Auf der Treppe zum Dachstock der Berner Reitschule stehen die Journalisten Schlange. Die Mediengruppe des Berner Kulturzentrums hat sich professionell organisiert. Wer den Presseausweis vorzeigt, bekommt ein Infoblatt mit den Traktanden der Medienkonferenz und darf eintreten.
Im Innern riecht's nach getrocknetem Bier und Holz. Auf den Stühlen liegen Ausdrucke von Fotos, die den Polizeieinsatz vom Freitag zeigen. Ein Podest mit Mikrofon und Club Mate steht für die Vertreter der Mediengruppe bereit. Ein paar Reitschul-Besucher stehen an der Bar des Dachstocks.
Punkt elf Uhr treten sie an: Christoph, Carmen und Naomi von der Mediengruppe Reitschule setzen sich und blicken von ihrem Podest auf die Journalisten herab. Sie sind jung, vielleicht um die dreissig Jahre alt, in Kapuzenpulli und Hemd. Sympathisch und gelassen – als hätten sie das schon hundert Mal gemacht – begrüssen sie zur Pressekonferenz.
Dann setzen sie zur Kritik an. Gegen die Medien, gegen die Polizei, gegen die Behörde.
«Was nach letztem Wochenende geschah, war eine einzige Medienschlacht», sagt Carmen zu Beginn. Eine unverhältnismässige und undifferenzierte Berichterstattung habe die Reitschule in ein falsches Scheinwerferlicht gestellt. Die Reitschule sei auch deshalb nun hier vertreten – um die Dinge wieder ins Rechte Licht zu rücken.
Ihre wichtigsten Botschaften:
Angefangen habe alles mit einer Studie am 1. März, sagt Christoph. Es ging darin um das Sicherheitsempfinden der Berner. Die Reitschule sei in dieser Studie einmal genannt worden – bei der Frage, an welchen Orten man Angst vor einem Terror-Anschlag hätte. «Daraus konstruierte Sicherheitsdirektor Reto Nause die Story, wir würden uns um die Sicherheit der Reitschul-Gäste fürchten», fährt Christoph weiter.
Damit habe die Polizei ihre präventive Massnahme vom vergangenen Freitag legitimiert. Mit weit mehr Einsatzkräften als Sicherheitsdirektor Reto Nause protokollierte – er sprach von vier Zweierpatrouillen, Fotos zeigen mindestens 20 Mann – kontrollierte die Polizei auf dem Vorplatz der Reitschule Personen.
Die Reitschule habe die Polizei mit dem direkten Telefon, das die Kommunikation zwischen Kulturzentrum und Einsatzkräften erleichtern solle, angerufen. Man wollte die Polizei darauf hinweisen, dass diese Massnahme als Provokation gesehen werden könne. «Aber wir wurden sofort abebutzt», sagt Christoph. Also habe man das Telefon halt liegengelassen – auch am Samstag.
Geht's um die Polizei, ist die Haltung der Reitschule klar: Man wünscht sich weniger Provokation, weniger Präsenz und weniger Politik. «Die Polizei soll ausführen, nicht in der Presse gegen die Reitschule schiessen», sagt Christoph. Ein im Publikum sitzender Reitschul-Besucher fragt rhetorisch, ob die Mediengruppe das Gefühl habe, die Polizei habe ihre Aufgabe, den Bürger zu schützen, erfüllt. Christoph, Carmen, Naomi und die anwesenden Reitschul-Besucher lachen.
Nachdem am Samstag elf Polizisten verletzt worden waren, hagelte es massiv Kritik auf die Reitschule. Polizeichef Manuel Willi sprach von «Tötungsversuchen» aus der Reitschul-Trutzburg und Sicherheitschef Reto Nause beschuldigte den Sicherheitsdienst der Reitschule, nicht mit der Polizei zu kooperieren und Krawallmacher zu schützen.
Darauf angesprochen reagieren die Reitschüler leicht genervt. «Wenn nicht mal die Polizei mit 50 Mann diesem Problem Herr werden kann – was sollen denn wir tun?», fragt Christoph rhetorisch. Man sei nicht einverstanden mit den Krawallen. «Das ist nicht die Reitschule. Das ist eine uns unbekannte Gruppe. Die Personen waren Vermummt. Warum sollten wir wissen, wer das war?», sagt Christoph.
Man habe die Sicherheitsleute bewusst in der Reitschule gelassen. «Alles andere wäre fahrlässig gewesen», sagt Carmen. Auch ein Abbruch des Konzerts sei ausser Frage gestanden. «Das könnte zusätzliche Aggressionen hervorrufen.» Auch das grosse Tor könne nicht einfach geschlossen werden – schliesslich sei das ein Notausgang.
Die Reitschule sei ein offenes Gebäude, aufs Dach – von wo in der Nacht auf Sonntag Steine auf die Polizei flogen – komme mit einer Räuberleiter jeder.
Es sieht schlecht aus für die Reitschule: Stadtpräsident Alexander Tschäpätt verkündete, dass dem Kulturzentrum die Gelder gestrichen würden. Am Freitag flatterte den Verantwortlichen gar eine Betreibungsandrohung ins Haus. Ist jetzt doch zu viel passiert? Die Reitschüler geben sich gelassen.
Das müsse man jetzt alles erst mal besprechen. «Und das geht halt immer eine Weile in einer Institution wie der Reitschule», sagt Carmen. Und Anfang April werde ein weiteres Gespräch mit der Stadt stattfinden. Wirklich Angst um die Reitschule scheinen Christoph, Carmen und Naomi aber nicht zu haben. «Wir erbringen die kulturelle Leistung auch ohne Vertrag», sagt Christoph.
Falls die Stadt tatsächlich dieses Geld verlange, werde es die Reitschule wohl irgendwie schaffen, fügt Christoph an. Das Kulturzentrum subventioniere sich selbst quer. «Und im Notfall verlangen wir einen zusätzlichen Solidaritätsfranken für jedes Bier.»
Dann brechen Christoph, Carmen und Naomi ab – souverän standen sie den immer gleichen Fragen Red und Antwort, aber man sieht ihnen an, dass sie jetzt einfach nur noch gehen wollen. «Verrückt dieses Medienzeug», sagen ein paar Reitschüler, die ebenfalls noch im Dachstock sind.
Ganz vorbei ist es aber noch nicht – Katha, die seit zwei Jahren das Programm für den Dachstock zusammenstellt, führt die Journalisten zu den Schauplätzen: Das grosse Tor, das nicht geschlossen werden kann, das Dach, das zwar mit Stacheldraht gesichert, aber eben doch relativ einfach erklettert werden kann, die Unterführung, in der die Barrikaden brannten und der Vorplatz – Schmelztiegel und Problemherd.
«Betreten auf eigene Gefahr» steht über einer Tür im Innenhof. «Klar, es gibt hier viel Reibung», sagt Katha. Aber dafür sei es auch kreativ, offen, lebendig. «Wir wünschen uns einfach, die Medien würden öfters schreiben, was bei uns für gute Dinge passieren, als was schief läuft.» Ein Reitschul-Besucher passiert die Journalisten-Gruppe, die ums Haus streicht. Es gibt Mittelfinger für alle.