Um das neue Polizeigesetz tobt im Kanton Bern ein heftiger Streit. Mit der Totalrevision soll der Wildwuchs des alten Polizeigesetzes bekämpft und der Verwaltungsaufwand verkleinert werden, sagen die Befürworter. Das Polizeigesetz sei Ausdruck einer immer repressiveren Gesellschaft, sagen Gegner.
Die SP Stadt Bern, Linksaussenparteien, Menschenrechtsorganisationen und Fahrende haben deshalb das Referendum ergriffen.
Hauptkritikpunkte am Gesetz sind mögliche Kostenabwälzungen bei Demonstrationen auf Organisatoren und Einzelpersonen, die angebliche Diskriminierung gegen Fahrende sowie neue, weitreichende Überwachungsmassnahmen.
Insbesondere letztere sind im Visier der Polizeigesetz-Gegner. Sie befürchten einen massiven Ausbau des Überwachungsapparats ohne juristische Kontrolle.
Die Juso Stadt Bern ist überzeugt, dass bereits heute Überwachungsmassnahmen angewendet werden, die über die gesetzlich erlaubten Mittel hinausgehen. Mehrere Juso-Mitglieder haben deshalb mittels Akteneinsichtsgesuchs Journaleinträge der Kapo Bern angefordert.
In den Einträgen, die watson vorliegen, beschreiben die diensthabenden Polizisten vor allem Anhaltungen, Personen- und Effektenkontrollen am Rande von Demonstrationen.
Ein Eintrag stösst den Juso jedoch besonders auf. Er beschreibt den Polizeieinsatz im Vorfeld einer unbewilligten Kundgebung gegen Umweltzerstörungen auf dem Bundesplatz. Jérémie Reusser, Student und Juso-Vorstandsmitglied, ist sich sicher, dass die Polizei das Juso-Sekretariat aktiv überwacht habe. «Über Facebook haben sie wohl von der Veranstaltung erfahren und danach Beamte an der Monbijoustrasse postiert, wo das Sekretariat der Juso liegt. Als wir am Bundesplatz ankamen, war die Polizei bereits vor Ort.»
Dieter Jann, Rechtsanwalt spezialisiert auf Straf- und Strafprozesrecht, hat für watson den Eintrag untersucht. Aus polizeirechtlicher Sicht sei vermutlich nichts gegen das Vorgehen der Kapo Bern einzuwenden, so die Einschätzung des Anwalts. «In beiden Fällen war man aus konkretem Anlass vor Ort und hat dann getan, was man aus polizeilicher Sicht zu recht tut, man begleitet und kontrolliert präventiv, um jede mögliche Eskalation zu vermeiden.»
Die Juristin Simone Machado widerspricht, die Politikerin der Grünalternativen bekämpfte das Gesetz im Grossen Rat: «Für mich zeigt der Eintrag, dass in Bern eine gezielte Überwachung von linksorientierten Aktivisten stattfindet. Und zwar ohne, dass ein Auftrag existiere, in einem Strafverfahren zu ermitteln.» Es handle sich um eine präventive Observation von linken Gruppierungen und Einzelpersonen, so Machado.
In einem weiteren Eintrag von Anfang 2018 beschreibt der diensthabende Beamte, wie eine besetzte Liegenschaft in Ostermundigen «aufgrund der Meldung, wonach eine Veranstaltung stattfindet», überwacht wurde.
«Es konnte weder grosser Zuzug noch reger Personenverkehr festgestellt werden», stellten die Beamten fest.
B., der für die Juso regelmässig als Demo-Watcher unterwegs ist, war damals ebenfalls in dem besetzten Haus, in dem regelmässig politische Veranstaltungen durchgeführt werden, als Besucher anwesend. Eine politische Gruppe habe den Film «Das grüne Gold» gezeigt und anschliessend eine Diskussionsrunde organisiert. Dass die Polizei den Anlass verfolgte, kommt für ihn wenig überraschend: «Veranstaltungen in besetzten Häusern werden in Bern konsequent überwacht.»
Juso-Vorstandsmitglied Reusser sagt, in Bern gerate man als politisch aktive Person des linken Spektrums automatisch im Visier der Polizei. «Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich im vergangenen Jahr schon grundlos kontrolliert worden bin.» Mit dieser Zermürbungstaktik sollten politische Kundgebungen eingedämmt werden, ist Reusser überzeugt.
Rechtsanwalt Jann kommt auch in diesem Fall zum Schluss, dass das Vorgehen wohl rechtmässig war. Dass die Kapo im Journal das Wort «Überwachung» verwende, sei allerdings ungeschickt, so Jann. «Man hat begleitet, dann eine halbe Stunde diskutiert und hat sich gegenseitig nicht überzeugen können.»
Diesen Eindruck stützt der letzte Abschnitt im betreffenden Journaleintrag:
Simone Machado, die im Grossen Rat gegen das Gesetz opponierte und das Referendum unterstützt, zeigte sich über diese Formulierung erstaunt: «Das ist Ausdruck einer Gesinnungspolizei, in der Tonalität erinnert das an die DDR.» Das widerspreche dem Grundsatz, dass sich die Polizei politisch absolut neutral zu verhalten habe.
Die Medienstelle der Kantonspolizei Bern schreibt auf Anfrage: «Die Kantonspolizei Bern hält fest, dass sie keine systematischen Kontrollen oder Überwachungen von politischen Organisationen oder Einzelpersonen wegen deren politischen Tätigkeit vornimmt; von diesem Vorwurf distanzieren wir uns mit aller Deutlichkeit.»
Und weiter: Die Kapo Bern stütze sich in ihrem Handeln auf die gesetzlichen Grundlagen.
Die meisten Einträge sind teilweise geschwärzt, gemäss Polizei handelt es sich dabei um «einsatztaktische Hinweise, an deren Geheimhaltung ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht». Auch Hinweise zu Drittpersonen sowie die Namen der Polizisten sind unkenntlich gemacht.
Falls es dem Referendumskomitee bis am 18. Juli nicht gelingt, 10'000 Unterschriften zu sammeln, tritt das neue Polizeigesetz am 1. Januar 2019 in Kraft, und damit auch eine massive Verschärfung, wie Gegner befürchten. Die Polizei sei dann nämlich befugt, Ermittlungen, verdeckte Fahndung und verdeckte Ermittlungen ohne konkreten Tatverdacht einzuleiten. Das öffne Denunziationen Tür und Tor. Zudem fehlen entsprechende Kontrollmechanismen. Observationen etwa müssten erst nach einem Monat von einem Zwangsmassnahmegericht beurteilt werden.
Die Kapo Bern habe damit Kompetenzen, die weit über diejenigen in der Schweizerischen Strafprozessordnung StPo hinausgehe, sagt Michael Christen, Geschäftsführer der Demokratischen JuristInnen Bern.
Die Befürworter des Gesetzes, darunter auch Teile der Linken, kontern: Auch im neuen Gesetz seien starke rechtsstaatliche Schranken vorhanden.
Unterstützung erhalten sie von Markus Mohler, ehemaliger Dozent für Polizeirecht. Mohler sagte gegenüber dem «Bund», dass die Hürden für Überwachungsmassnahmen grösser seien als etwa in Zürich, das ein ähnliches Polizeigesetz habe. Auch müsse die betreffende Person informiert werden und könne Beschwerde erheben, falls etwa eine verdeckte Ermittlung ergebnislos bleibe.
(wst)