Noch am Donnerstag hatte CVP-Nationalrat Yannick Buttet den Eindruck, jedes Wort, das er verlauten lasse, könnte gegen ihn verwendet werden. Zwar sass er am Morgen im Nationalratssaal. Aber er schwieg.
Am Nachmittag fuhr er nach Zürich – zu Andreas Meili. Buttet ist zwar selbst Anwalt. Doch in der Situation, in der er sich wegen Ermittlungen im Zusammenhang mit Belästigung befindet, braucht er Hilfe. Meili gilt als Mann für schwierige Fälle. Er vertrat Geri Müller, Ex-Stadtammann von Baden, in der Nacktselfie-Affäre. Meili half auch dem Professorenpaar Philipp Sarasin und Svenja Goltermann gegen die «Weltwoche».
Vor allem aber stand der Medienanwalt Ex-CVP-Präsident Christophe Darbellay zur Seite, als dieser vom «SonntagsBlick» mit Fakten konfrontiert wurde, die er hatte verschweigen wollen: dass er nach einem Seitensprung Vater eines ausserehelichen Babys wurde. Darbellays gute Erfahrungen mit Meili mussten Buttet bewogen haben, ebenfalls auf ihn zu setzen.
Buttet gilt als enger politischer Wegbegleiter von Darbellay. Als Gerhard Pfister im April 2016 CVP-Präsident wurde, liess sich Buttet zum Vize wählen. Mit Pfister als Präsidenten gebe es «ein Risiko, dass die Partei sich stärker nach Zürich ausrichtet und sich der SVP annähert», sagte er «Le Matin Dimanche». Insider vermuten, dass es Darbellay persönlich war, der Buttet zu diesem Schritt motiviert hatte.
Meili riet Buttet offensichtlich dazu, seine Strategie des Schweigens ein Stück weit aufzugeben. Nach der «Blick»-Schlagzeile «CVP-Heuchler will nicht abtreten» schien eine kontrollierte Offensive zwingend. So segnete Meili gestern Zitate ab, die Buttet gegenüber der «Schweiz am Wochenende» gemacht hatte. «Ich habe mich mit meiner Frau und der Familie versöhnt», sagte er. «Und ich setze nun alles daran, dass die Familie intakt bleibt.» Buttet betont, dies dürfe nicht als Indiz für einen Rücktritt gewertet werden. Einen solchen fasse er nur ins Auge, wenn er verurteilt werden sollte.
Gestern Abend äusserte er sich auch im Westschweizer Radio RTS. Er sei schockiert über das Bild, das Medien und Parlamentarierinnen von ihm gezeichnet hätten. Man wolle sein Leben zerstören. «Ich bin kein Stalker.» Man vergleiche ihn mit dem US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein. «Das tut mir und meiner Familie weh», sagte er. Er aber sei unter Alkoholeinfluss einfach «ein wenig derb» geworden.
«Le Temps» hatte am Donnerstag publik gemacht, dass Buttet eine ehemalige Geliebte vor ihrem Wohnhaus in Siders gestalkt hatte und von der Polizei dabei gestellt worden war. Er soll die Frau, mit der er knapp 18 Monate lang ein aussereheliches Verhältnis hatte, zeitweise mit bis zu 50 SMS pro Tag belästigt haben. Sie reichte Strafanzeige ein.
Buttet soll auch im Parlament auffällig geworden sein. Mehrere Politikerinnen und Journalisten berichteten in «Le Temps» von unangemessenen Handlungen und «unkontrolliertem sexuellem Drang». Wenn er trinke, verändere sich seine Persönlichkeit.
In Bundesbern sind die Zweifel gross, ob der Walliser CVP-Nationalrat diese Geschichte übersteht. «Buttet hat ein Problem», sagte gestern Bundespräsidentin Doris Leuthard, ebenfalls CVP, gegenüber RTS. «Das ist inakzeptabel für einen Politiker.»
Die Parteien sind alarmiert. Sie befürchten weitere Fälle. In der SP-Fraktion wurden schon vor Monaten Checks zu möglichen Problemen sexueller Belästigung durchgeführt – im Zuge der Belästigungsaffäre im französischen Parlament. Nach dem Fall Buttet kam es zu weiteren Checks.
Nachdem SVP-Vizepräsidentin Céline Amaudruz ebenfalls von sexueller Belästigung sprach, setzt sich auch Fraktionschef Thomas Aeschi mit der Situation auseinander: «Die SVP hat keine Kenntnis von sexueller Belästigung oder von Stalking durch eigene National- oder Ständeräte», sagt er. «Wir erwarten, dass sich belästigte Personen umgehend und eigenverantwortlich an die Strafverfolgungsbehörden wenden.»
Schnell reagiert hat das Ratsbüro des Parlaments. Es prüft Massnahmen zur Prävention von sexueller Belästigung. «Eine Melde- und Anlaufstelle könnte infrage kommen», sagt Marina Carobbio, Vizepräsidentin des Nationalrats. «Dafür sind verschiedene Optionen denkbar. Wir werden wohl noch in dieser Session einen Entscheid fällen.» Aktiv wird auch SP-Nationalrätin Yvonne Feri. Sie schlägt eine Charta vor, «in der alle Mitglieder des Parlaments eine Art Verhaltenskodex unterschreiben», wie sie sagt.
«Die Charta sollte das respektvolle Verhalten im Ratssaal umfassen, wie auch den respektvollen Umgang miteinander. Der Kodex sollte auch explizit Verletzungen der persönlichen Integrität verurteilen.» Eine Anlaufstelle für Betroffene wäre auch für Feri «sicher sinnvoll». Feri weist auch auf das US-Repräsentantenhaus hin, das für alle Abgeordneten ein Anti-Sexismus-Training beschlossen hat. «Das ist eine spannende Idee», sagt sie. «Sollte etwa Alliance F diese Idee lancieren, werde ich sie unterstützen.»