Aus den insgesamt 697'827 Exemplaren der Gratis-Zeitungen aus dem Hause Swiss Regiomedia AG schaut dem Leser diese Woche ein nachdenklicher Christoph Blocher entgegen. Er sitzt an einem Holztisch, das Kinn in der rechten Hand. «Nachlese zum 1. August», heisst es über der Seite. Darunter ist ein Artikel mit dem Titel «Hintergrund einer Geburtstagsfeier» abgedruckt. Der Autor: Christoph Blocher, alt Bundesrat, SVP-Vordenker – und Miteigentümer der Swiss Regiomedia AG.
In den Gratis-Wochenzeitungen steckt diese Woche gleich eine doppelte Portion Blocher: Auf den Inserate-Seiten ist ein Interview mit ihm abgedruckt, ebenfalls mit einem Foto von Blocher illustriert. Der Titel: «Braucht die Schweiz einen EU-Knechtschaftsvertrag?» (siehe Infobox am Ende des Artikels).
Die 24 Gratis-Blätter der Verlagsgruppe, welche grösstenteils per Post zugestellt werden, kaufte Blocher im August 2017 dem Zehnder-Verlag in Wil SG ab. Beunruhigten Stimmen, welche angesichts des Zuwachses an Medienmacht eine politische Einflussnahme durch Blocher befürchteten, widersprach der SVP-Doyen damals. Mit dem Kauf verfolge er keine politischen Zielen. «Die Redaktionen sind unabhängig», liess er sich in einer Medienmitteilung zum Deal zitieren.
Ein knappes Jahr nach der Übernahme erscheint nun ein Text von Blocher im redaktionellen Teil sämtlicher Ausgaben seines Zeitungsimperiums. Diese werden von Lokalredaktionen an 11 verschiedenen Standorten hergestellt. Der Artikel handelt von Blochers Gedanken beim Lesen von verschiedenen Interviews aus Anlass des Schweizer Nationalfeiertags. Und was er gelesen hat, gefiel Blocher offenbar nicht. Viel «Heuchlerisches und Verlogenes» sei da gesagt worden.
Den bekannten Literaturwissenschafter Peter von Matt etwa bezeichnet Blocher wegen dessen Aussagen im SonntagsBlick als «edlen Herr Professor». Von Matts Kritik am «Hochmut» und «Misstrauen gegenüber allem Fremden» der Schweizer kommentiert Blocher mit dem Sprichwort: «Je gelehrter, desto verkehrter.»
Auch am Interview des Tages-Anzeigers mit dem Historiker Valentin Groebner von der Uni Luzern – einem gebürtigen Österreicher – findet Blocher keinen Gefallen. Wie von Matt sei dieser Teil einer «selbsternannten Elite». Die ursprünglichen Schweizer Werte, wie im Bundesbrief beschworen, würden von diesen Professoren «beseitigt werden».
Von Groebner schlägt das Polit-Urgestein den Bogen – «wenn wir schon bei Österreich sind» – zu Ursula Plassnik, der österreichischen Botschafterin in Bern. In einem Interview mit der wirtschaftsnahen Denkfabrik Avenir Suisse sei sie dazu herausgefordert worden, «gegen die Schweiz zu dreckeln».
Der Text schliesst mit einer Kritik an den «selbsternannten Vögten», welche jede Zeit kenne. Am schlimmsten seien «diejenigen unter den Schweizern», die sich selber als «Visionäre», als «weltoffen» und «vorwärtsgewandt» bezeichnen. Das dient gemäss Blocher lediglich dem Zweck, den Bürgern «Selbstbestimmung und Freiheit zu rauben» und «dem Schweizer Recht internationales Recht überzustülpen».
Die Leser gewisser Gratis-Wochenzeitungen – z.B. «St.Galler Nachrichten» oder «Winterthurer Zeitung » – haben Blochers Text bereits heute in ihren Briefkästen gefunden. In anderen Zeitungen der Swiss Regiomedia AG, wie «Luzerner Rundschau» oder «Aarauer Nachrichten», erscheint der Artikel am Donnerstag oder am Freitag, wie CEO Marcel Geissbühler auf Anfrage von watson sagt.
«Christoph Blocher ist auf uns zugekommen und hat uns den Artikel zur Publikation angeboten», erklärt Geissbühler den Vorgang. Er habe sich als Verleger dafür entschieden, den Blocher-Text als Teil des überregionalen Mantels zu publizieren, sagt Geissbühler. Als Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit sieht Geissbühler den Vorgang nicht: «Die Redaktionen unserer Zeitungen sind in der Gestaltung des regionalen Teils völlig frei.» Ausserdem sei Blochers Text kein Einzelfall: «Wir drucken immer wieder mal Gastbeiträge von externen Autoren ab.»
Für Geissbühler ist der Artikel «hervorragend geschrieben und vom Thema her interessant». Er habe sich wegen der Qualität des Texts für eine Publikation entschieden und nicht, weil Blocher Mitbesitzer der Verlagsgruppe sei. Schliesslich werde dieser auch von renommierten Tageszeitungen regelmässig für Gastbeiträge angefragt: «Deshalb sind wir glücklich, dass uns solch exklusiver Content angeboten wurde.»
Auch Christoph Blocher selbst sieht die redaktionelle Unabhängigkeit seiner Gratis-Wochenzeitungen durch seinen Beitrag nicht in Gefahr: «Glauben Sie, dass jedermann Kolumnen schreiben kann, mit Ausnahme des Eigentümers?» beantwortet er eine Anfrage von watson mit einer Gegenfrage. Natürlich hätten die Verantwortlichen bei der Swiss Regiomedia AG auch das Recht, eine solche Kolumne abzulehnen