Der Aufschrei war gross, als am 13. Oktober 2017 bekannt wurde, dass der damalige FDP-Bundesratskandidat Ignazio Cassis neun Tage vor der Wahl dem Verein «Pro Tell» beigetreten war.
Die Lobbygruppe setzt sich nach eigenen Angaben für ein «freiheitliches Waffenrecht» ein – und kämpft auf diesem Gebiet an vorderster Front gegen den Bundesrat. Dieser will eine Anpassung des Schweizer Waffenrechts an die neue EU-Waffenrichtlinie, wozu die Schweiz als Schengen-Mitglied verpflichtet ist. Das machte die «Pro Tell»-Mitgliedschaft von Cassis, – der inzwischen das Amt des Aussenministers bekleidet – zusätzlich problematisch.
Nur drei Tage nachdem der Tages-Anzeiger Cassis' Mitgliedschaft enthüllt hatte, gab dieser bekannt, dass er aus der Waffenlobby wieder austrete. Er begründete den Schritt mit «der laufenden öffentlichen Diskussion und der Instrumentalisierung des damaligen Beitritts».
Die Reaktionen auf den Zick-Zack-Kurs waren eindeutig: «Wie eine Fahne im Wind» sei Cassis, hiess es etwa. Oder: «Er hat ein Rückgrat wie ein Zahnstocher.» Insbesondere von links kam der Vorwurf, Cassis habe sich mit dem Beitritt bei «Pro Tell» bei der SVP anzubiedern versucht.
Das Timing zumindest liess darauf schliessen. Sein Beitritt erfolgte einen Tag vor dem Hearing des FDP-Kandidatentrios vor der SVP-Fraktion. Nach dem Hearing hinter verschlossenen Türen gab die Fraktion bekannt, dass sie grossmehrheitlich für Cassis stimmen werde. Eine Woche später wurde Cassis im zweiten Wahlgang zum Nachfolger von Didier Burkhalter gewählt.
Ob Cassis' Beitritt zu «Pro Tell» beim SVP-Hearing ein Thema war, ist unklar. Eine Motion für überparteiliche, öffentliche Hearings von Bundesratskandidaten – notabene aus der Feder von SVP-Nationalrat Lukas Reimann – lehnte das Ratsbüro kurz danach ab. Das Vorhaben wäre organisatorisch schwierig umzusetzen und sei nicht zielführend, so die Begründung.
Geht es nach dem Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne), soll es zukünftig bei Bundesratskandidaten keine nicht öffentlichen Mitgliedschaften mehr geben. In einer kürzlich eingereichten Interpellation verlangt er, die Einführung von Transparenzregelungen für amtierende und neu kandidierende Bundesräte zu prüfen.
Bundesparlamentarier sind bereits heute dazu verpflichtet, ihre Interessenbindungen offenzulegen – also den Einsitz in Verwaltungs- und Stiftungsräten und Vorständen. Über einfache Mitgliedschaften müssen sie keine Auskunft geben. Für Bundesräte gibt es keinerlei solche Regeln. Es ist allerdings ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie bei Amtsantritt sämtliche Nebentätigkeiten niederlegen. Einfache Mitgliedschaften hingegen sind weiterhin möglich.
Auf Anfrage verschiedener Medien legten die amtierenden Bundesräte Ende Oktober 2017 freiwillig ihre Passiv-Mitgliedschaften offen. Die meisten davon waren in politisch unproblematischen Vereinen im Kultur-, Sport- oder Wohltätigkeits-Bereich. Lediglich SP-Bundesrat Alain Bersets Mitgliedschaft bei der Gewerkschaft VPOD und – wie auch Parteikollegin Simonetta Sommaruga – bei der Pro-EU-Gruppierung NEBS, gaben zu reden.
Mit Blick auf die Vorgänge vor Cassis’ Wahl sagt Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli: «Es darf nicht sein, dass ein Kandidat einem Teil der Bundesversammlung – im Falle von Cassis der SVP-Fraktion – im Geheimen Signale aussendet, welche er gegenüber dem Rest verschweigt.» Mehr Transparenz sei deshalb zwingend nötig.
Zwar seien die Bundesratskandidaten meistens langjährige Politiker, deren politische Grundhaltungen den Parlamentariern bekannt seien. Doch Glättli gibt zu bedenken, dass sich in jüngster Vergangenheit spätestens ab dem zweiten Wahlgang meist nur noch Kandidaten der gleichen Partei mit einem ähnlichen politischen Profil gegenüber gestanden seien. Da könne das Wissen über Vereinsmitgliedschaften und Interessenbindungen helfen, eine Entscheidung zu treffen: «Es ist wichtig, in welchem Chor man singt und in welcher Stimme», so Glättlis Sprachbild.
Hinzu komme: Im Gegensatz zu National- und Ständeräten seien Bundesratskandidaten von ausserhalb der Bundesversammlung – etwa Regierungsräte oder Quereinsteiger beispielsweise aus der Wirtschaft – nicht einmal dazu verpflichtet, ihre Interessenbindungen offenzulegen. «In diesem Fall müssten wir Bundesparlamentarier als Wähler gemäss den jetzigen Regeln mehr über uns preisgeben als die zu wählenden Kandidaten. Das ist absurd», findet Glättli.
Glättlis Interpellation besteht aus drei verschiedenen Fragen an drei verschiedene Adressaten. Vom Bundesrat will er wissen, ob dieser freiwillig bereit sei, eine jährlich aktualisierte Liste der Mitgliedschaften zu veröffentlichen. Diesem Anliegen räumt Glättli selber wenig Chancen auf Umsetzung ein.
Ebenso schwierig dürfte es seine Aufforderung an die Ratsbüros von National- und Ständerat haben, eine Vorlage über die Transparenzpflicht für Bundesratskandidaten auszuarbeiten: «In den Ratsbüros haben die vier Bundesratsparteien eine Mehrheit.» Diese hätten kaum Interesse an einer Offenlegungspflicht.
Hoffnungen macht sich Glättli für seine am wenigsten weitreichende Forderung: Die Parlamentsdienste sollten freiwillig erstellte Selbstdeklarationen von Bundesratskandidaten über Mitgliedschaften und Interessenbindungen auf der Parlaments-Website aufschalten: «Ich bin sicher, mit dieser Option würde genügend öffentlicher Druck entstehen, damit die Kandidaten von sich aus vollständige Transparenz herstellen.»
Die Antworten des Bundesrats, der Ratsbüros und der Parlamentsdienste auf die am vergangenen Freitag eingereichte Interpellation steht noch aus.