne auf unsere Seite bringen.
Prominentes Komitee: Soziologe Ueli Mäder, SP-Nationalrätin Jaqueline Fehr und ganz vorne der Grüne Ständerat Luc Recordon.Bild: Keystone
Der SVP-nahe Bauernverband wollte nichts von finanziellen Abfindungen für ehemalige Verdingkinder wissen. Das muss Sie doch stören.
Nun, der Bauernverband sollte unseres Erachtens seine Haltung überdenken. Dafür müssen wir viel Überzeugungsarbeit leisten.
«Den Betroffenen muss die Würde zurückgegeben werden. Dafür muss sich das Volk geschlossen und solidarisch hinter die Initiative stellen.»
Guido Fluri, Initiator
Eine professionell geführte Organisation soll der Initiative zu schnellem Erfolg verhelfen. Sie bezahlen sogar Studenten, die Unterschriften sammeln.
Die Betroffenen können leider nicht mehr selber sammeln, viele von ihnen sind betagte Menschen. Je schneller die Unterschriften zusammenkommen, desto besser. Darum beginnen wir schon am nächsten Samstag. Weitere Kampagnen werden folgen.
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