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Sexualtäter werden immer jünger – die Delikte immer schlimmer

Immer häufiger vergehen sich Kinder und Jugendliche an Gleichaltrigen. (Symbolbild)
Immer häufiger vergehen sich Kinder und Jugendliche an Gleichaltrigen. (Symbolbild) Bild: shutterstock

Sexualtäter werden immer jünger – die Delikte immer schlimmer

31.03.2019, 05:4731.03.2019, 15:37
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Am Freitag gab die Luzerner Polizei bekannt, einen 14-Jährigen verhaftet zu haben. Er soll sexuelle Übergriffe gegen fünf Mädchen verübt und diese «teilweise massiv tätlich angegangen und über der Kleidung im Genitalbereich angefasst haben».

Solche Übergriffe gelangen aber selten an die Öffentlichkeit. Jugendstrafverfahren werden zum Schutz der Beteiligten nicht publik gemacht. Die neue Kriminalstatistik belegt aber, dass jener Vorfall in Luzern bei weitem kein Einzelfall ist.

Kinder vergewaltigen Kinder

727 Minderjährige wurden letztes Jahr wegen eines Sexualdelikts beschuldigt, berichtet die SonntagsZeitung. Fast die Hälfte der Verzeigten war noch keine 15 Jahre alt. Zu Erhebungsbeginn 2009 waren es erst 455 Anzeigen.

Meist geht es um den Besitz und die Verbreitung von illegaler Pornografie. Wegen den technischen Möglichkeiten könne jedes Kind auf das Internet zugreifen, sagt Ronald Lips von der Berner Jugendanwaltschaft.

PDAG-Chefarzt Josef Sachs im Park der Klinik Koenigsfelden in Windisch. Aufgenommen zur Pensionierung am 27. August 2015.
Josef Sachs.Bild: THE

Aber dabei bleibt es oft nicht. «In der Regel steigt mit der Zeit das Bedürfnis nach härteren Inhalten», sagt Gerichtspsychiater Josef Sachs. Diese würden die Hemmschwelle senken. «Bei gewissen Jugendlichen so weit, dass sie selbst sexuelle Gewalt ausüben.»

Tatsächlich nehmen laut SonntagsZeitung auch schwere Sexualverbrechen durch Kinder zu. 53 Anzeigen gegen Minderjährige gab es im letzten Jahr wegen Vergewaltigung, so viele wie noch nie. Hinzu kamen 167 jugendliche Beschuldigte wegen sexuellen Handlungen mit Kindern. Das sind mehr als alle über 50-jährigen Verzeigten zusammen.

König des Glam-Rock wegen Pädophilie verurteilt:

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König des Glam-Rock wegen Pädophilie verurteilt
Es ist offiziell: Ex-Glam-Rocker Gary Glitter ist von einem Londoner Gericht wegen Missbrauchs Minderjähriger sowie der versuchten Vergewaltigung schuldig gesprochen worden.
quelle: ap/ap / kirsty wigglesworth
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«Tendenz zur Verjüngung»

Enrico Violi, Gewaltbeauftragter der Zürcher Bildungsdirektion, spricht von einer «Tendenz zur Verjüngung». Vergingen sich vor 15 Jahren mehrheitlich Erwachsene an Kindern, würden heute solche Delikte vermehrt von «Gleichaltrigen aus dem persönlichen Umfeld» ausgeführt.

Auch Violi sieht die Ursache dafür bei der Pornografie: «Sie vermitteln ein verzerrtes Bild von Sexualität: Der Mann ist aktiv, die Frau hält hin.» Dadurch würde auf beiden Seiten ein falsches Rollenverständnis entstehen.

Wie kann sexueller Missbrauch verhindert werden?

Video: srf/SDA SRF

Eltern in der Pflicht

Minderjährige Straftäter – über zehn Jahre alt – können mit bis zu vier Jahren Freiheitsentzug belangt werden. Laut der SonntagsZeitung ist es aber schwierig, Sexualdelikte zu beweisen. Dabei stellt sich immer die Frage, ob es sich um «einseitige Gewalt» oder «gegenseitige Experimente» handelt.

Gemäss Jugendanwältin Alexandra Ott Müller von der Jugendanwaltschaft Winterthur ist «der Schutz und die Erziehung straffällig gewordener Jugendlicher das oberste Ziel des Jugendstrafrechts». Minderjährige Straftäter werden genau abgeklärt und mit Sanktionen belegt, damit sich Taten nicht wiederholen.

Ott Müller sieht aber besonders die Eltern in der Pflicht: «Eine gute, altersadäquate und laufende Aufklärung sowie ein bewusster Umgang mit Social Media sind wichtige Mittel. Sexualität sollte heutzutage wirklich kein Tabu mehr sein.»

Ein Verbot gegen Pornografie findet Violi nicht sinnvoll, da Jugendliche immer einen Weg finden, dieses zu umgehen. Viel mehr sei es wichtig, dass junge Menschen «Inhalte einschätzen können». Deshalb wurde im Kanton Zürich das Projekt «Herzsprung» ins Leben gerufen.

Durch das Präventionsprogramm werden Jugendliche ab 14 Jahren «über Geschlechterbilder, Sexualität und darüber, was Grenzüberschreitungen sind» aufgeklärt. Mittlerweile steht «Herzsprung» allen Kantonen zur Verfügung. (vom)

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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Coffeetime ☕
31.03.2019 09:06registriert Dezember 2018
Das Thema ist so komplex. Es geht um weit mehr als nur zu wissen, was Sexualität ist und warum die Rollenbilder in der Pornowelt total verzerrt sind. Kinder, die nie ein "Nein" seitens Eltern erlebt haben, werden auch ein Nein des anderen Kindes nicht akzeptieren. Es geht auch um die Beziehung zum eigenen ich, um das Weltbild, welches es vermittelt bekommen hat etc.

Zum Glück haben die meisten Jugendlichen in unserem Land aber immer noch einen guten Start ins Leben.
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dracului
31.03.2019 09:27registriert November 2014
Ich halte zwar die frei verfügbare Pornografie im Internet für eine Seuche der Neuzeit, aber es ist nur ein Symptom. Zu diesem Symptom gibt es keinen Gegenpol: gesellschaftlich ist Sexualität immer noch ein grosses Tabuthema, Eltern sprechen kaum darüber, die Schule auch nicht. Hollywood und das Fernsehen zeigen bestenfalls auch nur ein „verzerrtes“ Bild. Wie sollen sich gerade Jugendliche in diesen Widersprüchen zurechtfinden?
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Menel
31.03.2019 09:55registriert Februar 2015
Dazu fällt mir der Artikel ein:

Ähh... wenn die Bienchen die Blümchen bestäuben: Die Verlegenheit der Väter --- https://www.watson.ch/!355730010?utm_source=whatsapp&utm_medium=social-user&utm_campaign=watson-app-ios

Es wäre die Aufgabe der Väter, sich mit ihren Söhnen über Sexualität zu unterhalten. Pornos liefern kein realistisches Bild von Sexualität ab. Auch üben sie einen Druck auf Jungs aus, da nur das Bild gezeigt wird, dass der Mann immer kann und auch immer die Führung übernimmt. Mit den Bildern im Kopf eine gesunde eigene Sexualität zu entwickeln ist dann schwer.
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