Schweiz
Das Beste 2021

Nationalratspräsident Aebi wird getrollt

Andreas Aebi, SVP-BE, links, freut sich ueber seine Wahl zum ersten Vizepraesidenten des Nationalrats a der Seite von die neue Nationalratspraesidentin Isabelle Moret, FDP-VD, rechts, am ersten Tag de ...
Nationalratspräsident Andreas Aebi (links) durfte heute zum ersten Mal das tun, was seine Vorgängerin Isabelle Moret auch tun durfte: Minutenlang unbestrittene Änderungen vorlesen.Bild: KEYSTONE

Nationalratspräsident muss minutenlang «Spannendes» vorlesen – und wird dann getrollt

Nationalratssekretäre haben einen besonderen Humor. Sie trollen ihre Chefs, wenn ganz viele Gesetzesänderungen nicht bestritten werden. Heute kam SVP-Nationalratspräsident Andreas Aebi dran.
08.12.2020, 12:1723.12.2021, 13:54
Mehr «Schweiz»

Im Bundeshaus herrscht ein ganz besonderer Humor. Sehen kann man ihn, wenn man sich zu Unzeiten wie am Dienstagmorgen den Nationalrats-Livestream anschaut. Zu noch verschlafenen Zeiten durften die Volksvertreter über das Geschäft mit dem sperrigen Titel «Systematische Verwendung der AHV-Nummer durch Behörden» diskutieren.

Der Titel sagt schon, worum es dabei ging: Behörden sollen die AHV-Nummer von Bürgerinnen und Bürgern verwenden dürfen, wenn sie deren Daten bearbeiten. Das macht alles einfacher – bislang fehlte aber die Gesetzesgrundlage dazu. Der Bundesrat will dies nun offiziell erlauben, dafür braucht es aber eine Menge Gesetzesänderungen. Achtunddreissig, um genau zu sein.

Video: extern / rest/parlamentsdienste

Nationalratspräsident Andreas Aebi (SVP) musste diese Änderungen heute alle einzeln vorlesen. Nachdem die wichtigsten Anpassungen im AHV-Gesetz diskutiert wurden, kamen die «Änderungen anderer Erlasse» dran. Aebi kündigte das – wohl nicht ganz ernst gemeint – mit «jetzt wird's spannend» an.

Der Anfang

«Jetzt wird's spannend»
Nationalratspräsident Andreas Aebi

Es folgte ein 3:40 Minuten langer Monolog, bei dem Aebi alle Änderungen der 37 Nebenerlasse auflistete. Der amtierende Nationalratspräsident, vom militärischen Grad her ein Major und nebenberuflich ein Auktionator, ratterte sturmgewehrartig alle Punkte fehlerfrei ab. Weil niemand irgendwas in letzter Millisekunde ändern wollte, durfte Aebi protokollarisch feststellen: «So beschlossen.»

Aebis Einsatz wurde – getreu der Tradition – mit Applaus verdankt. Wie im Nationalrat üblich, hätte nun dieselbe Auflistung der unbestrittenen Änderungen auf französisch folgen sollen. Major Aebi gab den Dienstbefehl an den Parlamentssekretär in perfektem Bundesfranzösisch (français fédéral) ab: «Maintenant en français.»

Der Schluss

«So beschlossen. Maintenant en français.»
Nationalratspräsident Andreas Aebi

Seine Nationalratskolleginnen und -kollegen lachten. Der Sekretär auch, weil er sich mit einer Abkürzung begnügen durfte – und damit seinen Chef gewissermassen trollte: Er fasste Aebis 220 Sekunden langen Monolog mit «Pour tous les articles mentionnés par le Président: Ainsi décidé» («Für alle vom Präsidenten erwähnten Artikel: Somit entschieden.») zusammen.

Dasselbe auf Französisch

«Für alle vom Präsidenten erwähnten Artikel: Somit entschieden.»
Nationalratssekretär Pierre-Hervé Freléchoz

Warum das ganze?

Stellt sich die Frage: Warum müssen Nationalratspräsidentinnen und -präsidenten solch lange Monologe führen? Die Antwort findet sich im Gesetz. Dieses schreibt vor, dass vor einer Abstimmung «eine kurze Übersicht über die vorhandenen Anträge» gemacht wird. Diese kurze Übersicht kann halt auch mal etwas länger ausfallen, selbst dann, wenn etwas nicht bestritten wird. Es könnte ja sein, dass in letzter Sekunde ein Gegenantrag gestellt wird.

Im Sommer 2020 gab Aebis Vorgängerin, Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP), eine ähnliche Show ab. Damals mit umgekehrten sprachlichen Vorzeichen: Sie ratterte die Gesetzesänderungen zwei Minuten lang auf französisch ab. Die Nationalratssekretärin lieferte schmunzelnd die Zusammenfassung auf deutsch: «Die von der Präsidentin aufgeführten Gesetze und Bestimmungen – so beschlossen.»

Video: extern / rest/parlamentsdienste
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Ein paar schöne Bilder vom Bundeshaus in Bern
1 / 17
Ein paar schöne Bilder vom Bundeshaus in Bern
quelle: keystone / gaetan bally
Auf Facebook teilenAuf X teilen
«Erich Hess, wovor hast du mehr Angst als vor Ausländern?»
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
30 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Roaming212
08.12.2020 12:28registriert Juni 2016
Eigentlich sollte alles und überall nur so auf Französisch übersetzt werden: pour les romands c'est la meme chose.
36561
Melden
Zum Kommentar
avatar
aglio e olio
08.12.2020 12:29registriert Juli 2017
„... durften die Volksvertreter über das Geschäft mit dem kryptischen Titel «Systematische Verwendung der AHV-Nummer durch Behörden» diskutieren.

Der Titel sagt schon, worum es dabei ging: Behörden sollen die AHV-Nummer von Bürgerinnen und Bürgern verwenden dürfen, wenn sie deren Daten bearbeiten. “
Hmm, wenn der Titel schon sagt, worum es geht, dann ist er doch nicht kryptisch.
„Sperrig“ vielleicht, aber für Amtsdeutsch eigentlich schon fast kuschelig. 😀
2173
Melden
Zum Kommentar
avatar
Grohenloh
08.12.2020 15:37registriert August 2018
Also, sooo sperrig ist dieser Titel jetzt auch nicht, oder? Eigentlich ein ganz normaler, kurzer deutscher Hauptsatz. Keine Nebensätze, keine Aufzählungen.

Was lesen denn die, die das sperrig finden, so den ganzen Tag? Micky Maus?
685
Melden
Zum Kommentar
30
Thundorfs (TG) Kampf gegen Windmühlen – ein Drama in 4 Akten (weil der 5. noch fehlt)
Zuerst sollten es acht Windräder sein. Nun stimmt die Gemeinde Thundorf im Herbst nur noch über drei ab. Der erbitterte Widerstand des 1600-Seelen-Dorfs gegen einen Windpark steht sinnbildlich für die weit verbreitete Mentalität: «Erneuerbare Energien, ja, aber nicht bei mir.» Eine Chronologie.

Es ist der 15. März 2022, als die Elektrizitätswerke des Kantons Zürichs (EKZ) den Plan für den «Windpark Thundorf» vorstellen. 18'000 Thurgauer Haushalte. So viele sollen ab 2026 durch acht Windräder mit Strom versorgt werden. Die EKZ wollen sie im Wald und auf Feldern des Wellenbergs in der Gemeinde Thundorf erbauen. Nur wenige Kilometer von der Kantonshauptstadt Frauenfeld entfernt.

Zur Story