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Wie die Felsberger Büezer ihre Bundesrätin verraten haben

Der Stammtisch im «Weissen Kreuz» in Felsberg: Gemischte Gefühle gegenüber dem Rückzug Widmer-Schlumpfs von der grossen Politbühne. 
Der Stammtisch im «Weissen Kreuz» in Felsberg: Gemischte Gefühle gegenüber dem Rückzug Widmer-Schlumpfs von der grossen Politbühne. 
Bild: rafaela roth

«Martullo-Blocher» flüsterte man sich zu: Wie die Felsberger Büezer ihre Bundesrätin verraten haben

Ein Drittel der Einwohner von Eveline Widmer-Schlumpfs Heimatdorf Felsberg (GR) hat SVP gewählt. Viel mehr noch als vor vier Jahren. Was sind die Gründe? Eine Spurensuche. 
29.10.2015, 10:0030.10.2015, 10:15
Rafaela Roth
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Margrith Mettler und Ursula Schmid kommen gerade gut gelaunt vom Seniorenturnen. Jetzt müssen sie erfahren, dass Felsberg ab dem neuen Jahr keiner Bundesrätin mehr Heimat bieten wird: «Das hätte ich mir auch nicht mehr angetan!», ruft Frau Mettler aus. «Mich auch noch abwählen zu lassen, nachdem ich jahrelang so gute Arbeit geleistet habe», ruft Frau Mettler, «Nei, Nei». Schade sei es dennoch, «sehr schade».

«Ja, schade ist es», da ist man sich an diesem Mittwoch in Felsberg einig. Gute Arbeit habe sie gemacht, das will der abtretenden Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf niemand absprechen, ein Fleissiges sei es gewesen. Aber überrascht über ihren Entscheid? Nein, überrascht ist hier niemand.

«Wenn Sie mich fragen? Verrat!»

Es hat schon bei den Wahlen im Oktober nicht so gut ausgesehen. Im Geburtsort der BDP legte ausgerechnet die SVP um 6,6 Prozentpunkte zu. Fast ein Drittel der Einwohner von Felsberg wählte SVP.

«Wenn Sie mich fragen? Verrat!», sagt Hans Danuser. «Man hätte doch seine Bundesrätin stützen müssen!» Er selber habe zwar auch SVP gewählt: «Aber ich stehe wenigstens dazu!», sagt Danuser, heimisch hier, Dorforiginal gemäss eigener Aussage. Aber da sei einiges hintenrum gegangen.

Hintenrum flüsterte man sich den Namen «Martullo-Blocher» zu. «Ist halt eine wichtige Arbeitgeberin hier», sagt ein Felsberger, der neben Danuser am Stammtisch sitzt. Er deutet vielsagend auf den Badge, der an seiner Arbeitshose baumelt: «Ems-Chemie», steht darauf. Haben die Felsberger Büezer am Ende der Blocher-Tochter vor ihrer eigenen Bundesrätin den Vorzug gegeben? Das will jetzt auch niemand grad so gesagt haben.

«Richtige Bundesrätin, falsche Partei»

Ein paar hundert Meter weiter, am zweiten Dorf-Stammtisch, im «Chrüzli-Egga» wird einer schon deutlicher: «Richtige Bundesrätin, falsche Partei», heisst es hier. «Chabis», sei das gewesen, diese Abspaltung, was soll das denn sein, diese BDP? «Wischiwaschi!» Wäre Widmer-Schlumpf SVP-Bundesrätin gewesen, hätte da niemand was dagegen gehabt. Der Vater sei schliesslich auch für die SVP im Bundesrat gewesen, Leon Schlumpf, Ehrenbürger von Felsberg, ob Eveline Widmer-Schlumpf das auch wird, weiss niemand. Aber der Vater habe es ja auch nur acht Jahre gemacht, wie die Tochter.

«Ist doch gut, jetzt ist sie wieder mehr bei der Familie», heisst es im Chrüzli weiter. Das verstehe man doch, dass sie wieder mehr bei der Familie sein wolle. «Sie ist am Ende froh», nickt die Runde, als der Chrüzli-Wirt um 19.30 Uhr die Tagessschau einschaltet und die Felsbergerin am Fernsehen spricht.

Auch der BDP-Gemeinderat Roland Schmid, der der Pressekonferenz seiner früheren Schulkollegin in seinem Büro lauscht, sagt: «Aber sie sieht gut aus, oder?» Gerade der Anfang ihrer Amtszeit sei sehr belastend für sie gewesen, das habe man gesehen. Schmid ist sich sicher: Dass die Felsberger seiner Partei bei den Wahlen nicht treu waren, hat nichts mit fehlendem Rückhalt zu tun, sondern mit der Flüchtlingskrise: «Und die hat die SVP bewirtschaftet. Nein, eigentlich möchte man sagen ‹ausgeschlachtet›», sagt Schmid. 

«Das Zugpferd ist natürlich weg»

Wie es mit seiner Partei weitergehen wird, ist er sich nicht sicher: «Natürlich wird es die BDP weiterhin geben», sagt er, «aber das Zugpferd ist natürlich weg.» Vielleicht gehe am Ende gerade dadurch ein Ruck durch die Partei.

Jetzt muss Schmid aber aufbrechen, die Felsberger müssen zur Gemeindeversammlung. Ausgerechnet an diesem Mittwoch stehen hier die Gemeinderats-Wahlen an. Unter den Kandidaten ist ein Bekannter, Ursin Widmer, der Sohn von Eveline Widmer-Schlumpf. Ob er wirklich für diese BDP antritt, weiss im Chrüzli niemand. 

Eveline Widmer-Schlumpf: Ihre Karriere in Bildern

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Eveline Widmer-Schlumpf: Ihre Karriere in Bildern
Eveline Widmer-Schlumpf wird am 16. März 1956 in Felsberg geboren. Sie besucht die Bündner Kantonsschule in Chur, die sie 1976 mit der Matura abschliesst. Anschliessend studiert sie an der Universität Zürich Rechtswissenschaften und legt 1981 das Lizenziat ab.
quelle: keystone / arno balzarini
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16 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aberbitterschön
29.10.2015 11:22registriert Oktober 2015
Welche Partei hin oder her. Was ich aber nicht verstehe, warum ausgerechnet die Bündner eine Zürcherin wählen. 😳 Ev. auch Verrat?
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klugundweise
29.10.2015 12:22registriert Februar 2014
EWS wurde vom Parlament demokratisch als SVP-Vertreterin in den BR gewählt. Ist das Verrat, nur weil es einem anderen SVP-Mitglied nicht gepasst hat?
Dann ist wohl der nächste Verrat geplant, wenn das Parlament nochmals nicht den von der SVP geforderten Vertreter wählt.
Wie war das bei Hürlimann, Ritschard, Calmy Rey, Stich?
Alles Verräter?
Seltsames Verständnis von Demokratie!
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Denk-mal
29.10.2015 10:45registriert August 2015
Na ja, so entstehen Bananenrepubliken. Einer od. einige schaffen Arbeitsplätze. Daraus entsteht Abhängigkeit, Manipulationen und Angst, sobald das Unternehmen droht.
Wie die Unternehmer zu viel Geld kamen ist Wurst. Letzter Schritt…., es folgen immer mehr Unternehmen (Tiefsteuerpolitik weltweit). Nun folgt noch mehr Abhängigkeit und daraus entpuppen sich Raubtierkapitalisten, welche mit Clan im Familienstil ganze Länder beherrschen. Schaut euch in der Welt um. Ist jemand dumm und kann er nichts dafür, wählt er die SVP. Das Signet heisst ja auch; Schweizerische-Volkverdummungs-Partei.
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