Schweiz
Christoph Blocher

«Der nächste Schritt sollte eine Weltregierung sein, welche die Gewalt völlig zum Verschwinden bringt»

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Menschenrechte

«Der nächste Schritt sollte eine Weltregierung sein, welche die Gewalt völlig zum Verschwinden bringt»

15.08.2014, 10:1516.08.2014, 12:23
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Zu Christoph Blochers jüngstem Coup, Landesrecht vor Völkerrecht stellen zu wollen, ist sehr viel moralisch Wertvolles und juristisch Gescheites geschrieben worden. Es wird nichts nützen. Auch mit seinem Kreuzzug gegen die Menschenrechte trifft Blocher den Nerv der Zeit. 

Die Menschen fühlen sich von einem immer grösseren Staat gegängelt und von einer immer globalisierteren Wirtschaft verraten. Wer gegen fremde Richter wettert und vor einer drohenden Diktatur warnt und gleichzeitig mehr Selbstbestimmung und mehr Freiheit verspricht, hat schon gewonnen. 

Wozu der Krieg gut ist

Doch das Problem verschwindet nicht. Versuchen wir es also anders, und zwar mit dem britischen Historiker Ian Morris und seinem jüngsten Buch «Krieg». Er ist einer der bekanntesten Geschichtsprofessoren der Gegenwart und lehrt an der renommierten Stanford University. Sein Buch «Wer regiert die Welt» war international ein durchschlagender Erfolg und stand in der Schweiz mehr als ein Jahr lang an der Spitze der Sachbuch-Bestsellerliste. 

«Nur 0,7 Prozent der heute lebenden Menschen werden eines gewaltsamen Todes sterben.»
Ian Morris

Auch in «Krieg» vertritt Morris eine provokative These, wie schon der Untertitel zeigt. Er lautet: «Wozu er gut ist». Es scheine paradox, so Morris, aber gerade dank dem Krieg sei die Menschheit so friedlich geworden wie noch nie. «Nur 0,7 Prozent der heute lebenden Menschen werden eines gewaltsamen Todes sterben», stellt Morris fest. «Im letzten Jahrhundert waren es zwischen ein und zwei Prozent, zwei bis fünf Prozent waren es in den alten Imperien wie Rom, fünf bis zehn Prozent in Eurasien zur Zeit der grossen Völkerwanderungen und erschreckende 20 Prozent in der Steinzeit.» 

Römischer Legionär
Römischer LegionärBild: shutterstock

Die Begründung für diese Entwicklung lautet wie folgt: Irgendwann hätten die «stationären Banditen» der Frühzeit begriffen, dass es für sie vorteilhafter ist, die besiegten Gegner zu unterwerfen, anstatt sie abzuschlachten. Entstanden ist so, was Morris «produktiver Krieg» nennt. Als Beispiel nennt er die römischen Eroberungskriege, die bei aller Brutalität schliesslich zu einer Pax Romana geführt haben, einem für damalige Verhältnisse relativ friedlichen Zustand. Unproduktiv sind hingegen Kriege, die einzig der Zerstörung dienen, die Feldzüge der Hunnen in der Spätantike und die der Wikinger im Mittelalter beispielsweise. 

Die Welt erhält einen Globocop

Gemäss Morris ist die Geschichte der Menschheit eine Abfolge von produktiven und unproduktiven Kriegen. Dank verbesserter Waffentechnik haben sie immer grössere Ausmasse angenommen. Der entscheidende Wendepunkt kam mit dem Aufstieg des britischen Imperiums. Zum ersten Mal trat ein Weltpolizist auf den Plan, der «Globocop». 

Solange Britannien die Weltmeere beherrschte, herrschte auch auf dem Land mehr oder weniger Frieden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch wurde die Vorherrschaft immer brüchiger. Vor allem der Aufstieg von Deutschland machte den Briten zu schaffen und führte letztlich zum Ersten Weltkrieg. Der Erste Weltkrieg war das Ende des britischen Globocop und der Anfang des amerikanischen. Dieser setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg – eine Art Rückspiel des Ersten, nur sehr viel brutaler – und dem Ende des Kalten Krieges endgültig durch.

Der neue Globocop: U.S. Marine im Irak
Der neue Globocop: U.S. Marine im Irakbild: shutterstock

Heute herrscht eine Pax Americana. Das beschert uns die historisch gesehen einmalig friedlichen Verhältnisse. Wie vor dem Ersten Weltkrieg ist dieser Frieden jedoch bedroht. Auch den Amerikanern fällt es zunehmend schwer, die durch den Aufstieg von China veränderten geopolitischen Verhältnisse in den Griff zu bekommen.

Das Spiel des Todes ist zu Ende

All dies führt Morris zu folgendem Schluss: Einen weiteren Krieg kann sich die Menschheit nicht mehr leisten, auch einen produktiven nicht. Das «Spiel des Todes» ist zu Ende, einen Dritten Weltkrieg würden wir möglicherweise nicht überleben und wenn, dann in einer total verwüsteten Welt. Der nächste Schritt liegt auf der Hand: «Wir haben uns von umherziehenden Banden über den Staat zu einer Welt mit einem Globocop entwickelt», stellt Morris fest. «Der nächste Schritt sollte eine Weltregierung sein, welche die Gewalt völlig zum Verschwinden bringt.»

«Der nächste Schritt sollte eine Weltregierung sein, welche die Gewalt völlig zum Verschwinden bringt.»
Ian Morris

Dank IT und künstlicher Intelligenz hält es Morris für möglich, dass eine solche Weltordnung, eine «Pax Technologica» entstehen kann. Bis es so weit ist, müssen wir aber noch die grösste Klippe, die es je gegeben hat, umschiffen. «Wenn sich die 40 Jahre zwischen 2010 und 2050 so entwickeln wie diejenigen zwischen 1870 und 1910, dann werden sie die gefährlichsten Jahre der Menschheit werden», warnt Morris.

Soweit zur These. Die kurze Zusammenfassung kann der Beweisführung nicht gerecht werden. Morris stützt sich nebst seinem archäologischen Fachwissen auf die Evolutions- und die Spieltheorie. Das ist teilweise mehr als fragwürdig. An dieser Stelle kann darauf jedoch nicht eingegangen werden, genauso wenig wie auf die berüchtigte «Und-was-ist-mit-Hitler»-Frage. 

Wie Generäle und Thinktank-Strategen denken

Entscheidend ist Folgendes: Morris ist überzeugt, dass die Menschheit an einem Punkt angelangt ist, an dem ihr Überleben von globalen Lösungen abhängt. Und er ist dabei in bester Gesellschaft. Seine Art zu denken wird von den Generälen im Pentagon und von den Professoren in den führenden Thinktanks geteilt. Wir sollten ihn also besser Ernst nehmen.

Womit wir wieder bei Christoph Blocher wären. Wie Morris wähnt er sich in einem Endkampf, allerdings einem ganz anderen. Es geht nicht darum, wie die Welt vor einem wahrscheinlich desaströsen Dritten Weltkrieg bewahrt, sondern wie die Schweiz aus den Klauen der EU gerettet werden kann.

Nicht Sklavenarbeit oder Todesstrafe sind das Problem

Dafür ist Blocher nun auch bereit, die Menschenrechte über Bord zu werfen. Deswegen zu befürchten, dass wir bald wieder die Sklavenarbeit einführen würden, ist Unsinn. Auch die Todesstrafe dürfte hierzulande kein Thema sein. Sie wird von einer grossen Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer und wahrscheinlich auch von einer schwachen Mehrheit der SVP abgelehnt.

Bilderbuch-Schweiz: Matterhorn, Fahne und Alphörner
Bilderbuch-Schweiz: Matterhorn, Fahne und AlphörnerBild: KEYSTONE

Die Gefahr liegt anderswo, sie liegt in einer fundamental falschen Einschätzung der geopolitischen Lage. Blocher träumt von einer Schweiz, die national selbstbestimmt und souverän handeln kann, die nach eigenem Gutdünken Handelsverträge abschliessen und gleichzeitig weder politische Einmischung noch fremde Richter fürchten muss. Eine solche Schweiz wird es nicht mehr geben.

Die wichtigsten Probleme sind nur noch global lösbar

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Wie Morris überzeugend darlegt, sind die wichtigsten Probleme nur noch global lösbar. So sehr wir auf unsere Neutralität pochen, auch die Schweiz wird sich dieser Tatsache nicht entziehen können. Das erleben wir gerade in der Diskussion über die Beteiligung an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Der Bundesrat hat mehr oder weniger entschieden, dass die Schweiz stillschweigend mitmacht, denn würde sie als Streikbrecher auftreten, dann drohten ihr nicht nur internationale Ächtung, sondern – genau wie im Fall der französischen Bank BNP Paribas – auch saftige Bussen vom Globocop USA.

Rekorddürre in Afrika
Rekorddürre in Afrikabild: shutterstock

Auch Klimawandel und Konzentration des Reichtums – die beiden wichtigsten Gefahren der Gegenwart – lassen sich nicht im Rahmen des Nationalstaates lösen. Bezeichnenderweise nimmt Blocher diese beiden nicht zur Kenntnis. Der Klimawandel wird verleugnet, die zunehmende Ungleichheit bagatellisiert er im Sinne von: Superreiche sind auch nur Menschen wie du und ich. Sie haben nur mehr Geld.

Gegen Blochers Ziele ist nichts einzuwenden, aber gegen den Weg

Mehr Selbstbestimmung, mehr Respekt, mehr Freiheit – das sind berechtigte Anliegen. Gegen Blochers Ziele ist nichts einzuwenden, aber gegen seinen Weg. Indem er die Politik nationalisieren und die Wirtschaft globalisieren will, stellt er die Dinge auf den Kopf. Es geht darum, eine aus dem Ruder gelaufene wirtschaftliche Globalisierung mit global abgestimmten Massnahmen politisch wieder zur Räson zu bringen.

Dank einer ungezügelten Globalisierung hat die Monopolisierung der Wirtschaft massiv zugenommen. Die ETH hat in einer bekannten Studie schon 2011 festgestellt, dass die Weltwirtschaft im Wesentlichen von 147 Konzernen bestimmt wird. Der französische Ökonom Thomas Piketty weist in seinem soeben auch auf Deutsch erschienenen Buch «Das Kapital des 21. Jahrhunderts» nach, dass sich in den Industriestaaten eine ähnliche Konzentration des Reichtums wie vor dem Ersten Weltkrieg abzeichnet.

Ökonom Thomas Piketty
Ökonom Thomas PikettyBild: CHARLES PLATIAU/REUTERS

Weder Brüssel noch elitäre Politiker bedrohen unsere Freiheit. Die Konzentration von Geld und wirtschaftlicher Macht hingegen tut es. Multinationale Konzerne bestimmen nicht nur, wo Arbeitsplätze zu welchen Bedingungen geschaffen werden, sie sorgen zunehmend dafür, dass alles käuflich wird: Wissenschaft, Politik und die Medien.

Selbstbestimmung und Freiheit sind Ziele, für die es sich zu kämpfen lohnt. Gerade deshalb braucht es eine globale Ordnung. Menschenrechte gehören genauso dazu wie ein internationaler Verhaltenskodex für multinationale Konzerne und eine globale Kapitalgewinnsteuer. Die Zeit für nationalistische Irrläufe hingegen ist abgelaufen.  

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