Er stieg als krasser Aussenseiter ins Bundesrats-Rennen ein. Heute gilt der Genfer Staatsrat Pierre Maudet als ernsthafter Anwärter auf die Nachfolge des zurücktretenden Didier Burkhalter. Die FDP-Fraktion nominierte ihn am 1. September gemeinsam mit Ignazio Cassis und Isabelle Moret offiziell auf einem Dreierticket. Damit hätte wenige Wochen zuvor kaum jemand gerechnet.
Von nichts kommt jedoch nichts. Der 39-jährige Shootingstar, der ausserhalb seines Kantons kaum bekannt war, startete eine in der Geschichte des Bundesstaats beispiellose Lobby-Kampagne in eigener Sache. Er reiste durchs ganze Land und besuchte die Mitglieder der FDP-Fraktion, um sie von sich zu überzeugen. Ein Korb mit Genfer Spezialitäten durfte nicht fehlen.
Mit Erfolg, wie die Nomination auf dem Dreierticket zeigt. Seither hat Maudet einen Gang höher geschaltet. Er spricht mit gewichtigen Politikern aus den übrigen Fraktionen und trinkt Kaffee mit Bundeshaus-Journalisten. Das zahlt sich aus, manche Medien geben dem Genfer inzwischen mehr als nur Aussenseiter-Chancen. «Alle lieben Maudet», schrieb der «Tages-Anzeiger».
Wirklich alle? Pierre Maudets Werbetour und seine für hiesige Verhältnisse forsche Selbstinszenierung stossen nicht nur auf Gegenliebe. Kritiker fragen sich, wer in seiner Abwesenheit das Sicherheits- und Wirtschaftsdepartement des Kantons Genf führt. Seine Auftritte wirkten nicht immer so souverän, wie es seinem «Macher»-Image entspricht.
Wie gut aber kommt er wirklich an?
Die SVP-Fraktion verfügt mit 74 Stimmen über das grösste Gewicht in der Bundesversammlung. Laut Medienberichten soll Maudet Terrain gut gemacht haben, nicht zuletzt weil Rivale Ignazio Cassis sich als Befürworter einer Legalisierung von Cannabis und Kokain geoutet hat. In der Endabrechung wird es der Genfer trotzdem schwer haben. Das Hauptproblem aus Sicht der SVP ist seine Mitgliedschaft bei der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (Nebs).
Maudet ist deswegen für viele eine Art blau-gelbes Tuch, ein EU-Turbo. Damit kann man in der SVP keinen Blumentopf gewinnen. Die Europafrage werde bei der Wahl des potenziellen neuen Aussenministers entscheidend sein, sagte selbst Nationalrat Ulrich Giezendanner, der Cassis wegen seiner Haltung zur Drogenfreigabe scharf kritisiert hat, der «Aargauer Zeitung».
Wenig Begeisterung erzeugt Pierre Maudet auch bei der SP, obwohl er sich für die Legalisierung von Sans-Papiers stark macht. «Bei allen Kandidatinnen und Kandidaten besteht die Gefahr, dass sie im Bundesrat die Interessen der Wirtschaft über jene der Bevölkerung stellen», liess Fraktionschef Roger Nordmann verlauten. Die Grünen wiederum tendieren zur Wahl einer Frau.
Bei den übrigen Parteien sieht es für den Genfer ebenfalls nicht gut aus. Für CVP-Präsident Gerhard Pfister haben Cassis und der Anspruch der italienischen Schweiz grosses Gewicht. BDP-Chef Martin Landolt favorisiert Moret. Jürg Grossen, der neue Präsident der Grünliberalen, hat Präferenzen für eine Frauenkandidatur geäussert. Selbst in der FDP-Fraktion dürften die Stimmen primär an deren Chef (Cassis) oder die langjährige Kollegin (Moret) gehen.
Maudets Werben um die veröffentlichte Meinung hat sich bislang ausbezahlt. Die Berichterstattung über ihn fällt überaus wohlwollend aus. «Maudet ist unideologisch, führungsstark und visionär. Er scheut sich nicht, seine Meinung zu vertreten – und auch mal jemanden zu verärgern», schwärmte «Blick»-Chef Christian Dorer. Auch Arthur Rutishauser, Chefredaktor von «Tages-Anzeiger» und «SonntagsZeitung», äusserte sich positiv über den sicherheitspolitischen Hardliner.
Den Gegenpol bilden die SVP-nahen Medien, nicht zuletzt wegen der Europafrage. «Bis heute ist es Maudet nicht überzeugend gelungen, die Mutmassung zu zerstreuen, dass er insgeheim eben doch weiter für den EU-Beitritt trommelt», meinte die «Weltwoche». «Maudet kommt von links und tut deshalb alles, um ein bisschen rechter auszusehen», giftelte der Bundeshaus-Redaktor der «Basler Zeitung». Der Wahlkampf des Genfers habe zu einem «Intrigenstadel» geführt.
Tatsächlich agieren Maudet und sein mehrköpfiger Beraterstab beim Versuch, insbesondere den Favoriten Ignazio Cassis schlechtzureden, bisweilen an der Grenze zur Schlammschlacht. Nicht nur aus diesem Grund wird es ihm schwer fallen, die für die Wahl am 20. September notwendigen 124 Stimmen zusammenzukratzen.
Ein starker Auftritt in den Hearings am Dienstag bei SVP, CVP und Grünen sowie eine Woche später bei SP, GLP und BDP ist so etwas wie seine letzte Chance. Sein Hauptproblem kann Pierre Maudet aber auch mit cleverem Lobbying nicht beseitigen. Er hat zwei bedeutende Bevölkerungsgruppen gegen sich, die einen Sitz in der Landesregierung beanspruchen: Die Frauen und die italienische Schweiz.
Es ist nicht unmöglich, aber wenig wahrscheinlich, dass er aus diesem Streit als lachender Dritter hervorgeht. Maudet selbst beantwortete die Frage der NZZ nach seinem grössten Makel mit Ironie: «Dass ich keine Tessinerin bin.»