Er wirft noch einen letzten Blick auf die Zuschauertribüne, ein Augenzwinkern in die Richtung seiner Frau, dann faltet Guy Parmelin seine Notizzettel mit zittrigen Händen auseinander. Der SVP-Nationalrat aus der Waadt stützt sich aufs Rednerpult und erklärt mit überraschend fester Stimme: Er bedanke sich für das Zeichen des Vertrauens. Die Bundesversammlung hat ihn soeben mit klarer Mehrheit – 138 von 243 eingegangenen Stimmen – in den Bundesrat gewählt. Seinen ärgsten Konkurrenten, Thomas Aeschi, liess Parmelin im dritten Wahlgang mit 50 Stimmen Vorsprung hinter sich, der Tessiner Kandidat Norman Gobbi landete abgeschlagen auf dem dritten Rang.
Parmelin, der in den Anhörungen kaum einen Parlamentarier zusätzlich von sich zu überzeugen vermochte und als «flach», «farblos» oder bestenfalls «konziliant» bezeichnet wird, steht nun auf der Kanzel und spricht wie ein Staatsmann: Bewegt und mit grossem Respekt werde er die neue Aufgabe anpacken, sagt er. Und: Als Bundesrat arbeite er immer mit dem Interesse des ganzen Landes vor Augen. Also wendet er sich auf Deutsch an die Zentral- und Ostschweizer, die bei der gestrigen Wahl leer ausgingen. Er bedauert auf Italienisch, dass die Tessiner nun noch viel länger auf einen Sitz in der Regierung warten müssen – und er vergisst auch die Rätoromanen nicht. Der Kanton Graubünden nehme seit der ausserordentlichen Session in Flims im Jahr 2006 einen besonderen Platz in seinem Herzen ein, sagte Parmelin auf Romanisch. Etwas holprig zwar. Aber immerhin.
Im Vergleich zu seinem Auftritt vor drei Wochen, als die SVP-Fraktion ihre drei Kandidaten präsentierte, hat der Bauer aus Bursins Welten gutgemacht.
Bereits damals hatten die anderen Parteien den drei SVP-Männern ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. «Alles andere als berauschend» gehört noch zu den netteren Aussagen. Parmelins Wahl galt aber ziemlich schnell als das «kleinste Übel» für Mitte-Links. Sogar die Grüne Partei, die bis zum zweiten Wahlgang daran festhielt, den SVP-Kandidaten keine einzige Stimme zu geben, lenkte später ein. Vizepräsident Bastien Girod sagte nach der Wahl, Parmelin sei von den dreien der «einzig Wählbare» gewesen.
Wenn SVP-Gegner von den Vorzügen Parmelins sprechen, sind nicht vorderhand politische Inhalte gemeint. Sie schätzen eher das freundliche Auftreten des Waadtländers. Auch als Präsident der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit habe er die Sitzungen stets gut geführt, attestieren ihm Kollegen. Da er die Dossiers seit seiner Wahl in den Nationalrat vor zwölf Jahren begleitet, wird ihm Fachkompetenz zugesprochen. Die Dossierkenntnis löste bei ihm wohl auch den Wunsch aus, das Departement des Inneren zu übernehmen.
Das soll indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass Parmelin in Agrar-, Sozial- und Migrationsfragen der Linie seiner Partei auf Schritt und Tritt folgt. Deshalb interessiert vorderhand, wie sich der SVP-Mann in den Bundesrat integrieren wird. An der gestrigen Pressekonferenz bediente sich Parmelin bei politischen Fragen stets der Kunst des Nichtssagens. Auf die Frage, was er vom Plan des Bundesrats zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative halte, antwortete er: «Der Bundesrat wird seine Verhandlungen nicht unterbrechen, nur damit ich meine Meinung einbringen kann.»
Ähnlich kryptisch äusserte sich der 56-jährige Bauer zu Sparmassnahmen in der Landwirtschaft und zur Ausschlussklausel der SVP. Er wiederholte mehrfach: «Je suis passé de l’autre côté du miroir.» Er habe nun die Seite gewechselt. In der Exekutive arbeite er für das Interesse des ganzen Landes und trage Mehrheitsentscheide der Regierung mit.
Im Gegensatz zu diesen Aussagen steht nicht nur die Politik der SVP, die er mit Bundesrat Ueli Maurer ins Gremium bringen will, sondern auch der Stolz des Waadtländer Bauern: «Vaudois je suis, et vaudois je reste», sagte er auf die Frage, ob er in die Fussstapfen von Jean-Pascal Delamuraz treten werde, der vor 17 Jahren als vorerst letzter Waadtländer im Bundesrat sass. Parmelin ist der 15. Vertreter des Kantons – der erste für die SVP.
Genau deswegen freuten sich die Parteivertreter mit ihm, allen voran SVP-Präsident Toni Brunner. «Heute ist ein guter Tag», wiederholte er in jedes Mikrofon, das ihm entgegengestreckt wurde. Denn in der Romandie habe die SVP noch das grösste Wachstumspotenzial. Mit dem bodenständigen und sympathischen Bundesrat Guy Parmelin, so hofft die Parteispitze, weiter Boden gutzumachen.
Auf Teleblocher freute sich Vizechef Christoph Blocher genauso über Parmelins Wahl: «Er ist ein Bauer, so wie ich.» Mit Ueli Maurer, dem früheren Geschäftsführer einer landwirtschaftlichen Genossenschaft, stärkt Weinbauer Parmelin die Agrarfront im Bundesrat. Dennoch: Ein herzhaftes Bekenntnis, die Bauern von Sparmassnahmen auszunehmen, wollte er dann doch nicht abgeben. Parmelin, der mit seinem Bruder einen Hof betreibt, sagte, er sei nicht mehr Parlamentarier, er müsse sich den Mehrheiten des Bundesrats fügen. Eines sei jedoch sicher: «Paysan je suis, paysan je reste dans l’âme», so Parmelin. Er sei Bauer und werde es in seiner Seele auch bleiben.
Nicht anecken, die Konkordanz hochhalten und tiefstapeln. Mit diesem Rezept bereitet Parmelin den Weg, vielleicht sogar Kritiker dereinst positiv zu überraschen.