In der «20 Minuten» vom Donnerstag erschien ein Artikel über das Instagram-Sternchen Morena Diaz (24). Der Aargauerin folgen über 43’000 Menschen aus der ganzen Welt. Hauptsächlich sind es junge Frauen, die sich von Morenas Selbstbewusstsein eine dicke Scheibe abschneiden wollen. Morena hat sich nämlich voll und ganz der Body Positivity verschrieben, die propagiert: Alle Körper sind schön, so mollig, runzelig, straff, alt oder knackig sie auch sein mögen!
Morenas Instagram-Blog läuft deshalb so gut, weil er eine vermeintliche Antwort für Frauen mit Selbstoptimierungswunsch liefert: Sie verkauft Selbstbewusstsein – ein rares Gut in Zeiten von perfekt retuschierten Körpern auf Social Media. Er ist ein Trostpflaster für diejenigen, die sich auf anderen Blogs selbst nicht wiederfinden können, weil da statt einem #thinspo ein #normalesOberschenkeli ist.
Wie Schönheit, ist auch Selbstbewusstsein etwas, worauf andere neidisch sein können. Gerade Jugendliche, die naturgemäss nicht viel davon haben und noch weniger für ihre picklige Haut, den spriessenden Busen und den unproportionalen Körper übrig haben, beneiden diese Blogger darum, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen.
Statt Schönheit wird nun Selbstbewusstsein zum Kapital, das Likes einbringt und dem Lifestyle-Blogger zu noch mehr Abonnenten verhilft. So wird die Body Positivity zum Lifestyle erhoben, bei dem der normale Körper zum Schönheitsideal gekrönt wird. Dabei fällt auf: «Normal» gibt es nicht mehr.
Retuschierte Bilder in Werbungen und Modemagazinen erzeugen eine Wirkung auf unser Unterbewusstsein, das fortan normal mit hässlich gleichsetzt. Ein Viertel aller Jugendlicher ist laut einer Studie mit seinem Körpergewicht unzufrieden. Höchstwahrscheinlich liegt Morenas Body-Mass-Index in einem Normalbereich, insofern besitzt die Bloggerin medizinisch betrachtet den perfekten Körper.
Dass dieser Körper von der Social-Media-Community als kurvig gefeiert wird, irritiert und sollte empören. Nicht nur als kurvig, sondern auch als fett wird sie immer wieder bezeichnet: Morenas letzter Blogeintrag richtet sich an einen Hater, der ihren Bauch als «Schwabbelbauch» bezeichnet hatte.
«Schwabbelbauch» oder andere abschätzige Bezeichnungen über das Äussere verletzen fast alle Frauen. Eine solche Beleidigung verfestigt nämlich eine Vorstellung, die Frauen eine zu lange Zeit eingeimpft wurde: Dass es nämlich die grösste Verfehlung überhaupt ist, nicht genug schön zu sein. Und so funktioniert Hässlichkeit als Totschlagargument: Vor allem Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen diese Erfahrung tagtäglich machen.
In Kommentarspalten werden Politikerinnen, Journalistinnen und Bloggerinnen diskreditiert, in dem sie als hässlich bezeichnet werden. Den Frauen, die sich nicht auf einen Drink einladen lassen möchten, wird «hässlich» entgegengespuckt. Frauen, deren Körper auf dem Instagram-Bild einen Makel aufweist – hässlich. Körperbeschimpfung wird zum Kampfmittel.
Statt alles und jeden als schön zu bezeichnen, müsste vor allem gegen die «Hässlich»-Schreihälse etwas getan werden – online sowie offline. Denn sie sind das eigentliche Problem, dass junge Frauen das Selbstbewusstsein einer Tennessee Fainting Goat (ja, diese Ziegen fallen vor Schreck in Ohnmacht) haben. Statt «ich bin schön»-Mantras herunterzubeten und unsere Zeit mit dem Bestaunen von Instagram-Bloggern zu verbringen, könnten wir uns eines bewusst machen: Wir schulden es niemandem, schön zu sein.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dies lässt die Body Positivity ausser Acht. Jeder hat das recht, sich selbst schön zu finden. Niemand kann aber gezwungen werden, einen spezifischen Menschentypus ästhetisch oder gar attraktiv zu finden. Es gibt in diesem Sinne kein Recht auf Schönheit. Magst du deine Hautekzeme? Nun, das darfst du natürlich, aber du kannst es von niemandem anderen erwarten, diese zu feiern.
Nicht alle Menschen mögen Sommersprossen, nicht jeder unrasierte Achselhöhlen. Und wer keinen Gefallen an grünen Augen findet; sei’s drum! Aber: Wem nicht gefällt, was er sieht, für den gilt die alte Weisheit vom leben und leben lassen. Body Shaming ist nämlich keineswegs das Gegenteil der Body Positivity, sondern einfach ein Zeichen schlechter Kinderstube.
Die Body-Positivity-Bewegung hat einen kleinen Schönheitsfehler, denn sie setzt beim Symptom ein und reproduziert den Irrtum, dass wir schön – oder zumindest enorm selbstbewusst sein müssen, um vollkommen und glücklich zu sein.
Wirklich befreiend wäre eine Bewegung, in der sich Blogger auf eine Ebene mit den Usern begeben würden. Anstatt zu propagieren, auf jedes Speckröllchen stolz zu sein, könnten sie dann auch ein bisschen Menschlichkeit – samt Fehlern – zeigen: So, dass wir auch mal schwach, zerzaust, pickelig oder schüchtern sein dürfen, so, dass es uns auch mal an Selbstbewusstsein und Schönheit mangeln darf, ohne dass eine Instagram-Scheinwelt suggeriert, dass wir nicht normal sind.